Overmono im Porträt: "Es gibt Tutorials über unseren Sound?"

Overmono im Porträt: "Es gibt Tutorials über unseren Sound?"

Features. 28. Mai 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

"Haben wir heute schon über Coachella gesprochen?", fragt Ed Russell. Eine Zoom-Kachel weiter streicht sich sein Bruder Tom über die Glatze. "Ich weiß es nicht, einmal vielleicht?" Er grinst, Ed gähnt. Beide kommen gerade aus den USA. Als Overmono spielten sie an zwei Wochenenden beim berühmtesten Musikfestival der Welt, davor waren sie für Gigs in Australien, in ein paar Tagen steigen sie in den Flieger Richtung Holland.

Neben Fred Again und Four Tet sind Overmono gerade die UK-Exports auf internationalen Dancefloors. Bevor sie über ihr erstes Album sprechen, müssen deshalb die neuen Verhältnisse geklärt werden. Schließlich sind nicht nur die Bühnen, Crowd und Ringe unter ihren Augen größer geworden. Sondern auch ihr Bock auf Beats, die den UK-Sound der Vergangenheit einsackeln und ihn in die Pop-Charts der Gegenwart kippen.

Ed und Tom mögen manch älteren Clubseelen noch von ihren Soloprojekten Tessela und Truss in Erinnerung sein. Der eine produzierte 2-Step-Hymnen für die Garagen-Sause. Der andere drehte Kickdrums durch den Verzerrer, bis nur noch stumpfe Gewalt übrig blieb. Beide standen für einen Sound, beide waren damit erfolgreich. Ed spielte beim Dekmantel, Tom legte im Berghain auf. Doch egal wo sie als Tessela oder Truss ihre USB-Sticks einstöpselten: Das Publikum hatte Erwartungen an ihre Sets, die beschränkter waren als die Ambitionen von Ed und Tom Russell.

2016 mieteten sie eine Hütte im walisischen Hinterland und sperrten sich mit Drumcomputern und Synthesizern ein. Nach zwei Wochen war Overmono geboren. 'Arla', die erste Platte auf XL Recordings, erschien – ein erster Zwischenstopp auf "ihrem Ride", wie Tom sagt. Einer, der Jahre später zum Chart-Erfolg führen sollte. Zieht man sich den Boiler-Room-Gig aus dieser Zeit rein, weiß man, wieso. Verstolperte Beats, aus Rave-Nostalgie gewonnene Melodien, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft: Sie alle waren in Spuren schon im Sound enthalten, den Overmono inzwischen mit Vocal-Vibes über Festivalbühnen ballern.

Zwischen Club und Psychoanalyse

Das neue Projekt habe ihnen die Freiheit gegeben, die Grenzen ihrer Soloprojekte zu vergessen und neue Wege einzuschlagen, sagt Tom. Nicht mehr nur der Club sei das Ziel gewesen. Schließlich haben beide gewusst, dass man noch andere Feelings in sich trage. "Als ich als Jugendlicher in Clubs unterwegs war, wollte ich Musik hören, bei der ich mir dachte: 'Holy fuck, was war das?'", so Ed, der als 15-Jähriger nach London ausbüxte, um sich mit gefakten IDs ins Fabric zu schummeln. "Je älter ich wurde, desto stärker änderte sich das. Mit Mitte 30 will ich nicht mehr nur ausflippen, sondern eine emotionale Verbindung zur Musik haben. Eine, die mich auf einer tieferen Ebene berührt."

Overmonos Debütalbum 'Good Lies' verbindet beides – den Club mit der Psychoanalyse, die Ekstase mit der Reflexion, das Ausflippen mit der Berührung. Es ist das Ergebnis von einem Dutzend EPs, die seit 2016 erschienen sind. "Wir sind immer auf der Suche nach einem bestimmten Gefühl, wenn wir Musik schreiben", so Ed. Ein Gefühl, das sich zwischen Euphorie und Melancholie bewege, aber nie fassen lässt. "Nur so können die Leute unsere Musik auf unterschiedliche Weise interpretieren. Man kann den schlimmsten Tag seines Lebens haben und Trost in den Tunes finden. Gleichzeitig kann man unsere Songs hören und sich dabei unglaublich fühlen. Das wollen wir mit unserer Musik erreichen."

