Quartalsbericht #1, 2024: "Cut to Grow" – die perfiden Wachstumsstrategien von Spotify und Co. 

Quartalsbericht #1, 2024: "Cut to Grow" – die perfiden Wachstumsstrategien von Spotify und Co. 

Features. 24. Januar 2024 | 4,9 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Im zurückliegenden "Jahr der Effizienz" verloren zehntausende Menschen ihre Jobs bei Firmen, die trotz neuerlichem Schlankheitswahn fröhlich investierten und versuchten, ihre Marktanteile und Gewinne noch fetter zu machen. Bestes Beispiel: Spotify. Dort wird das Geld nunmehr anders verteilt – überraschenderweise nicht zugunsten kleiner Artists. Das ist wohl erst der Anfang, kommentiert Kristoffer Cornils in seiner Kolumne "Quartalsbericht". Es ist an der Zeit, politisch zu reagieren.

Laut einem Bericht des Magazins Digital Music News hat die Musikindustrie in den vergangenen zwölf Monaten rund 10 Milliarden US-Dollar in vor allem Technologie-Produkte investiert, im Vorjahr waren es noch halb so viel. Das Geld hatte sie auch: Für das erste Halbjahr 2023 wurden für das Geschäft mit Musikaufnahmen, das heißt vor allem Streaming, mal wieder Rekordumsätze gemeldet. Das Gesamtvolumen der Musikbranche wird derzeit auf satte 41,5 Milliarden US-Dollar geschätzt, dabei ist das – zumindest für Giganten wie Live Nation oder hierzulande CTSEventim – extrem lukrative Live-Geschäft noch nicht einmal eingerechnet. 

Es geht also eigentlich allen sehr gut. Oder zumindest ließe sich das denken. Von den riesigen Summen sehen andere nämlich nur wenig oder nach dem zurückliegenden Jahr sogar gar nichts mehr. Denn zur gleichen Zeit strichen die am Musikbusiness maßgeblich mitbeteiligten Tech-Firmen wie Amazon, Apple, TIDAL oder SoundCloud größere Teile ihrer jeweiligen Belegschaft. Wie passt das alles zusammen, wenn wir uns außerdem vorrechnen, dass das Gros beider Industrien weitgehend gute betriebswirtschaftliche Zahlen meldet? 

Zusammengefasst wohl am besten mit dem Spruch vom "Jahr der Effizienz", mit dem Mark Zuckerberg vor gut einem Jahr die Entwicklungen der zurückliegenden zwölf Monate in Worte fasste – und vielleicht schon auch den Kurs für die vor uns liegenden ankündigte. Anders nennt es der Chefredakteur von Music Business Worldwide, Tim Ingham: Er sprach Ende November in einem Kommentar im besten Zimmerpflanzen-Millennial-Slang von einer "Cut to Grow"-Phase, die der Musikwelt bevorstehe.

Ingham verweist darauf, dass die Big Three – Universal Music Group (UMG), Sony Music Entertainment (SME) und Warner Music Group (WMG) – zwar seit Jahren personell gewachsen sind, mittlerweile aber wohl zumindest nicht mehr eifrig einstellen und insgesamt Sparmaßnahmen umsetzen wollen. WMG schmiss im März 2023 rund 270 Menschen raus und kurz vor Redaktionsschluss berichtete Bloomberg, dass UMG plane, im ersten Jahresquartal hunderte Stellen zu streichen. Auch diese Unternehmen machen nicht etwa ein Minus, sondern gedeihen prächtig. Eigentlich.

Denn angesichts von Inflation und diversen anderen wirtschaftlichen Brandherden bereiten sich Tech-Industrie und Musikindustrie mit Maximalverschlankung auf deren Fallout vor – und versuchen, mit Gewinn aus der Sache herauszugehen. Das ist keine Spekulation: Ingham hat sich die handliche Floskel "Cut to Grow" nicht selbst ausgedacht. Vielmehr zitiert er Lucian Grainge, den Chef von UMG, der nicht nur rhetorisch den Kurs der Musikindustrie maßgeblich mitbestimmt. Er war etwa derjenige, der die Einführung von den angeblich "artist-centric-Ausschüttungsmodellen bei Deezer und SpotifyApple Music könnte bald folgen – vorantrieb. 

