Musik zum Wochenende: Mozart, 808s and Artificial Heartbreaks

Musik zum Wochenende: Mozart, 808s and Artificial Heartbreaks

Features. 24. Februar 2023 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Redaktion

Die Aufregung in den sozialen Netzwerken ist groß. Grund dafür ist das jetzt schon lang anhaltende Hype-Thema Nr. 1, genannt Künstliche Intelligenz. Die Musik hat zwar noch kein ChatGPT oder DALL-E, doch deren Strahlkraft reicht nun auch in die Debatten rund um das künstliche Musizieren hinein. Jüngst äußerte sich ausgerechnet David Guetta zu der Thematik und sorgte für Gelächter. Dabei war sein Gedanke eigentlich sehr klug, sein musikalischer Akt bisweilen sogar genial.

Nun gut, ein bisschen übertreiben muss man im Online-Journalismus immer. Ob man Guettas Einsatz des KI Eminems gleich als genial bezeichnen muss, liegt im Auge des Betrachters. Was er jedoch tat und anschließend darüber sagte, eröffnet einen riesigen Raum, in dem wir auf unzählige weiterführende musikgeschichtliche Betrachtungen stoßen, dessen einzelne Fäden wir für die Zukunft unserer Musik auch dringend weiterführen müssen. Doch was hat der Franzose überhaupt gemacht?

"KI ist die Zukunft der Musik", sprach David Guetta. Das klingt gewichtig, aufregend, headline-worthy. Da trifft es sich natürlich gut, dass sowas ausgerechnet von dem immer etwas bräsig wirkende Kirmes-DJ kommt, der sich mit Shoutouts und abgestumpftem Daueralarm gerne mal zum Clown macht. Die Witze dazu liegen quasi auf der Straße. Anlass dieses Statements war eine Zeile von Eminem, die Guetta während eines Sets abspielte. Nur war das gar nicht Eminem der da rappte, sondern ein K.I Eminem. Das ist simpel und letztendlich dann doch genial, denn im Grunde hat er damit schlicht sein eigenes wirkungsvolles Sample erschaffen. Oder vielmehr erschaffen lassen. K.I tritt so als "Tool" auf, das automatisch kleine Bausteine und Formen erzeugt, mit denen wir Neues bauen können. In dieser Form führt Guetta eine Tradition automatisierter Musik weiter, die essentiell für unser heutiges Musizieren ist und deren erste Anfänge schon in frühen Zeiten zu finden sind.

"Anleitung so viel Walzer oder Schleifer mit zwei Würfeln zu componiren so viel man will ohne musikalisch zu seyn noch etwas von der Composition zu verstehen", lautet der sperrige Titel eines Würfelspiels von niemand geringerem als Wolfgang Amadeus Mozart. Der Salzburger Wunderknabe war bekennender Mathe-Fan und liebte die Permutation. Bei seinem Würfelspiel konnten die feinen Herren und Damen im Salon 16 Takte Musik per Zufall zusammenstellen, und hatten dabei schon eine durchaus beeindruckende Anzahl an Kombinationen zur Verfügung. Dieses Baukasten-Prinzip, hier noch mehr als Spiel gedacht, nahm dann so richtig Fahrt auf, als Permutation und mathematische Kombinationen von zwei schlichten Würfeln an den Computer "outgesourced" werden konnten. Bei Mozart klingt bereits das an, was für uns heute selbstverständlich ist. Automatische Prozesse, Abläufe und Bausteine werden mehr oder weniger zufällig miteinander, spielerisch wie ernsthaft, kombiniert, um neue Musik zu erzeugen.

