Porträt: Move D & Benjamin Brunn
© Dmitry Korobov

Porträt: Move D & Benjamin Brunn

Features. 5. April 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Wenn du dich mit Synthesizern beschäftigst, ist die Ansage ja direkt klar, dass du dich vermehrt mit dem Experimentieren und Gestalten von Klängen auseinandersetzt und dich nicht mit konventionellen Sounds oder Presets zufrieden gibst.

Musik zu veröffentlichen ist immer ein ganz besonderer Moment, denn es ist der Punkt, der kein Zurück mehr kennt. Man gibt die Kontrolle über seine eigene Kunst auf und sie wird Teil der Öffentlichkeit. Viele MusikerInnen beschreiben diesen Moment als einen sehr fragilen aus Freude, Erleichterung aber auch Anspannung, denn niemand kann die Rezeption eines Album oder einer EP vorhersagen. Manche werden zu gefeierten Klassikern, andere haben wiederum eine sehr kurze Halbwertszeit. Es gibt aber auch Alben, die trotz ihrer hohen Qualität weit unter dem Radar fliegen. Für Julius Steinhoff und Just von Ahlefeld von Smallville Records ist ‘Let’s Call It A Day’ von Benjamin Brunn und David Moufang aka Move D eines dieser Alben. 14 Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien ‘Let’s Call It A Day’ in einer Reissue zum ersten Mal auf Vinyl und so sorgte Smallville dafür, dass Benjamin und David ein zweites Mal den Moment durchleben, ihre Platte an die Öffentlichkeit zu bringen.

„Es ist tatsächlich ein Weilchen her, seit ich das Album zuletzt gehört habe, deswegen war es so interessant, als die Testpressung ankam“, so David. Ich glaube, die Reihenfolge wurde etwas geändert, das ist mir als Einziges aufgefallen. Ansonsten hatte ich vieles davon gar nicht mehr auf dem Schirm. Dass es jetzt das erste Mal auf Platte ist, ist für mich als DJ, obwohl es ja keine Musik zum Auflegen ist, doch nochmal eine ganz andere Qualität und aufregend.“ Für Benjamin gilt das Gleiche, der das Album seit der Veröffentlichung nicht mehr gehört hatte.

Erst Ende 2017, als Smallville anfragte, ob die beiden Material für einen Nachfolger ihrer LP 'Songs From The Beehive' haben, ließ Benjamin seine alten Arbeiten Revue passieren. „Wir mussten das leider verneinen, da es uns seit Langem sehr schwerfällt, ein paar gemeinsame Tage zu organisieren. Stattdessen kam die Idee mit der Vinyl-Veröffentlichung von ‘Let's Call It A Day’ auf und ich entdeckte es quasi neu für mich. Normalerweise fällt es mir schwer, mein eigenes Material anzuhören, wenn es erst einmal veröffentlicht ist. Das trifft für die Sachen mit David viel weniger zu.“

Move D & Benjamin Brunn Let's Call It A Day Cover
Cover von 'Let's Call It A Day'

Betrachtet man den Werdegang der beiden, war es eigentlich schon vorgezeichnet, dass sie sich irgendwann einmal zusammensetzen und scheinbar mühelos den gemeinsamen musikalischen Dialog zu einem der stärksten Alben ihrer Diskografie formen werden. David setzte 1995 bereits mit seinem Debütalbum ‘Kunststoff’ ein Ausrufezeichen und vier Jahre später erschien Benjamins Platte mit dem Titel ‘Fahrstuhlmusik’, eine Bezeichnung, die ein Freund seiner Musik verlieh. Was ihre Diskografie vereint, ist ein Hang zur größtmöglichen Freiheit, wodurch nahezu jede Kategorisierung von Ambient über Electronica bis hin zu Techno oder Deep House legitim erscheint.