Was uns wiederum zur Firma von Daniel Ek bringt: Spotify macht derzeit vor, was "Cut to Grow" bedeutet und wohin die Reise gehen könnte.

Content – immer noch König?

Die Floskel "Content ist König" wurde von niemand anderem als Bill Gates geprägt. Im Jahr 1996 formulierte er eine seitdem geltende Faustregel für das Geschäft mit digitalen Inhalten: Je mehr, desto besser (weil potenziell erträglicher). Das gilt in vielen Bereichen weiterhin, eine App wie TikTok etwa wurde nach diesem Prinzip erstellt und es rentiert sich für das dahinterstehende Unternehmen ByteDance mehr denn je. Aber Spotify, das Geschäft mit dem Streaming von Musik und anderen Inhalten, funktioniert nach anderen Prinzipien. Die werden gerade auf den Prüfstand gestellt.

"Die Binse, der zufolge der Content König ist, gilt nicht mehr", schrieb vor Kurzem Ariel Shapiro von The Verge im Newsletter Hot Pod. In Bezug auf die Podcast-Strategie von Spotify erklärt die Kolumnistin, dass Spotify sich zunehmend auf Werkzeuge konzentriere, die statt zur Verbreiterung des plattformeigenen Angebots vielmehr zur Vergrößerung des Geschäfts eingesetzt werden: Es geht weniger darum, die Kundschaft mit immer mehr Inhalten anzulocken, sondern umso mehr darum, ihr noch tiefer in die Tasche zu langen. 

Shapiro bezieht sich explizit nicht auf das Musiksegment des Streaming-Anbieters. Die aktuellen Entwicklungen dort sowie ein Überblick über die Zahlen zeichnen allerdings ein ganz ähnliches Bild: Der Fokus verschiebt sich vom Angebot weg, weil dieses überwältigend geworden ist. Schon im Mai verkündete das Marktforschungsunternehmen Luminate, dass mittlerweile täglich 120.000 Musikstücke (oder was auch immer so deklariert wird) auf Streaming-Plattformen geladen werden. Nun ergab eine plattformübergreifende Auswertung zum Jahresende, dass von insgesamt 184 Millionen bei diversen Services hochgeladenen Titeln mehr als 152 Millionen weniger als 1.000 Plays erhalten haben und 45,6 Millionen gar kein einziges Mal abgespielt wurden. 

Unter diesen gar nicht oder kaum gestreamten Titeln findet sich sicherlich jede Menge musikalischer Biomüll, etliche White-Noise-Cashgrabs und anderes, auf das kulturell wie wirtschaftlich verzichtet werden kann. Genauso aber mit viel Herzblut gemachte Musik, die nicht nur ihren Macher:innen viel bedeutet und nur einfach aus anderen Gründen nicht populär ist – zu komplex, zu nischig, nicht eng genug an die Infrastrukturen einer weiterhin europäisch-nordamerikanisch geprägten Musikwelt angebunden, oder vielleicht einfach nur in der Länge zu ausschweifend, als dass es ausreichend Plays generieren würde. 

Die nicht zu bestreitende Überfülle im Angebot wird von Spotify und der Musikindustrie im Gesamten indes als Argument hergenommen, um nach dem "Cut to Grow"-Prinzip all das zurechtzustutzen. Und, um ein Sprichwort zu paraphrasieren: Wer als Werkzeug eine Gartenschere hat, sieht in jeder potenziellen Ausgabe nur Unkraut. Die kleineren Artists und Labels werden damit aus der Gleichung gestrichen, um Spotify beim (Weiter-)Wachsen zu helfen.

Spotifys neues Ausschüttungsmodell

Hinter Spotify liegt eine turbulente Zeit. "Nach den meisten Maßstäben waren wir zwar produktiver, aber weniger effizient. Wir müssen beides sein", schrieb Ek in einer internen Memo über seinen Finanzvorstand Paul Vogel, der das Unternehmen im März dieses Jahres verlassen wird. Wie genau das in allen Geschäftsbereichen auszusehen hat, verdeutlichte sich Ende 2023. 

