Nachbericht: Krake Festival 2020 (Digitale Edition)

Nachbericht: Krake Festival 2020 (Digitale Edition)

Features. 22. Dezember 2020 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Das Krake Festival feierte vom 11.-13. Dezember 2020 seinen zehnten Geburtstag digital über drei Tage. Wir haben uns das Festival angesehen – denn die diesjährige Digitalausgabe ist wohl die größte Produktion des Krake-Teams und hat nicht nur uns und Krake-Fans begeistert, sondern auch zur Sichtbarkeit von elektronisch-experimenteller Clubkultur im Jahr 2020 beigetragen.

„Upsi, wie viel Uhr ist es eigentlich?“, „Shit, ich muss mich beeilen, ich muss doch noch zum Festival!“ – lange habe ich solche Sätze nicht von mir gehört. „Live“-Streams, so wie ich sie seit März kenne, gibt es mittlerweile meistens anschließend bei YouTube oder fangen quasi – wie in einer Mediathek – dann an, wenn ich Zeit und Lust habe. Anders ist es beim diesjährigen digitalen Krake Festival: wer hier zu spät kommt, verpasst etwas. Also schnell den zerkochten Reis auf den Teller, fix rüber vor den Laptop, Ticketcode kopieren, eingeben und los.

Trippen mit Aliens

Der Freitagabend, also der erste von insgesamt drei Festivaltagen, ist rückblickend mein Lieblingsfestivaltag. Aus verschiedenen Gründen: Das Krake Festival hat mit der Digitalausgabe eine wahnsinnig vielfältige, clubbige, zeitgenössische Kunstshow präsentiert, was aus meiner Sicht besonders für den ersten Tag gilt. Unfassbar viel Aufwand und Arbeit stecken in den Beiträgen, die allesamt perfekt getimet, over the top und spannend sind. Bis auf, und das hat wohl auch etwas mit den Sehgewohnheiten zu tun: Ich fand es nie langweiliger, einen einzelnen DJ – in diesem Falle Shed – anzuschauen, wenn ich vorher drei DJs plus Küchencrew, eine Alienshow und trippige Facefilter-Videos von verschiedenen Liveacts gesehen habe.

Beim Freitagsclosing, also besagtem DJ-Stream, bin ich dann letztlich, epic fail, eingeschlafen. Sorry, Shed. Aber auch das passiert in diesen Zeiten und auch das ist eine Story – denn sowas ist mir natürlich noch nie im Club passiert. Im Club geht’s immer weiter, da pennt niemand ein; wenn man dort irgendeiner Sache überdrüssig ist, körperlich müde wird oder die Ohren und Augen mal eine Pause brauchen, geht man eine Zigarette rauchen oder – fill in the gap. So war das damals.

Zurück zum Krake Festival. Besonders beeindruckt hat mich an diesem Abend die Performance von Devin Mohr und Jochen Kronier, die in fabulösen Alien-Suits getanzt und performt haben und dabei immer wieder aus ihrer bunten Welt heraus auf die Erde blickten.

Absolut herausragend waren für mich (unter anderem) die Facefilter-Videos und Zusammenschnitte mit Stine Omar (Easter), Nina Hynes und Eileen Carpio – die Musik war trippig, einnehmend; die Videos genauso, auch wenn, oder gerade weil, dieser Teil wesentlich unaufgeregter war als die Alien-Show.

Zwischenfazit: Digitales Sehen

Man glotzt bei solch einem ‚kurzen‘ Festivalabend mal locker vier Stunden in den Rechner. Also, klar, man schaut auch so lange in die Röhre, wenn man einen Film ansieht oder arbeitet. Aber vier Stunden lang Kunst und Performances anschauen ist – sagen wir es mal so – (noch) ungewohnt. Dazu kommt, dass mein Corona-Credo von „Lasst uns jetzt einfach das Beste draus machen, mein Gott, wie schwer kann es sein, zu verzichten?“ rissig wird, wenn man durch ein Festival, das ursprünglich für Clubs konzipiert war, (einmal mehr) schmerzlich daran erinnert wird, was so sehr fehlt – und noch lange fehlen wird: Clubs, Musik hören, Feiern, neue Menschen und deren Kunst kennenlernen, Berührung, vor einer geilen Anlage stehen, eine physische Erfahrung erleben. Man darf analog eben nicht mit digital vergleichen. Dieses Gefühl von Vermissen verfliegt aber über den ersten Abend, zumindest ist das meine Erfahrung.

