Melt-Direktor im Interview: Über das Ende des legendären Festivals

Melt-Direktor im Interview: Über das Ende des legendären Festivals

Features. 10. Juni 2024 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

Die Nachricht kam für viele überraschend: Das Melt-Festival in Gräfenhainichen findet vom 11. bis 13. Juli 2024 zum letzten Mal statt. Nach 27 Jahren, 25 davon fanden in geschichtsträchtiger Kulisse im einstigen Braunkohletagebau Ferropolis statt, ist Schluss. Keine leichte Entscheidung sei es gewesen, und auch keine spontane. Head-Booker und Festivaldirektor Florian Czok spricht im Interview über die Gründe fürs Aus: Darüber, warum ein Festival wie das Melt in der heutigen Zeit nicht mehr wirtschaftlich ist, übers Erreichen von Zielgruppen, den Versuch einer Neuausrichtung und die Ansprüche einer neuen, jungen Festivalgeneration.

DJ LAB: Die Nachricht vom Aus des Festivals ist seit Anfang Juni draußen – wie ist es euch damit ergangen?

Florian Czok: Die Entscheidung ist nicht spontan gefallen, sondern wurde schon einen Monat im Voraus mit der Geschäftsführung abgesprochen. Es war ein wirklich langes und intensives Gespräch, das wir auch nicht zum ersten Mal geführt haben. Und so wichtig das Melt-Projekt für unsere Firma und ich glaube, auch für die Musiklandschaft in Deutschland ist, haben wir immer mal wieder damit zu kämpfen gehabt, das Konzept auf Kosten- und Ertragsseite wirklich so hinzubekommen, dass es wirtschaftlich auch nachhaltig erfolgreich ist. 

Wie geht’s dir persönlich damit?

Mit mir persönlich hat die Entscheidung emotional sehr viel gemacht. Es war eines der ersten Festivals, das ich besucht habe und ich habe das Melt seit 2008 als Besucher begleitet, bis ich vor knapp neun Jahren bei Goodlive, damals noch Melt-Booking, angefangen und vor drei Jahren das Festival übernommen habe. Aber nach der Pandemie sind so viele neue Parameter hinzugekommen, die dazu führen, dass ein Festival wie das Melt heute nicht mehr so einfach durchführbar ist wie noch vor ein paar Jahren.

Florian Czok
Head-Booker und Festivaldirektor Florian Czok / © Leandra Niesert

Welche Parameter meinst du?

Das fängt mit Kostensteigerungen in allen Bereichen an. Personalkosten, aber auch Technik wird immer teurer. Und: Internationale Artists nach Deutschland zu bringen, ist einfach um einiges teurer geworden als mit einem nationalen Programm aufzuwarten. Das war aber immer ein Alleinstellungsmerkmal von uns.

Kostensteigerungen sind das eine – welche Faktoren haben noch eine Rolle gespielt?

Ich habe neulich gelesen, dass allein in Großbritannien dieses Jahr schon 40 Festivals abgesagt wurden. Dem steht gegenüber, dass es dort etwa 800 Festivals pro Jahr gibt – und es werden immer mehr. Einem solchen Konkurrenzdruck auf dem Markt entgegenzutreten, ohne aber die Ticketpreise ins Unermessliche anzuheben, war für uns einfach keine Option. 

Wir hatten aber auch das Gefühl, dass wir die Zielgruppen nicht mehr zusammenbringen können. Unser Anspruch war es immer, ein diverses und breites Programm für Musikinteressierte zu schaffen und damit verschiedene Gruppen zu vereinen. Aber ich glaube, heutzutage bringen wir diese unterschiedlichen Zielgruppen an Festivalgänger:innen mit diversen Vorlieben für verschiedene Genres, also Gen-Z, aber auch die Millennials und die Generation darüber, nicht mehr so einfach zusammen wie früher. 

Woran liegt das? 

Ich glaube, früher hatten es Festivalbesuchende noch einfacher, auf einem Festival auch wirklich Musik zu entdecken. Da ist man noch nicht so krass durch Spotify mit endlosen Playlists und ständig neuer Musik zugespielt worden. Ich habe auch das Gefühl, dass Festivals, die sich auf ein Genre spezialisieren, es einfacher haben als das Melt, das versucht, viele Musikfarben abzubilden. Die heranwachsende neue Festivalgeneration wirft viele Fragen auf und erfordert neue Ansätze.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Überlegungen über die Unterschiede zwischen Stadtfestivals und solchen auf dem Land. Viele junge Leute sind mit Airbnb aufgewachsen und vielleicht nicht mehr so campingaffin, wie wir es mal waren. Das sind Annahmen, die ich hier aufstelle, und keine wissenschaftlich belegten Thesen. Man kann aber aus Umfragen, die wir durchgeführt haben, Ableitungen treffen.

