Leon Vynehall im Interview: "Ich mache nicht wirklich elektronische Musik."
© Frank Lebon

Leon Vynehall im Interview: "Ich mache nicht wirklich elektronische Musik."

Features. 2. Mai 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Verspielte Harmonien und melancholische Streicher, hier noch schnell ein paar Jazz-Referenzen eingeworfen und dann kommen große Synthie-Wände. Die musikalische Bandbreite von Leon Vynehall scheint riesig und das obwohl die Diskographie des Briten noch sehr überschaubar ist. Lag zu Beginn mit ‘Music for the Uninvited‘ und ‘Rojus‘ der Fokus auf der Tanzfläche, folgte 2018 mit ‘Nothing is Still‘ sein orchestrales Debütalbum. Was seine Musik aber stets verbindet, ist ein Hang zum Erzählerischen.

Gekoppelt an Geschichten oder lose Themen, bekommen seine Platten einen ganz eigenen cineastischen Charakter. Dementsprechend groß war die Spannung, als Vynehall seine neue LP ‘Rare, Forever’ ankündigte. Welche Sounds und Themen wird er uns dieses Mal präsentieren? Wir trafen den Musiker vorab zum Gespräch, bei dem er uns verriet, was er durch die Arbeit an seiner ersten LP alles gelernt hat und was Selbstverwirklichung und Nietzsche mit dem Titel des aktuellen Albums zu tun haben.

DJ LAB: Deine Musik lebte bisher stark von einem bestimmten Narrativ oder einem Thema, das den Klang bestimmt. Auf ‘Rojus’ war es das Balzverhalten der Paradiesvögel und auf ‘Nothing Is Still’ die Migrationsgeschichte deiner Großeltern. Wenn wir das so weiter fortführen, was ist dann die Geschichte von ‘Rare, Forever’?

Leon Vynehall: Bei diesem Album war es zum ersten Mal so, dass ich nichts von außerhalb gesucht habe, das mich beeinflusst. Es ist eher ein Blick in den Spiegel. Das Thema ist Selbstverwirklichung und die Frage, warum man überhaupt etwas erschaffen muss. Der ganze Prozess rund um ‘Nothing Is Still’ hat mich ziemlich ausgebrannt. Die LP und das Buch dazu haben vier Jahre gedauert, die Arbeit daran war sehr intensiv. Danach kamen dann noch anderthalb Jahre Tour und Promotion dazu. ‘Nothing Is Still’ war also für eine relativ lange Zeit ein großer Teil von mir. Als ich damit fertig war, kam dann eine Phase, in der ich mich fragte: Was nun? Mit dieser plötzlichen Leere muss man erst einmal klarkommen. In der Zeit bin ich gerade 30 geworden und da kommen dann die großen Lebensfragen auf: Was will ich als Nächstes machen und warum mache ich das überhaupt? ‘Rare, Forever’ hat mich auf den Pfad gebracht, mich damit intensiver zu beschäftigen und diese Fragen zu beantworten.

Könnte man also sagen, das Narrativ der Platte ist deine eigene persönliche Geschichte?

Leon Vynehall: Im Nachhinein ja, wobei es eher ein persönlicher Konflikt statt die Geschichte ist. Ich bin mit der Einstellung an die Sache rangegangen, den Gedanken, meine Musik an ein bestimmtes Thema zu koppeln, vollständig hinter mir zu lassen. Es sollte eher wie bei abstrakter Kunst sein, dass ich einen ersten Pinselstrich auftrage und mich von da an frei leiten lasse. Als ich dann eine erste Version des Albums gehört habe, klang es alles total verwirrend, so als hätte ich nicht einen klaren Gedanken fassen können. Das wollte ich aber auch so haben, denn als ich mit dem Album anfing, fühlte ich mich genau so. Ich wollte mir und den Leuten etwas beweisen und ihnen in gewisser Weise alles an den Kopf werfen, was in mir steckt, mich nicht nur auf eine Sache oder ein Thema beschränken. Die Platte habe ich dann allerdings eine längere Zeit liegen lassen, weil ich nicht wirklich zufrieden war. Dieser ganze Prozess, immer wieder zu dem Album zurückzukehren, ist dann am Ende meine persönliche Auseinandersetzung mit mir selbst geworden.

Im Gespräch mit Leon Vynehall.
© Frank Lebon

Als ich den Track ‘Mothra’ hörte, fand ich schon Anleihen von deinen vorherigen Arbeiten, aber da schwingt über allem auch etwas Unbehagliches im Sound mit. Ist ‘Rare, Forever’ deine bisher düsterste Veröffentlichung?