Im Sommer erhöhte Spotify in vielen Ländern die Abobeiträge und schrieb im dritten Quartal sogar schwarze Zahlen, strich gegen Ende 2023 jedoch auch 1.500 Stellen und sah daraufhin der Aktie dabei zu, wie sie nach einigen recht starken Monaten nochmals 7,5 Prozentpunkte zulegte. So geht "Cut to Grow". Zusätzlich hat sich das Unternehmen aus bestimmten Bereichen – die meisten Menschen wurden im defizitären Podcast-Segment gefeuert – sukzessive zurückgezogen und stattdessen in andere investiert, weil sie vielversprechender wirken.

In diesem Rahmen werden Konzessionen an diejenigen Unternehmen gemacht, von denen Spotify abhängig ist. Die von Grainge und anderen Vertreter:innen der Big Three und anderer großer Konzerne und Labels – grob gesagt das Gros des oberen Fünftels – geforderte Umstrukturierung des Ausschüttungsmodells auf der Plattform ist das beste Beispiel. Fassen wir es nochmal kurz zusammen:

Vordergründig sollen diese Neuerungen das Geschäft mit White Noise und Streaming-Manipulation eindämmen. Im selben Zug wird getreu Zuckerbergs Jahresmotto allerdings auch "effizienter" verteilt: Die Kleckerbeträge werden zusammengekratzt, dem großen Teig beigefügt und vom fertig gebackenen Kuchen bekommen dann diejenigen in Zukunft mehr ab, die vorher schon gut dran waren. 

Spotifys Wachstumsschmerzen

In der Major-Welt wurde auf die Neuerungen mit Zufriedenheit reagiert. Nur logisch, scheinen die Umstrukturierungen doch genau sie zu übervorteilen. Dafür spricht auch, dass einige sogar Luft nach oben attestieren: WMG-Chef Robert Kyncl etwa hat angekündigt, mit weiteren Plattformen ähnliche Deals landen zu wollen, und auch Grainge möchte das "artist-centric"-Modell im Streaming-Bereich noch weiter pushen und mehr auf sogenannte "Superfans" zuzuschneiden. 

Der sprichwörtliche Kuchen, erklärte Grainge in seinem traditionellen Neujahrsrundschreiben an die Belegschaft, sei nun effizienter verteilt worden. Jetzt müsse er in Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Spotify dazu gebracht werden, weiter zu – wieder dieses Wort – wachsen. Der Verweis auf sogenannte Superfans ist in diesem Kontext deshalb interessant, weil er die wirtschaftliche Marschrichtung des vor uns liegenden Jahres vorzugeben scheint: Einer noch spitzeren (und spendierfreudigeren) Zielgruppe soll von den Plattformen in Zusammenarbeit mit den Big Three noch mehr Geld abgenommen werden. Das deckt sich mit dem, was Shapiro in ihrer Analyse von Spotifys Podcast-Strategie herausgestellt hat.

Bisher lässt sich nur darüber spekulieren, wie so ein neuer Fokus auf die Verwertungsmöglichkeiten des Superfandoms praktisch aussehen wird. Vielleicht äußert er sich in einem Angebot von noch viel umfassenderen Produktpaletten und Services, eventuell neue Abomodelle (das "Supremium"-Abo soll bald bei Spotify eingeführt werden), mittels derer sich besonders eifrige Fans immer mehr Boni freispielen können. Wie es auch kommen wird: Recht wenige unabhängige oder per Selbstvertrieb aktive Künstler:innen haben überhaupt wirkliche "Superfans", wie sie solche Branchenriesen definieren würden, und könnten eventuell noch weiter aus dem Verdienstpool verdrängt werden. 

Ob Belegschaft oder kleine Artists und Rechteinhaber:innen: Die Wachstumsschmerzen von Tech-Branche und Musikindustrie müssen andere durchleben, sie gehen in Zukunft womöglich komplett leer aus. Das wäre für Musiker:innen in Einzelfällen nichts Neues, weil auf dem Weg zu ihnen einiges verloren geht oder Auszahlungsschranken die Ausschüttung von Minimalbeträgen durch Vertriebe und andere Mittelsfirmen verhindern. Für viele aber könnte es endgültig zum Minusgeschäft werden, ihre Musik überhaupt auf Spotify anzubieten. 

Das verschärft eine Bredouille: Einerseits wird die Plattform gerade in Indie-Kreisen mit der Hoffnung auf erhöhte Sichtbarkeit – über eine halbe Milliarde Menschen nutzen sie schließlich pro Monat! – genutzt, andererseits könnte ja vielleicht doch ein Track mal in einer beliebten Playlist landen und für Viraleffekte sorgen. Sie sehen sich abhängig von Spotify und richten ihre Kritik am System insgesamt vor allem gegen das einzige Unternehmen.