Mit dieser Prämisse trafen sie sich dann auch für die Aufnahmen zu ‘Let’s Call It A Day’ (hier in der Rezension), die geprägt ist von Improvisation, Reduktion und auch einer gewissen Unbekümmertheit. „Das war jetzt keine Arbeit, wo man vorher zwei Wochen drüber nachgedacht hat. Hier und da haben wir von einem längeren Take was abgeschnitten, aber grundsätzlich wurde da nichts nachträglich übereinandergeschichtet“, beschreibt David die Arbeit an dem Album. „

Für mich ist dieser Weg auch die einzig würdige Form der Kollaboration. Wenn ich mit jemandem was zusammen mache, möchte ich, dass es in dem Moment dann auch aufgenommen wird. Sonst wird ja doch nur wieder ein halbes Solo-Teil daraus.“ Was man auf ‘Let’s Call It A Day’ hört, ist demnach das Gespräch zweier Musiker, aufgenommen während einer großen Echtzeit-Session.

Ein paar Spuren gehörten Benjamin, der hauptsächlich mit dem Nord G2 seine Sounds einbrachte, während David Chords und Drums einstreute. Heraus kamen sieben Tracks, die sich fernab von dramatischen Höhepunkten und einer Zuspitzung auf Peak-Momente bewegen, deren große Kraft vielmehr in der ihr innewohnenden Ruhe liegt. Es ist Musik, die HörerInnen nicht in bestimmte Richtungen lenken will und keine klare emotionale Geschichte vorgibt, stattdessen gibt sie die Möglichkeit, in den Klängen die eigenen Gedanken und Emotionen zu finden. Vermutlich liegt genau darin auch ihr zeitloser Charakter.

Move D und Benjamin Brunn im Porträt-Interview.
Benjamin Brunn & Move D

Zur Realität dieser Musik gehört aber auch, dass sie sich durch ihre Sonderstellung ihren Platz in dem großen Zirkus der elektronischen Musik erkämpfen muss. Es ist kein Geheimnis, dass sich durch Streaming und dem damit verbundenen Rückgang von CD- und LP-Käufen MusikerInnen hauptsächlich durch Auftritte finanzieren. Doch wohin mit einer Musik, die eben nicht nachts auf der Tanzfläche für Ekstase sorgt, sondern vielmehr für den heimischen Hörgenuss konzipiert wurde? Vereinzelt geben Festivals die Möglichkeit, dazu live zu spielen oder man performt zwischen zwei DJ-Slots während einer Clubnacht. Hierbei besteht aber laut David auch eine Gefahr, sich Macken anzugewöhnen, die der eigenen Musik eher schaden:

„Man neigt schnell dazu, dann doch wieder Momente einzubauen, von denen man weiß, dass die so auch direkt auf der Tanzfläche funktionieren. Dadurch verliert man dann auch das Vertrauen in die eigene Musik und bedient wieder etwas, für das es eigentlich nicht gemacht ist.“ Während er hauptberuflich Musiker bleibt und viel als DJ unterwegs ist, hat sich Benjamin vom Clubkontext weitgehend entfernt.„ Im Herzen bin ich mit Ambient verbunden und wahrscheinlich hätte ich immer Ambient machen sollen. Tanzbare Stücke zu machen ist für mich immer ein Versuch gewesen, der es nie richtig geschafft hat. Ich bin dazu gekommen, mich mit House-Tracks zu beschäftigen und ich hatte Spaß daran gefunden, Platten in Clubs aufzulegen und folglich auch meine eigene Musik in diese Richtung zu entwickeln. Heute bereue ich das etwas, weil die Ergebnisse daraus leider nicht die Zeitlosigkeit besitzen, die ich mir im Nachhinein wünsche. Ich möchte Musik machen, die frei ist und keine Zuordnung hat.“

Diese Freiheit nahm sich Benjamin zuletzt unter anderem mit seinem Pseudonym Chrome Plated Diamonds oder aber mit seinem letzten Album, das bisher nur als Vinyl erschienen ist, welches er aber gerne noch digital veröffentlichen will. David hat ebenfalls 2019 sein Album Building Bridges released, ob beide zusammen demnächst aber wieder neue Musik präsentieren werden, ist dagegen unklar. Material ist laut David noch aus älteren Sessions der beiden vorhanden, aber bis dieses das Licht der Welt erblicken wird, richten sie mit ‘Let’s Call It A Day’ erst einmal den Blick zurück. Denn auch wenn es sich um eine Reissue handelt, ist dieses Album am Ende des Tages für viele HörerInnen neu.

Move D und Benjamin Brunn im Porträt-Interview.

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