Das Nachtiville am Weißenhäuser Strand ist Geschichte. Schleichende Ticketverkäufe und schlechte Stimmung in der Branche sind die Gründe für die Absage, sagen die Organisatoren. Im Interview sprechen sie über fehlende Verbindlichkeiten beim Ticketkauf, über die Hürden des Festivalmachens und einen Hoffnungsschimmer im kommenden Sommer.
Techno und House mit Hotel, Sauna und Wellenbad? Das war einmal. Nach nur zwei Ausgaben wird das Nachtiville eingestellt, das haben die Veranstaltenden Ende September bekannt gegeben und reihen sich damit in eine Welle von Festival-Absagen ein. Hinter dem Nachtiville, das auf dem Gelände eines Ferienparks am Weissenhäuser Strand an der Ostsee stattgefunden hat, stecken die Macher:innen des Nachtdigital-Festivals im sächsischen Olganitz. Mithilfe eines Ticketsprints haben sie bis zuletzt versucht, den Ticketverkauf fürs Nachtiville anzukurbeln, der dennoch nicht so verlief, wie er sollte. Nikta Vahid-Moghtada hat mit Benjamin Leonhardi, einem der Hauptorganisatoren des Nachtiville, gesprochen – über das Festivalmachen in Zeiten, in denen reihenweise Clubs und Festivals sterben, über fehlendes Commitment bei Ticketkäufen und über einen Hoffnungsschimmer: Nach zweijähriger Pause findet im Bungalowdorf im Norden Sachsens die 25. Ausgabe des Nachti (früher: Nachtdigital) statt.
DJ LAB: Wie geht es dir bzw. euch mit der Entscheidung, das Nachtiville abzusagen?
Benjamin Leonhardi: Es braucht definitiv noch ein bisschen Zeit, um zu verarbeiten, dass das Nachtiville Festival nicht stattfindet. Aber wir sind froh, dass wir eine Entscheidung gefällt haben. Das ist insofern auch erleichternd, als wir jetzt weiter nach vorne blicken können.
Welche Faktoren haben euch letztlich zur Absage bewegt?
Der Ticketsprint war ein Faktor. Wir haben den Sprint bewusst angesetzt, auch um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Independent-Festivals wie unsere nur stattfinden können, wenn es auch eine gewisse Beteiligung gibt. Aber die Leute haben trotz der vergünstigten Preise nicht zugeschlagen. Wir haben das Gefühl, dass die aktuelle Stimmung in der Szene eher negativ ist und die Gäste eher zurückhaltend sind. Den Trend gibt es ja bei vielen Festivals, dass Gäste generell erst kurz vor knapp Tickets kaufen. Aber wir haben angenommen, dass das auf ein Festival wie Nachtiville, das ja wie eine kleine Urlaubsreise ist, nicht zutrifft. Es kamen also zwei Sachen zusammen: Die noch offenen Ticketverkäufe, die wir für Nachtiville benötigt hätten und gleichzeitig die eher schlechte Stimmung in der Szene mit keiner guten Aussicht auf Ticketverkäufe.
Wie viele Tickets hätten mindestens verkauft werden müssen, um eine solide Basis für das Nachtiville zu haben?
2000 Tickets hätten es schon sein müssen. Auch dann wären wir mit einem Minus rausgegangen. Aber es wäre eine Investition gewesen, um das Festival fortführen zu können. Beim ersten Nachtiville war der Andrang ja extrem groß. Aber wir konnten den Erwartungen nicht ganz standhalten. Das mussten wir natürlich entsprechend mit in die zweite Edition nehmen und uns neu beweisen.
Glaubst du, dass euch so die erste Nachtiville-Ausgabe noch in den Knochen hing?
Wir haben nach dem ersten Nachtiville sehr viel Feedback von unserer Community bekommen und das auch mit in die zweite Ausgabe genommen und umgesetzt. Aber natürlich haben wir uns einen gewissen Ruf erst wieder erarbeiten müssen. Du kannst schneller einen guten Hype erzeugen, als einen geschwächten Ruf wiederaufzubauen. Unser Festivalkonzept war zumindest für die elektronische Musikszene relativ einzigartig, in Kombination mit der Übernachtung. Und das hat uns die Hoffnung gegeben, etwas auf die Beine stellen zu können, das sehr speziell und unique ist. Und genau deswegen fällt es uns auch schwer, uns davon zu verabschieden.
Aber ist es denn ein finaler Abschied?
Never say never. Aber jetzt müssen wir erstmal den Übergang mit den Ticket-Rückzahlungen usw. gut bewältigen. Wir haben dazu noch keine Gedanken.
Auf Instagram wurde eine Summe von 200.000 Euro genannt, die ihr für die Rückabwicklung benötigt. Wie setzt sich der Betrag zusammen?
Das ist eine Mischung aus laufenden Kosten wie Gehältern, zum Beispiel für Freelancer, die ihren Job gemacht haben, für Künstler-Bookings, für Marketing, und natürlich auch Mietkosten.