Diese Abhängigkeit besteht definitiv und zu einem gewissen Sinne wurde sie in der Anfangszeit von Spotify erwidert, weil die Plattform ihren Nutzer:innen eine möglichst große Auswahl bieten wollte – als Content noch König war. Das hat jedoch nunmehr ein Ende. Das zeigt sich auch an der Apathie des Unternehmens gegenüber allen Protesten. Hierzulande wurde unter anderem vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen und dem Verband PRO MUSIK Kritik geäußert, letzterer initiierte sogar eine Petition gegen die Änderungen bei Spotify

Derlei Aktionen bringen den Anliegen der Musiklandschaft Aufmerksamkeit – aber bringen sie Spotify auch dazu, einzulenken? Bisher hat das nicht den Anschein, es wäre auch das erste Mal – Vor allem sieht Spotify offensichtlich keinen großen Nutzen mehr in ihrer Musik. Wenn aber die Politik ein offenes Ohr für jene Anliegen hat und entsprechend handelt, provoziert das sehr wohl eine Reaktion.

Recht vs. Spotify: Uruguay

Daniel Ek ist ein Teflonmensch, an dem so ziemlich alles abperlt – solange nicht große App-Stores seine Profite schmälern oder aber ihm die Gesetzgebung in die Quere kommt. Dann wird selbst er unwirsch. Ende des vergangenen Jahres sogar gleich zweimal: zum einen wegen einer geplanten Novelle des uruguayischen Urheberrechts, zum anderen wegen einer in Frankreich eingeführten Umsatzsteuer für Internet- beziehungsweise Streaming-Plattformen. 

Uruguay hat ungefähr so viele Einwohner:innen wie Berlin, jedoch scheinen sich die Politiker:innen dort etwas mehr für die Belange der Bevölkerung statt nur füreinander zu interessieren. Die Änderung zweier Paragraphen des Urheberrechts sollte es Urheber:innen erlauben, soziale Netzwerke und Internet-Plattformen für die Nutzung ihrer Werke zur Kasse zu bitten – und zwar separat von beziehungsweise zusätzlich zu den Lizenzzahlungen, die Spotify an Rechteinhaber:innen und Urheber:innen sowie Verlage abzwackt.

Doppelt zahlen statt "Cut to Grow"? Nichts da: Das Unternehmen drohte ad hoc damit, sich komplett aus dem uruguayischen Markt zu verabschieden und ließ seine Abonnent:innen natürlich sofort wissen, dass der Service Anfang Februar eingestellt werden solle. Der dadurch erhöhte soziale Druck sowie die ökonomischen Argumente – angeblich habe Spotify zu einem 20-prozentigen Wachstum der dortigen Musikwirtschaft beigetragen – zwangen die Regierung wiederum mit Spotify an einen Tisch

Der Streaming-Riese konnte sich gegen den Zwergenstaat durchsetzen: "Dritte", die urheberrechtlich geschützte Werke verfügbar machen, sind nach einer Aktualisierung des Gesetzestextes demnach nicht zu Zahlungen verpflichtet. Zumindest aus Laiensicht klingt das so, als hätte Spotify es in einem Streich hinbekommen, die komplette Novelle zu entwerten. Wie genau die Gesetzgebung umgesetzt wird, zeigt sich indes erst in den kommenden Monaten und Jahren. Spotify lacht dennoch (vorerst) zuletzt – und zieht sich natürlich nicht aus Uruguay zurück.

Steuern vs. Spotify: Frankreich

Ob Spotify die sich gerade neu durchmischende französische Regierung unter einen ähnlichen Druck setzen kann, ist fraglich. Seit diesem Monat werden Streaming-Plattformen ebenso wie soziale Netzwerke wie Facebook oder TikTok mit einer speziellen Umsatzsteuer zur Kasse gebeten: Verdient ein Unternehmen mit solcherlei Angeboten im Inland über 20 Millionen Euro, wird eine Steuer von 1,2 Prozent auf den Umsatz erhoben. Das Geld soll dem im Jahr 2020 zur Unterstützung der heimischen Musiklandschaft eingerichteten Centre National de la Musique (CNM) zugeführt werden.