Das diesjährige Melt ist die dritte Ausgabe seit eurer Neuausrichtung, mit der ihr jüngere Zielgruppen ansprechen wolltet. Hast du das Gefühl, dass ihr sie erreichen konntet?

Elektronische Musik hat schon allein wegen der Nähe zu Berlin und der Personen, die im Team gearbeitet haben, immer zum Melt gehört. Für uns war es dabei aber auch immer sehr wichtig, dass wir den Anspruch an die Live-Bühnen nicht vernachlässigen. Wenn man sich anschaut, welches Musikgenre gerade sehr präsent ist, dann ist es schon die elektronische Musik. Damit haben wir es geschafft, die Zielgruppe zu verjüngen und auch eine neue, positive Awareness für das Melt gerade bei Jüngeren zu schaffen. Mit unserem Konzept und Line-up, dieses Jahr etwa mit James Blake und Sampha, wollten wir jedoch auch eine ältere Generation ansprechen. Aber es ist schon so, dass wir diese Zielgruppen letztlich nicht mehr so sehr zusammenbekommen, wie wir es uns wünschen. 

KI/KI auf dem Melt! 2023
KI/KI auf dem Melt! 2023 / © Alicia Creupelandt

Auch nur eine These, aber: Jüngere Zielgruppen haben auch noch nicht zwangsläufig das nötige Geld für teure Festivaltickets.

Total. Deswegen haben wir auch gesagt, dass wir nicht noch höhere Ticketpreise verlangen können. Wenn man sich überlegt, was man inklusive Ticket, Anreise, Verpflegung und so weiter an einem Festivalwochenende ausgibt, ist man schnell bei 500 bis 600 Euro. Und das sehe ich als großes Problem, das die ganze Branche hat. Wir wünschen uns ein bisschen mehr Support von der Politik. Es gibt zwar fünf Millionen Euro Fördermittel pro Jahr für die Musikindustrie und Festivalbranche [über den in diesem Jahr eingerichteten Festivalförderfonds, Anm. d. Red.], aber bei der Menge an Festivals und den Kosten, die pro Festival anfallen, ist das einfach ein Tropfen auf den heißen Stein. 

Ist nicht trotzdem die Konkurrenz größer geworden und euer Publikum vielleicht auch zu anderen Festivals wie dem ebenfalls im Ferropolis stattfindenden Whole abgewandert?

Ich würde sagen: jein. Die Konzepte an sich sind ja trotzdem noch sehr unterschiedlich. Gerade wenn man sich Festivals wie das Whole oder Hive anschaut, sind diese sehr strikt in ihrer Ausrichtung und wofür sie einstehen. Ich glaube aber, dass man daran ganz gut sieht, dass Festivals funktionieren können, wenn sie sich an klar definierte Zielgruppen richten. 

Ihr habt schon angedeutet, dass es nicht ganz und gar vorbei ist, sondern dass ihr schon an neuen Ideen und Konzepten arbeitet. Kannst du dazu schon etwas verraten?

Wir haben uns intern natürlich schon Gedanken darüber gemacht, was wäre, wenn das Melt in dieser Form zu Ende gehen würde – Gedanken über zukunftsweisende Konzepte, mit denen wir uns identifizieren können. Wir sehen definitiv die Lücke, die das Melt-Festival auf dem deutschen Festivalmarkt hinterlassen wird. Aber über neue Projekte in der Zukunft sprechen wir erst nach der letzten Ausgabe.

Und die letzte Festivalausgabe steht bald an. Auf welche Acts freust du dich besonders?

Das ist immer schwer zu sagen. Ich freue mich logischerweise auf superviele. Sampha habe ich noch nie live gesehen, von seiner Show im Theater des Westens haben viele als der schönsten des Jahres gesprochen. Aber ansonsten sind es auch ganz viele neu entdeckte Acts, über die ich mich freue, Cobrah zum Beispiel. Das ist genau der Grund, aus dem ich dieses Festival auch so gerne konzipiert habe: Es ist ein Festival für Entdecker:innen.

Das Melt-Festival findet 2024 vo 11. bis zum 13. Juli statt, Tickets und Infos gibt es auf der Website.

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