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Inzwischen hören auf Spotify jeden Monat 700.000 Menschen zu. YouTube-Producer bauen den Overmono-Sound in Tutorials nach. Außerdem ist die Distanz von DJ-Booth und Dancefloor gewachsen. Leute, die zu ihren Shows kommen, filmen öfter mit, als sie tanzen. Dafür kennen alle jeden Song. Natürlich, das sei alles anders, als in einem kleinen Club vor 200 Leuten aufzulegen, sagt Tom, während er sich in seinem Bürosessel zurücklehnt und die Finger zur Raute verschränkt. "Die Sache ist: Ich liebe sowohl das Intime als auch das Große. Beides erfüllt mich mit unterschiedlichen Gefühlen der Befriedigung."

Es gehe um die Art der Nähe, die man mit dem Publikum eingehe, unterbricht ihn Ed. Während man in einem kleinen Club eine persönliche Beziehung zu den Menschen auf dem Dancefloor aufbaue, könne man auf größeren Bühnen und vor Tausenden Menschen ein kollektives Erlebnis auslösen. Dieses Erlebnis speist sich nicht nur aus ihrer Musik. Wer sich die Videos von ihren Auftritten beim Coachella Festival ansieht, merkt: Die Visuals sind so wichtig wie die Beats. Aufnahmen von Dobermännern, den Lieblingshunden von Ed und Tom, flackern auf Blockbuster-Videowalls, als hätte sie jemand in einem Eimer voller Regenbogenfarben aufgelöst.

Dobermänner auf Tour

Auf dem Albumcover hechelt ebenfalls ein Dobermann. Rollo Jackson, Kameramann aus London, hat ihn Szene gesetzt – genauso wie für die letzten EP-Covers von Overmono. Jackson dreht sonst Musikvideos für Danny Brown oder Squarepusher, manchmal auch Werbung für Mercedes oder Apple. Für Overmono ist er so etwas … "wie unser neuer Art Director", sagt Tom. Rollo fotografiert, der Visual-Artist Chris Innerstrings haucht den Bildern Leben ein. Ed spannt seine Mundwinkel zu einem breiten Lächeln. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie cool es ist, die Bilder plötzlich auf riesigen LED-Wänden zu sehen!"

So cool all das aussieht: Warum ausgerechnet Dobermänner? Ed stöhnt, weil er wusste, dass die Frage kommen würde. "Na ja, sie gelten als eine der intelligentesten Hunderassen der Welt, sie lernen schnell und werden deshalb als Wachhunde eingesetzt. Aus diesem Grund genießen sie einen schlechten Ruf. Die Leute denken, dass sie zu aggressiven Hunden abgerichtet werden und dass man ihnen die Ohren kürzt, damit sie bösartiger aussehen." In Wirklichkeit seien Dobermänner genauso lieb wie andere Hunde. "Wir wollen sie in ihrem natürlichen Zustand zeigen. Verrückt, verspielt und majestätisch."

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Ein Blick auf ihren Tourkalender verrät: Overmono werden diesen Sommer zu Botschaftern von Dobermännern. Sie lassen ihre Hunde bei Festivals im UK und in Italien von der Leine. Sie legen das Geschirr auf Stages in Österreich und Ungarn an. Und verbreiten Doggo-Vibes auf Line-ups mit Hudson Mohawke und The Prodigy. Mit den großen Gigs fallen auch Tugenden des Tourlebens. Ein Hotelzimmer müssen sich die beiden nicht mehr teilen. "Dabei habe ich es genossen, Ed am Morgen aus dem Schlaf zu schrecken", sagt Tom.

Übrigens: Über das Coachella Festival haben die beiden auch gesprochen. "Unglaublich" sei es dort gewesen. Während beide wie Lausbuben in ihre Laptopkamera grinsen, erspare ich uns die Notlüge. Tom hat sowieso eine bessere auf Lager. "Ich hab wirklich eine schöne Gesangsstimme", grinst er. "Die werdet ihr bald hören", meint Ed. "Er hat die Vocals auf einem unserer Songs eingesungen. Der Part hat es zum Glück nicht auf die Platte geschafft. Wir sollten den Song aber bei unserer Jubiläumstour spielen!"

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Veröffentlicht in Features und getaggt mit Coachella , Overmono , Porträt , Rollo Jackson , Tessela , Truss , XL Recordings

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