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Den Ferienpark habt ihr aber nach wie vor für den Zeitraum gemietet?
Ja, wir mieten den Park in der Zeit und wenn Gäste am eigentlichen Festivalwochenende im Januar dort hinkommen und Urlaub machen, unterstützt uns das. Dazu haben wir auch aufgerufen. Und umso schöner ist, wie viel Support wir schon bekommen. Es haben einige Leute gleich nach der Absage zum Beispiel Merchandise gekauft und sich mit T-Shirts und Schals und allem Möglichen eingedeckt. Jeder Euro hilft uns.
Wie geht es danach weiter?
Nach zwei Jahren Pause kommt im August das Nachti zurück – das ist unser großer Lichtblick. Damit haben wir ein Projekt, woran wir jetzt alle hart arbeiten können und auf das wir uns mega freuen. Außerdem ist es die 25. Ausgabe. Und dieses Jubiläum soll gebührend gefeiert werden.
Wie optimistisch blickt ihr auf den kommenden Sommer? Das Nachti soll am ersten Augustwochenende stattfinden – also zeitnah zum jungen, aber schon sehr erfolgreichen Good2U Festival in Görlitz, das eine recht ähnliche Zielgruppe anspricht.
Am Ende sind alle Festivals in diesem Genre irgendwie auch Konkurrenten. Und wir schauen überall ziemlich genau hin – was wird da gemacht und wie? Für Görlitz freut es mich persönlich sehr. Es war bisher schwierig, in der Region etwas zu etablieren. Und umso schöner ist, was dort gerade entsteht. Ich glaube, ganz wichtig ist es, seiner Fanbase und Zielgruppe treu zu bleiben und genau hinzusehen: Wie geht es denen, was brauchen sie gerade? Das gilt für junge Festivals genauso wie für uns.
Mit dem Nachti (früher Nachtdigital) könnt ihr auf bald 25 Ausgaben zurückblicken und habt dementsprechend viel Erfahrung gesammelt. Ihr habt Generationen kommen und gehen sehen, verschiedene Stile, Geschmäcker und Altersgruppen ansprechen müssen. Was glaubst du, womit ein Festival gerade die junge Zielgruppe ansprechen kann?
Diese Frage stellen wir uns auch. Das Nachtdigital-Publikum war nie ganz jung, sondern eher so die Mittzwanziger und aufwärts. Aber generell hat die Frage viel mit Zuhören zu tun und damit, das Programm für seine Zielgruppen zu gestalten. Wir haben keine Strategie, die speziell darauf zugeschnitten ist, junge Leute zu akquirieren. Und es gibt ja noch eine, sagen wir "mittelalte" Zielgruppe, die immer noch gerne zu Festivals geht. Es ist nicht so, dass das mit 30 plötzlich aufhört. Und entsprechend ist für uns die Herausforderung, die gesunde Mitte zu finden: Wir wollen uns treu bleiben und gleichzeitig Neues wagen. Ich glaube, es ist auch eine Sache der Ticketpreise. Junge Menschen, die sich vielleicht gerade in der Ausbildung oder im Studium befinden und mit wenig Geld zurechtkommen müssen, müssen sich bei den heutigen Ticketpreisen von 200 Euro aufwärts für ein Festival entscheiden. Darauf muss man als Festival wahrscheinlich reagieren, zum Beispiel in Form von Vergünstigungen, um ein Stück weit Inklusivität zu gewährleisten.
Ist das etwas, das ihr auch in Erwägung zieht?
Ja, auf jeden Fall. Wir werden vergünstigte Soli-Tickets anbieten und sind schon gespannt, wie diese angenommen werden.
Was plant ihr sonst noch Neues für die nächste Nachti-Ausgabe?
So viel kann ich schon verraten: Wir haben uns vorgenommen, mehr Kleinprojekte ins Festival zu integrieren, was bedeutet, dass es während des Festivals mehr kleine Sachen zum Mitmachen und Erleben geben soll. Und natürlich legen wir viel Wert auf das musikalische Programm, auf das sich jeder freuen kann. Ansonsten wollen wir nach der zweijährigen Pause dafür sorgen, dass unsere Nachti-Gäste ankommen und sich zu Hause fühlen.
Was braucht es aus eurer Sicht als Festivalmachende, damit es wieder bergauf geht?
Ich glaube, ganz wichtig ist ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass solche Independent-Projekte, wie wir sie machen, nur funktionieren, wenn sich die Leute frühzeitig dazu committen. Und das geht eben nur in Form von Ticketkäufen. Zu sagen: "Ja, wir sind dabei." Man kann ein Festival nicht planen, wenn man nicht weiß, ob 200 oder 2000 Leute kommen. Immer mehr Clubs schließen und Festivals müssen absagen. Und was uns daran besorgt, ist, dass es so nebenbei passiert. Wo bleibt der große Aufschrei? Um unsere Lieblingsorte in der Szene zu erhalten, braucht es gemeinsames Engagement: Geht raus, zeigt Präsenz und unterstützt eure Szene, wo immer ihr könnt – sie ist es wert.
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