Musik zu machen ist alles, was ich kenne. Deswegen glaube ich nicht, dass ich mich jemals von meinem musikalischen Beitrag lösen könnte, der mich definiert hat.
Ein Jubiläum ist ja immer eine schöne Angelegenheit. Die meisten geben aus diesem Anlass eine große Feier, andere wiederum nutzen diesen Augenblick, um einen nostalgischen Blick auf das Vergangene zu werfen. Der Kanadier Sheldon Thompson nutzt sein 15-jähriges Jubiläum allerdings, um neue Musik zu veröffentlichen. Sechs Jahre nach seinem letzten Album erschien kürzlich mit Scenic Route seine nun fünfte LP unter seinem Pseudonym Sid Le Rock. Auf dieser beweist er einmal mehr den Mut und die Vorliebe nicht wie der übliche Rest klingen zu wollen. Eine konstante Haltung, die Le Rocks Karriere prägt.
Vor allem sind es aber seine musikalischen Einflüsse, die er stets konserviert und auf jedem Album neu verhandelt. So schaffte sich Thompson nun über 15 Jahre eine völlig eigene Version der elektronischen Musik, die sich zwischen Tanzfläche und punkiger "Ich mach was ich will"-Attitüde bewegt. In den frühen 90ern sammelte Thompson seine ersten musikalischen Erfahrungen. "Ich war teil einer Hip-Hop-Crew und habe damals Pause-Tapes gemacht, eine frühe DIY-Form zum Beats produzieren. (Anm. d. Red: Mit einem Dual-Kassettenrecorder nimmt man Samples auf ein leeres Tape auf und kann diese somit loopen) Später kamen dann Industrial und Indierock hinzu; Genres, die mich bis heute stark geprägt haben und mich als Produzenten geformt haben."
Den Hang zum Techno erfuhr der in der Nähe von Ontario geborene Thompson nachdem er nach Windsor zog, eine direkte Nachbarstadt von Detroit. Von dort aus ging es nach Toronto, um Musikproduktion zu studieren und schließlich 2003 nach Köln, wo seine Karriere endgültig Fahrt aufnahm.
Nach einigen Releases unter seinen Pseudonymen Pan/Tone oder Gringo Grinder erblickte 2004 mit 'Written In Lipstick' das erste Sid-Le-Rock-Album das Licht der Welt und bürstet damit den zu der Zeit vorherrschenden Minimal gehörig gegen den Strich. Nicht etwa weil Thompson sich von diesem abwendet, vielmehr begreift er die Essenz des Minimals als Anhaltspunkt, um sie gehörig mit Punk- und Rock-Elementen zu vermengen. Heraus kam ein Album, das sich gerade auch im heutigen Kraut- und 80er-Hype anhört, als sei es erst gestern veröffentlicht worden.
Konsequent geradlinig drücken sich die Drums durch die Tracks, hier und da erinnern Vocals und Bässe an die Ära des Postpunsk während die warmen Synthies auf Tracks wie 'Bulldozer' nach besten Kompakt-Zeiten klingen. Mit den Jahren baute Thompson mit den Folgealben 'Keep It Simple Stupid', 'Tout Va Bien' und 'Busted With A Bag Of Bliss' seinen Trademark-Sound immer weiter aus. Wobei die anfängliche Wildheit seines Debüts mit der Zeit einem konzentrierteren Fokus weicht und auch sphärische Elemente wie auf dem Track Exhale vermehrt auftreten. Mit Scenic Route eröffnet der mittlerweile in Berlin lebende Musiker nun ein neues Kapitel seiner musikalischen Reise.
Musik wider den grauen Bart und entgegen des Verkehrslärms
Alben bilden für den Kanadier schon seit jeher die Basis seines eigenen Schaffens. "EPs sind auch cool, aber Alben geben einem Produzenten mehr Möglichkeiten Risiken einzugehen und seine eigenen kreativen Fähigkeiten zu erforschen. Momentan sterben sie zwar – in Zeiten der aufblühenden Playlisten – einen schnellen Tod, aber es gibt viele wie mich, die weiterhin alles versuchen um dieses Format wiederzubeleben.", so das passende Statement zu der unumstößlichen Haltung, die Thompson prägt. Unbeirrt von dem ständigen Wechsel und dem Einfluss von Außen erschuf er auch 'Scenic Route'. "Ja klar, vieles hat sich geändert, aber ich versuche mich von dem Meisten nicht beeinflussen zu lassen und mache Musik nach meinem Ermessen. Trends, Stilen oder was auch immer zu folgen, das ist für mich einfach zu viel ablenkender Verkehrslärm. Scenic Route, um in dem Bild zu bleiben, ist also quasi meine Brücke, die über den ganzen Stau drüberführt."
Auffällig ist bei Thompsons neuestem Werk die große Ruhe, die das Album ausstrahlt. Der Sound wirkt gesetzter und kontrollierter. Schwingt im Hintergrund der Platte noch der Punk mit, dominiert hier ein eher intimes Bild des Musikers. Eine Facette, die Thompson zuletzt auch mit seinem Alias Bellevue auslotete. Für den Regisseur und langjährigen Freund Jeff Haynes schrieb er den Soundtrack zu dessen Film Terroir Hospitality. "Ich habe dieses Projekt Anfang 2018 gestartet, weil ich mich schon immer für die Musik und Soundlandschaften in Filmen interessiert habe. Im Gegensatz zum Produzieren für den Dancefloor, war das für mich ein völlig neuer und einzigartiger Ansatz Musik zu machen. Ich hatte zwar viel kreativen Freiraum, aber die Inspiration für den Soundtrack kam direkt von der visuellen Ebene des Films."
Der Vorliebe zum Filmsoundtrack möchte sich Thompson nach 'Scenic Route' nun noch ausgiebiger widmen. Es ist die neue Inspirationsquelle, die sich für ihn nach 15 Jahren elektronischer Musik und Tanzfläche jetzt eröffnet. Eine Abkehr vom Club allerdings ist das keinesfalls und auch das Album ist trotz aller Ruhe kein Abschied. "Das Grau in meinem Bart deutet zwar an, dass ich älter geworden bin, aber mein neues Album ist keinesfalls dafür gedacht, im Altersheim zu laufen."
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