Allein der Vorschlag der neuen Steuer hat liebreizende Konsequenzen gehabt: Plötzlich herrschte Einigkeit unter den diversen Streaming-Anbietern und taten sich laut anonymen Quellen mit Ausnahme Amazons alle zusammen, um stattdessen eine Art außergesetzlichen Vergleich zu erzielen: 14 Millionen Euro würden sie jährlich an das CNM spenden, lautete der Vorschlag. Da es wohl zu keiner Einigung mit der Politik kam, wurde gewählt und das Gesetz ratifiziert. Seit dem 1. Januar gilt es nunmehr, die genauen Versteuerungsmodalitäten jedoch sind wohl noch nicht ganz klar. 

Fest steht indes, dass die neue Regelung vor allem den Marktführer Deezer hart trifft. Spotify reagierte aber ebenfalls unwirsch und zog sofort seine Unterstützung zweier Musikfestivals zurück – Künstler:innen, Veranstalter:innen und letztlich das Publikum werden bestraft, um Unzufriedenheit mit der Regierung zu schüren. Als bräuchten die Französ:innen einen Anlass, um mal wieder auf die Barrikaden zu gehen. Erwartbar ist wohl nun eine Anhebung der Abobeiträge, die Spotify in Frankreich noch im Sommer erhöht hatte. Nur allerdings könnte das eventuell wiederum den Umsatz des Unternehmens heben – und damit die Steuerabgaben. 

Regulierung vs. Spotify: Bald in der EU?

Die französische Steuer scheint damit für eine Umverteilung zu sorgen, die – je nachdem natürlich, nach welchen Kriterien und wie effektiv das CNM mit den Geldern wirtschaftet – just denen helfen könnte, die gerade aktiv von Spotify und anderen im Verbund mit den Big Three aus der großen Gleichung des Streaming-Geschäfts gestrichen werden. Sie könnte allerdings ebenso dazu führen, dass Spotify Frankreich als Markt aus dem Fokus nimmt – wie gesagt dominiert dort allerdings sowieso Deezer – oder eben noch rigider versucht, die eigenen Ausgaben zu verschlanken und damit die Steuerlast zu senken: "Cut to Save"? Es bleibt abzuwarten.

Obwohl die uruguayische Gesetzgebung vor Spotify einknickte und sich die konkreten Vor- oder Nachteile der neuen Umsatzsteuer für Streaming-Anbieter in Frankreich erst im Laufe der Zeit offenbaren werden: Allein die heftigen Reaktionen des Unternehmens darauf beweisen, mit welchen Mitteln seinen Methoden wirklich beizukommen sein wird. In der neu angebrochenen "Cut to Grow"-Phase scheint es deshalb für die unabhängigen Teile der Musiklandschaft wichtiger denn je, geschlossen mit der Politik in den Dialog zu treten und Lösungen zu erarbeiten. Diese Lösungen sollten nicht vom Markt und seinen Stichwortgeber:innen abhängen, sondern gesetzliche Rahmenbedingungen für ihn schaffen. 

Gut, dass genau das auf EU-Ebene mittlerweile ins Rollen gekommen ist: Das Europäische Parlament forderte mit großer Mehrheit die Europäische Kommission zur Untersuchung der Streaming-Ökonomie und einen Vorschlag zur Regulierung derselben auf. Ähnliches geschah schon vor wenigen Jahren in Großbritannien und hat bisher keine konkreten Ergebnisse zur Folge gehabt, auf EU-Ebene könnte das allein schon wegen der anstehenden Europawahlen anders laufen. Gegen die Europäische Union wird Spotifys Heckenschere ein ziemlich stumpfes Schwert sein. 

Was sonst noch wichtig war:

Ampled ist oder besser gesagt war eine genossenschaftlich organisierte Plattform vergleichbar mit Patreon, die einen klaren Schwerpunkt auf Musik legte. Zum Ende des Jahres wurde sie leider eingestellt.

App-Store-Gebühren und vor allem ihre rigide Umsetzung sind vielen Anbieter:innen ein Dorn im Auge und werden – keinesfalls zu Unrecht – als monopolistisch kritisiert. Alphabet musste nun nach einer Sammelklage ganze 700 Millionen US-Dollar in einem außergerichtlichen Vergleich berappen und anscheinend steht Spotify kurz davor, in seinem Rechtsstreit mit Apple einen Gewinn zu erzielen. Ebenso konnte sich Epic Games in seinem Clinch mit Google durchsetzen.

