Die elektronische Szene liegt derzeit so ein wenig im Sterben: kein Geld für Produzenten, weniger Geld für Remixe, dafür aber sehr viel Geld für DJs. Das ist nicht normal.
Solche Aussagen und generelle Kritik an der Szene liest man immer häufiger. Klar, denn dort, wo künstlerische Szenen auf einmal mit viel Geld und Industrie konfrontiert werden, sollte man etwas genauer hinschauen. Das muss man nicht direkt alles von Grund auf verteufeln, doch sollte man sich die Integrität bewahren. Und wenn Musiker wie Ripperton solche Aussagen tätigen, dann hat das Ganze gleich viel mehr Gewicht. Denn der Schweizer ist seit über zehn Jahren Teil der Szene, prägte sie mit, entwickelte sich mit ihr. Die meiste Zeit aber schwamm er nicht etwa mit dem Strom, vielmehr erschuf Ripperton seinen eigenen Strom, der all die Jahre durch die House- und Techno-Szene floss. 2006 erschienen seine ersten EPs.
Es ist die Zeit des Minimals, an denen auch Ripperton sich zunächst orientiert. Doch anstatt nach einer Formel zu produzieren, findet sich in seiner Diskografie schon früh die Verspieltheit und Experimentierfreudigkeit wieder. Auf Tracks wie 'Zugunruhe' klingen Deep-House-Elemente an, 'Folks And Flakes' ist geprägt von emotionalen und uplifting Melodien, 'Zeitgeist' dagegen ist eine düstere Minimal-Reise.
"Ich würde lieber scheitern mit dem Gefühl, es versucht zu haben, als auf Vorsicht zu spielen. Vorsicht ist schlecht für die Inspiration." Zwar bezieht sich diese Aussage auf seine DJ-Sets, doch lässt sich dieses Credo mühelos auf Rippertons gesamte Haltung zu seiner Musik beziehen. Es ist das Spiel mit dem Unerwarteten und Überraschenden, sowohl für ihn als auch für seine HörerInnen. Dann gibt es mal dreckigen Detroit Deep House, Dub, der sich auch vor poppigeren Noten nicht scheut, oder eben organischen Trip-Hop. In dieser Haltung liegt auch Rippertons Kritik an einer "Better-safe-than-sorry"-Attitüde innerhalb der Szene. Kritik daran, dass DJs "den Blick dafür verlieren, dass sie anderer Leute Musik spielen".
Kritik an zu viel Imagepflege und Insta-Stories, wenn DJs zu Brands und Sound zur Corporate Identity wird. Vielleicht liegt es auch daran, dass Ripperton, der recht abgeschieden in der Schweiz wohnt, sich etwas von der Tanzfläche zurückgezogen hat und dieses Jahr mit Contrails sein zweites Ambient-Album auf ESP Institute veröffentlichte. Wobei er selbst den Begriff Ambient eher ablehnt, inkludiert dieser doch mittlerweile sowohl Brian Eno als auch "generische Sauna-Musik". Nichtsdestotrotz tendiert Ripperton derzeit immer mehr in Richtung dessen, was Eno einst Ambient nannte.
"Seit meinen ersten Singles und Alben hatte ich immer Tracks ohne Beats dabei und ich mochte sie immer. Aber jetzt fühle ich mich noch wohler damit, mich außerhalb dessen, was ich kenne und gewohnt bin, auszudrücken. Das ist deutlich spannender und auch intimer, und es wird gerade zu meinem Hauptmittel, um mich musikalisch auszudrücken." Für ihn als Hörer ist Musik wie beispielsweise Tim Heckers Imaginary County, etwas, dass ihn direkt an einen anderen Ort transportiert. "Das kann House-Musik wie etwa I:cube live im Planetarium oder Evan Marc & Steve Hillages Dreamtime Submersible auch, aber dort ist es deutlich seltener, um ehrlich zu sein."
Der Genuss der guten Dinge und Musik im Verbund mit Natur
Dass auch House dieses Gefühl erzeugen kann, zeigt Rippertons neustes Projekt. 2011 gründete er das Sublabel Tamed Musiq. Neben seiner eigenen Musik veröffentlicht er dort unter anderem auch EPs von Deetron, Quarion oder letztes Jahr das gefeierte Album 'Upstream Colors' von Iron Curtis. Mit 'Ripperton presents Zendama' erscheint nun die erste Compilation auf Tamed Musiq. Darauf versammeln sich neben Ripperton selbst verschiedene MusikerInnen wie Mary Yalex, Matt Karmil oder Jackmate. Aus dem japanischen übersetzt heißt Zendama in etwa "guter Mensch/gute Dinge" und der Name spiegelt auch den Entstehungsprozess des Samplers wider. Einerseits spielten fast alle, die dort vertreten sind, bereits bei Rippertons 'To The Blaze' (eine Partyreihe in seiner Heimatstadt Lausanne), andererseits war die Auswahl der Tracks selbst eine der angenehmeren Dinge für ihn.
"Ich hab nicht nach etwas Speziellem gefragt, sondern einfach immer bessere Tracks bekommen. Ich musste dann eine Auswahl treffen, aber die war relativ einfach dank der großartigen Produzenten und Produzentinnen. Wenn ihr mich an den Tagen, als ich die Tracks bekommen habe, hättet sehen können... das Lächeln bekam ich gar nicht mehr aus dem Gesicht." Wie Rippertons Diskografie ist auch dieser Sampler geprägt von der Überraschung und von der Vielfalt, denn in Zendama spiegelt sich der eigene DJ-Geschmack.
Für die unmittelbare Zukunft ist jetzt erstmal nichts Verbindliches geplant. Vielmehr will Ripperton jetzt den Release des Samplers genießen. Ein paar Projekte warten zwar noch darauf, beendet zu werden und auch einige Remixe und Clubtracks wird es geben, doch es sind gerade andere wichtige Dinge, die ihn beschäftigen: "Ich habe mich in den letzten Jahren viel damit beschäftigt, was auf unserem Planeten passiert. Vielleicht sogar ein bisschen zu viel und jetzt muss ich da erstmal drüber wegkommen." Das Ungleichgewicht zwischen Natur und unserem Lebensstil ist eine der Kernfragen, die auch Ripperton derzeit umtreiben. Doch dabei kam er bereits zu einer Erkenntnis, die seine kommenden Arbeiten prägen könnte. "Ich denke Musik ist organisch und deswegen auch mit der Natur verknüpft, das ist die Richtung, in die ich gerade blicke." Was sich aus dieser Überlegung schlussendlich ergeben wird, ist unklar. Doch wie auch immer seine neue Musik nun klingen mag, eins ist klar: Auch mit den kommenden Releases wird Ripperton höchstwahrscheinlich wieder überraschen und in seinem eigenen Strom durch die Szene schwimmen.
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