Toiletten-Floor, Helena Hauff, DJ Stingray, ICK MACH WELLE (oder auch nicht)

Am zweiten Abend gab es ganze zehn parallele Streams mit zehn Crews und jeweils etlichen DJ-Streams aus unterschiedlichen Locations, die allesamt aufwendig und unter anderem von United We Stream, Arte Concert und HÖR präsentiert wurden. Helena Hauff, DJ Stingray, Hang Aoki, Drumcell und Lazercat – die Liste der Namen ist gefühlt endlos. Man kann gar nicht überall dabei sein, genau wie bei einem echten Festival. Die Streams an allen drei Tagen wurden übrigens vom Krake-Team selbst hochgejagt, angefragte Firmen waren schlicht zu teuer. Das “Festival-Club-Gefühl”, wird mit den Streams, die ich anklicke, subtiler denn je nach oben befördert.

https://www.youtube.com/watch?v=bx1uEOB5DyQ&ab_channel=ARTEConcert

Für mich persönlich gibt es gleich mehrere Highlights: der Toilettenfloor zum Chatten (open end!), Alva und Lucinee auf dem Ismus-Floor und – eigentlich – die Dokumentation ICK MACH WELLE. Auf die Dokumentation hatte ich mich ehrlich gefreut, der Stream lief leider erst viel später als geplant an. Schade! Dafür habe ich zwei neue most-fav-DJs auf meiner List of Super-DJs dazugewonnen: Alva und Lucinee. Holy. Fucking. Jesus. Das Krake Festival schafft mit seinem Line-Up, wie auch schon am ersten Tag, kreativen Output, der sich sehen und vor allem hören lassen kann.

Was wäre das nur für ein geiles Festival geworden, wenn man da wirklich hätte hingehen können, frage ich mich beim Set von Alva quasi jede dritte Minute. Das Set ist wirklich haargenau das, was ich auf dem Dancefloor suche(n würde): energiegeladen, treibend, klug aufgebaut, das ganze Paket eben.

Fazit: Beeindruckendes Festival

Da muss ich mir abschließend quasi schriftlich selbst ins Wort fallen: Das wäre kein geiles Festival geworden, das ist ein geiles Festival geworden. Für mich als Zuschauerin war es wertvoll und schön zu erleben, was Clubkultur-Festivalmacher*innen auch digital auf die Beine stellen, wie elektronische Musik auch auf weit entfernten Bühnen (nach)wirkt, wie wichtig es ist, dass elektronische Musik und die dazugehörigen Künstler*innen, Musiker*innen, Techniker*innen und Organisator*innen sichtbar bleiben. Auf diesem Niveau könnten Streaming-Festivals Zukunft haben.

Und der Afterglow, wie fühlen sich die Macher*innen nach drei Tagen durchpowern? Nico vom Krake-Festival-Team schreibt mir, dass das Feeling überwältigend gewesen sei: “Wir hatten gedacht, das wird eine kleine Ausgabe unseres Festivals, aber am Ende war es eigentlich fast die größte Produktion, die wir je hatten. Zwischendurch hatten wir das Gefühl, das bricht alles zusammen, aber wir haben es geschafft, und das ist großartig.“

Inputreich, überbordend und durchaus fordernd, ja, das war es. Das Krake Festival macht es vor: Gestreamte Festivals können funktionieren. Danke dafür.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit 2020 , Alva , Arte Concert , Berlin , Devin Mohr , DJ Stingray , Easter , Eileen Carpio , Helena Hauff , HÖR , Jochen Kronier , Krake Festival , Lucinee , Nina Hynes , Shed , Stine Omar , United We Stream

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