Die komplexeste Form des Baukastens bietet die DAW, in der unzählige automatische Prozesse ablaufen. Kleiner, aber dafür umso ikonischere Formen, stellen die berühmte 808 und andere Drummachines dar. Sie bieten uns vorgefertigte Pattern, legen immer größeren Fokus auf Zufallsfunktionen und, je nach Modell, setzen einen klanglichen Rahmen mit voreingestellten Sounds, in dem wir uns spielerisch bewegen können. Presets von Synthesizern und Samplepacks sind "fertige Bausteine", auf die wir in gigantischer Fülle zugreifen können und in Effektgeräten arbeiten die vielen Algorithmen, um für uns einen Klang zu formen. Darin liegt in erster Linie ein großer Demokratisierungsprozess, denn auf Knopfdruck können wir heute, ohne auch nur etwas vom Musizieren zu verstehen, selbst welche machen. Wir können uns komplexe Akkordfolgen von Chord-Generatoren ausspucken lassen, schalten in der DAW einfach die phrygian dominant scale ein um zu solieren und erstellen in Grids und Piano Rolls, stark synkopierte und kleinteilige Rhythmen, ohne dafür, übertrieben gesprochen, überhaupt bis vier zählen zu können.

Die Technologie hilft uns im kreativen Prozess aber nicht nur, indem sie uns per Knopfdruck Gewünschtes liefert. Vielmehr fordert sie mit ihren "Fehlern", die sich aus dem technischen Aufbau (oder unserer eigenen Unkenntnis davon) erschöpfen, unser eigenes Denken heraus und besitzt das Potenzial, unsere Kreativität zu fördern, indem sie eingeschliffene Formen aufbricht. Aus eben diesen Missverständnissen und Zufällen ist schon so einige Male wunderbare Musik hervorgekommen. Wie passend für eine Gesellschaft, die die eigene Existenz nicht mehr primär aus der Fügung eines höheren Wesens ableitet, sondern auch den bloßen physikalischen Zufall als Entstehungsmythos proklamiert.

Kehren wir zu David Guetta zurück, der sich mittels künstlicher Intelligenz ein "Feature" mit Eminem erstellt. Er nennt K.I ein "Tool", das in Zukunft wie selbstverständlich dazugehört und hat damit völlig Recht. Sein Einsatz der K.I ist dabei sogar noch die simpelste und langweiligste Form der bloßen Stilkopie, vergleichbar mit einer mittlerweile gewöhnlichen 808 Kick. Als Werkzeug, das uns Bausteine liefert, ist das Potenzial der künstlichen Intelligenz unbegrenzt, da sie in Zukunft theoretisch alles vorstellbare reproduzieren kann. In dem direkten Umgang mit K.I liegt aber noch eine ungemein höhere kreative Kraft. Ihre Beschaffenheit ist, wie man an der Debatte um ChatGPT sieht, irritierend und das Vermögen in kurzer Zeit komplexe Handlungen zu vollziehen, lässt die Grenze zwischen bloßem Werkzeug und gleichberechtigten Gegenüber verschwimmen. Einen kreativen Umgang sieht man beispielsweises bei dem Musiker Benn Jordan, der ein Yamaha-Piano per K.I mit seinem eigenen Klavierspiel trainierte, um sich einen Duett-Partner zum Improvisieren zu basteln. Die K.I weist am Schluss Muster und Formen von Jordans Spiel auf, ihre Unzulänglich- und Eigenständigkeit erzeugt aber einen uncanny valley Effekt, der zwangsläufig neue Reaktionen von Jordan fordert. Diesen Effekt macht sich auch das Team von Native Alien zu Nutze. Eine bewusst chaotisch programmierte K.I wird in einer Live-Performance eingebunden, lernt in dem Moment und fordert die Musiker:innen auf der Bühne mit ihrem eigenen Output heraus.

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Künstliche Intelligenz ist, wie Guetta es sagt, tatsächlich die Zukunft der Musik. Vor allem dann, wenn wir es als Werkzeug begreifen, mit dem wir kreatives Potenzial freisetzen. Das ist natürlich die rein optimistische Sicht auf künstliche Intelligenz. In seinem Jubel berührt der EDM-Star aber auch noch andere Themen, unter anderem das Urheberrecht. Dazu kommen die vielen dystopischen Szenarien, die die Thematik umwehen. Neben den Science-Fiction Untergangszenarien, gibt es bei der künstlichen Intelligenz auch ganz reale Gefahren, die sich größtenteils in den Stichwörtern digitaler und Überwachungskapitalismus bündeln. Aber dem widmen wir uns an anderer Stelle.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Benn Jordan , David Guetta , Künstliche Intelligenz , Mozart , Musik zum Wochenende , Native Alien

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