Musik zum Wochenende: 20 Jahre Tour de France

Musik zum Wochenende: 20 Jahre Tour de France

Musik. 9. Juli 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Redaktion

Dieses Jahr wird Kraftwerks letzter Streich 20 Jahre alt. Der ultimative Soundtrack für ewige Duelle am Col du Tourmalet, stundenlange, gemächliche Sportübertragungen und Hobbyausfahrten die nach 10km schon im tiefroten anaeroben Bereich landen. Tour de France!

Wir befinden uns gerade mal in der ersten Tourwoche, doch schon drohte es de facto bereits zu enden. Am Col du Tourmalet setzte Jonas Vingegaard eine mit Spannung erwartete Attacke, die den Kampf ums Gesamtklassement beenden könnte. Hinter ihm klebt Tadej Pogacar, einer der beiden Topfavoriten, der tags zuvor am Col de Marie-Blanque schwer angeknockt bereits geschlagen wirkte. Vingegaard scheint in berauschender Form zu sein, sein Widersacher dagegen wirkt verletzlich. Doch Pogacar trotzt Vingegaards Ansturm und kann seinerseits eine empfindliche Attacke setzen, die ihn im Klassement wieder an seinen Rivalen heranführt. Die Tour lebt!

20 Jahre zuvor spielten sich an gleicher Stelle nicht weniger dramatische Szenen ab. Jan Ullrich, angezählt nach seinem Skandaljahr samt Ecstasy-Sperre, fährt im mintgrünen Bianchi-Trikot eine sagenhafte Tour und treibt seinen Widersacher Lance Armstrong an den Rande einer Niederlage. Am Tourmalet setzt er zur Attacke an – erfolglos. Beide rollen Rad an Rad dem letzten Anstieg der 15. Etappe entgegen, an der sich eine der ikonischen Szenen des Radsports abspielt. Armstrong, in Gelb, bleibt an einem gelben Beutel eines Fans hängen und stürzt. Ulle, ein Sportsmann, wartet auf den verunglückten Kontrahenten und kann in der Folge dessen finale Attacke nicht mehr abwehren. Armstrong "gewinnt" die Tour. Es ist das hochspannende Ende der Tour, die in diesem Jahr das 90. Jubiläum feiert. Anlässlich dieser Feierlichkeit setzten sich die Düsseldorfer Roboter ein letztes Mal zusammen und veröffentlichten ein Album, das so zeitlos ist, wie die alljährlichen Duelle jenseits der Belastungsgrenze, in den Gebirgen Frankreichs.

Hütter und Schneider, selbst große Radfans, verneigen sich mit Tour de France vor dem Sport und komponieren den ultimativen Cycling Sound. Schon das Cover kommt gefährlich schnell um die Ecke geschossen und bereitet uns auf die ersten 20 Minuten des Albums vor. Etappe 1 bis 3 ist konstanter Druck auf den Pedalen. Die Laufräder fliegen mit Rückenwind über die Straße, angetrieben von 16tel Hi-Hats, stakkato Synthies und Robostimmen: Tour de France dü düü dü düdü! Wenn Kraftwerk eines in Perfektion beherrscht, dann sind es die simplen Melodien. Mit dem c-moll Motiv im Ohr rollen wir dem gemächlichen 'Vitamin' entgegen. Die Fahrer packen Riegel und Gels aus, das Peloton schwappt in bunten Trikots durch malerische Orte. Der Infotainment Teil der Tour beginnt und die Kommentator:innen liefern uns heiße Facts über den süßen Honig der Region oder die baskische Cidre-Kultur.

Gut gestärkt kommt in 'Aéro Dynamik' wieder mehr Hektik auf. Die Ellenbogen werden in der dichten Massenankunft ausgefahren, die Sprintzüge formieren sich und treiben das Tempo der 60 km/h Marke entgegen. Gedrängel, Stürze, Manöver am Rande der Legalität und ein letzter explosiver Antritt für die Punkte des grünen Jerseys. 'Elektro Kardiogramm' ist dann der Track für die Anwärter auf das maillot à pois rouges. Es geht den legendären Anstiegen entgegen, der Atem wird schwer und der Herzschlag ist im roten Bereich. Einsam und bei flimmernder Hitze quälen sie sich die Haarnadeln von Alpe d'Huez hinauf, befinden sich bei 24% Steigung am Col de la Loze fast im Stillstand. An diesen Bergen entscheidet sich, wer ein paar Tage später gut gelaunt bei einem Gläschen Sekt in Gelb durch das Arc de Triomphe fahren darf. Dazu läuft der versöhnliche Titeltrack mit seinen luftigen Melodien und schimmernden Arpeggios.

Kraftwerks letzter großer Wurf ist der perfekte Soundtrack für das jährliche Spektakel im Juli. Für die ganz großen Duelle Rad an Rad. Fürs Wegdösen bei fünf Stunden Sportübertragung und 34 Grad Außentemperatur. Und es ist mein persönlicher Soundtrack, wenn ich mich am Wochenende in meiner gut gepolsterten Windelhose aufs Rad schwinge und den gefürchteten brandenburgischen Pyrenäen mit seinen Steigungen von 1-2% trotze. Lautmalerischer und besser wurde das Radfahren nie vertont. Tour de France dü düü dü düdü!

https://www.youtube.com/watch?v=Dwqyf9gOXws

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