Leon Vynehall: Ich denke schon. Das ergibt sich ja schon allein durch die Art des Themas. Ich wollte es aber nicht zu deprimierend klingen lassen. Am Ende des Albums geht es ja um den Prozess der Selbstreflexion und die Erkenntnis, dass dieser Prozess immer weitergeht und auch weitergehen muss. Daher auch der Name ‘Rare, Forever’! Als ich mich zu dem Thema Selbstverwirklichung eingelesen habe, bin ich über eine Passage von Nietzsche gestolpert, in der er Selbstverwirklichung als eine große und seltene Kunst beschreibt. Deswegen soll es auch nicht so traurig sein. Natürlich hat das Album, wie der Prozess auch, sehr herausfordernde Stellen. Am Ende aber steht die Erkenntnis, dass es mir geholfen hat, etwas über mich zu erfahren und das ist ja eine gute Sache.

Kann sowas nicht auch schnell zum Klischee werden? Nach dem Motto: der leidende Künstler, der jetzt sein Innerstes präsentiert, um zu heilen?

Leon Vynehall: Das war definitiv ein Punkt, mit dem ich mich beschäftigt habe. Ich wollte nie so klingen, dass ich leiden müsste um der Kunst Willen. Dieses Klischee ist, denke ich, unumgänglich für alle, die Kunst machen, aber dann kommt es am Ende darauf an, wie es umgesetzt wird. ‘Rare, Forever’ sollte nicht dieses dunkle Porträt eines Mannes sein. “Schaut her, das hier ist meine Geschichte!” Das kann schnell narzisstisch rüberkommen. Natürlich ist das meine Person, der ich auf dem Album nachgehe. Das Schöne an der Musik ist aber, dass sie im besten Falle über dieser einseitigen Deutung steht. Hoffentlich hören Menschen diese Platte und finden in dem, was ich dort versucht habe auszudrücken, auch etwas von oder für sich selbst wieder. Ich bin da ein sehr poetischer Mensch und finde das sehr faszinierend, wenn wir durch Kunst, das können Gemälde oder Musik sein, bestimmte Gefühle ausdrücken können, die dann bei anderen völlig fremden Menschen auch etwas bewirken. Mir hat das immer durch viele schwierige Phasen geholfen. Wenn also meine Musik bei anderen auch so wirken kann, dann ist das mit das Schönste, was ich mir vorstellen kann.

Poetisch passt sehr gut, weil ich deine Musik klanglich und auch harmonisch so empfinde. Und es hat für mich auch immer etwas Nostalgisches. Was sind da deine Einflüsse?

Leon Vynehall: Nostalgisch würde ich es vielleicht nicht nennen, ich würde mich eher als Romantiker bezeichnen. Wo das genau herkommt, weiß ich gar nicht genau. Ich wurde schon oft nach meinen Einflüssen gefragt, aber ehrlich gesagt will ich da gar nicht so genau drüber nachdenken. Das ist zwar eine unbefriedigende Antwort, aber ich fühle mich einfach bestimmten Harmonien, Melodien und Sounds hingezogen und mir macht es Spaß, dort sehr unbewusst mit zu arbeiten. Ich werfe am liebsten einfach alles zusammen, was ich so höre und gut finde, ohne genau benennen zu können warum.

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Das hört man dann auch definitiv bei dir, da wechseln sich "sinfonische" Klänge mit House-Beats oder Jazz-Einflüssen ab. Würdest du überhaupt sagen, dass du elektronische Musik machst?

Leon Vynehall: Nicht wirklich. Natürlich basiert meine Musik auf elektronischen Elementen wie Synthesizern und ich mache das alles am Computer. Angefangen habe ich aber damals in der Schule, indem ich Schlagzeug und Gitarre gespielt habe. Am Ende versuche ich immer dem zu folgen, was der Song verlangt. Das können mal ganz klar Synthesizer und Drummachines sein wie bei ‘Rojus’ oder eben Streicher, wie es bei ‘Nothing Is Still’ der Fall war. Vermutlich hat man erwartet, dass ich nach ‘Rojus’ wieder eine House-Platte mache. Das Ausgangsmaterial, also die Geschichte von ‘Nothing Is Still’, hätte mit einer Instrumentation wie bei einer Dance-Platte allerdings niemals so funktioniert. Das war bei ‘Rare, Forever’ jetzt auch wieder ein spannender Prozess, weil ich erst herausfinden musste, was überhaupt der Klang dieser Platte sein soll. Da sind mehrere Sachen aufeinander geprallt – einerseits Erwartungen von außen, die ich klanglich mit meinen letzten Alben geweckt habe, meine eigenen Erwartungen an mich selbst und natürlich welche Sounds mir die Themen dieser Platte vorgeben.

Erwartungen oder auch Druck sind gute Stichwörter. Mit ‘Nothing Is Still’ hast du gewissermaßen eine neue Tür aufgemacht. Weg von der Wahrnehmung der elektronischen Dance-Music, tauchte dein Album auch in großen Teilen des Feuilletons auf und wurde vor allem unter dem Kunstaspekt behandelt. Mir kam es so vor, als wärst du jetzt, warum auch immer, in die Riege der Komponisten aufgestiegen.

Leon Vynehall: Als Erstes freut es mich sehr, dass du mich in die Kategorie der Komponisten einordnest, so würde ich mich aber selbst nie nennen. Und klar ist da ein großer Druck, das ist in gewisser Weise die Hälfte der Themen auf dieser Platte. Wie geh ich mit dem Druck um, warum stell ich mich dem überhaupt und wer macht diesen Druck? Ehrlich gesagt wäre das aber auch so, wenn ‘Nothing Is Still’ totaler Schrott gewesen wäre.

Wie kommt es, dass du das Wort Komponist so sehr vermeidest? Ich bekomme das häufig mit, dass viele das Wort Produzent:in ganz natürlich für sich verwenden, aber Komponist:in oder sogar Musiker:in vermeiden.

Leon Vynehall: (lacht) Ich weiß nicht genau. Ich und viele andere, die ich kenne, leiden vermutlich unter einer Art Imposter-Syndrom. Was wäre denn der Unterschied zwischen Produzent:in und Komponist:in?

Runtergebrochen stammt das eine aus dem Arbeitskontext, es wird etwas produziert, und das andere aus dem Kunstkontext. Aber ob ich jetzt bei Ableton Musik erschaffe oder auf einem Blatt Papier Noten aufschreibe, ist doch am Ende beides Komponieren.

Leon Vynehall: Stimmt, unter dem Gesichtspunkt könnte man mich dann auch so nennen. Ich glaube, da spielt eine bestimmte Vorstellung des Musikmachens mit rein. Ich habe nie in diese Richtung Musik studiert, kann keine Noten schreiben und habe kein fundiertes theoretisches Wissen. Komponist:in hat für mich irgendwie einen prestigeträchtigen Hintergrund und vielleicht auch etwas Elitäres. Das hab ich nicht. Ich komme selbst aus dem Umfeld der Arbeiterklasse und hab dann Tontechnik studiert, also den ganzen Computer- und Technikkram. Das ist aber tatsächlich eine spannende Frage, wie diese Begriffe benutzt werden, es sagt ja auch etwas darüber aus, wie ich mich selbst sehe.

Leon Vynehall im Interview.
© Frank Lebon

Bleiben wir beim Komponieren/Produzieren, wie immer man es nennen mag. Was hast du aus der Arbeit an ‘Nothing Is Still’ mitgenommen an Skills und Erfahrungen, die dir jetzt bei ‘Rare, Forever’ geholfen haben?

Leon Vynehall: Das Größte, das ich gelernt habe, ist die Zusammenarbeit mit anderen wertzuschätzen. Für ‘Nothing Is Still’ musste ich zwangsläufig Aufgaben abgeben und mit anderen Musiker:innen arbeiten, da ich z. B kein Streichinstrument spiele und auch im Arrangement nicht bewandert bin. Wie so viele aus meinem Bereich habe ich sonst nur alleine im Heimstudio alles gemacht. Es ist also eine völlig neue Erfahrung, andere an dem Prozess des Musikmachens teilhaben zu lassen. Sich von dem Gedanken zu trennen, wenn ich jetzt andere mit ins Boot hole, dann ist das nicht mehr mein Werk oder mein Baby, ist sehr schwierig. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass meine Idee trotzdem meine Idee ist, auch wenn wer anderes das einspielt oder an der Gestaltung beteiligt war.

Zu guter Letzt, gibt es schon Pläne das Album live auf die Bühne zu bringen? ‘Nothing Is Still’ hast du ja mit einem größeren Ensemble aufgeführt.

Leon Vynehall: Die gibt es tatsächlich. Dieses Mal werde aber nur ich auf der Bühne sein. Das passt ja auch zum Album. Ich bin gerade dabei, alles vorzubereiten und zu planen, wie ich das umsetzen kann und was ich dafür alles brauche. Das wird wieder sehr ungewohnt, weil ich bisher auch noch nie abseits von DJ-Sets alleine auf der Bühne gestanden habe. Andererseits freue ich mich total darauf, vor allem weil es ja auch bedeutet, dass die Pandemie teilweise vorbei ist. Hier in UK merkt man eine verhaltene Aufbruchstimmung und es kommen wieder Anfragen rein. Ich bleibe da momentan zwar noch etwas skeptisch, aber möchte auch optimistisch auf die zweite Hälfte des Jahres gucken.

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