Apple Music scheint sich bereit zu machen, es Deezer und Spotify gleichzutun und ein neues Ausschüttungsmodell einzuführen. Laut einem Bloomberg-Bericht soll anonymen Quellen zufolge in naher Zukunft mehr Tantiemen an diejenigen abgedrückt werden, die ihre Musik in Dolby-Atmos-Qualität auf der Plattform zur Verfügung stellen. Für das spezielle Mixing in 3D-Sound werden pro Musiktitel übrigens mindestens 200 Euro fällig. Wenn außerdem irgendwo mehr ausgezahlt wird, dürfte in der Regel anderswo weniger abfallen. Heißt: Für alle, die nicht ein paar tausend Euro hinblättern, um von den mutmaßlichen Änderungen zu profitieren, könnte im Gegenteil bald weniger rumkommen. Da hilft es auch wenig, dass bei der Berechnung anscheinend egal ist, ob die Musik auch in Dolby Atmos oder im gängigen Format von Apple Music gestreamt wird. Erneut wird nach oben umverteilt und Apple nutzt sein Streaming-Angebot, um die eigene – natürlich Dolby-Atmos-kompatible! – Produktpalette vom iPhone bis hin zu den AirPods attraktiver zu machen. Apple wie auch Apple Music stellen zwar gerade schon Umsatzrekorde auf, ein bisschen mehr lässt sich in der "Cut to Grow"-Phase aber ja noch aus der Sache herausquetschen. 

Bandcamp wurde von der Lizenzierungsfirma Songtradr gekauft, die die Hälfte (!) der vorigen Belegschaft nicht übernahm, was die Gewerkschaft Bandcamp United zu einer Klage gegen den Vorbesitzer Epic Games und Songtradr veranlasste. Noch ist unklar, wie sich die massive Reduktion des Teams (betroffen sind wohl vor allem die Tech- und Support-Abteilungen: Kann ja nur gut gehen!) auswirken wird und welche Pläne genau der Songtradr-CEO und, ääääääääh, einstmalige Backstreet-Boys-Produzent Paul Wiltshire mit der Plattform jenseits von Lizenzierungs-Features vorhat, die eher wie eine zweifelhafte Beigabe für das Gros der Artists daherkommen könnten. Wie viele auf Bandcamp aktive Künstler:innen produzieren Musik, die in der Werbung laufen könnte?

Die Bertelsmann Music Group (BMG) hat ihre Anteile an den Veranstaltungsfirmen undercover und KARO an die jeweiligen Besitzer verkauft und sich damit faktisch aus dem Live-Geschäft in Deutschland ausgeklinkt. Ein großer Player weniger: Freuen dürfte das vor allem den De-facto-Monopolisten des Markts: CTSEventim. À propos hat BMG obendrein einen Distributions-Deal mit dem größten Musikkonzern der Welt, UMG, abgeschlossen

Broadcast Music Incorporated (BMI) wurde von der Private-Equity-Firma New Mountain Capital (NMC) aufgekauft. Das im Jahr 1939 gegründete Traditionsunternehmen ist mit der deutschen GEMA vergleichbar und kümmert sich um die Rechteverwertung für Komponist:innen und Verleger. Pikant daran ist nicht nur, dass damit eine der ältesten Verwertungsgesellschaften der Welt unter den Hammer gekommen ist, sondern dass Alphabet indirekt seine Finger mit im Spiel hat. Der Google-Mutterkonzern hat sich mittels eines Fonds eine sogenannte passive Minderheitsbeteiligung an BMI gesichert. Das lässt sich wohl nur vor dem Hintergrund betrachten, dass Alphabet derzeit viel Kapital auf KI wirft und der Firma urheberrechtliche Hürden beim Training ein Dorn im Auge sind – genau die gesetzlichen Ansprüche also, die just BMI für einen großen Teil der nordamerikanischen Musiklandschaft verwerten soll. Das tut das Unternehmen übrigens auch bei YouTube Music, Alphabets Streaming-Dienst. Wie "passiv" Alphabets über die Bande erfolgter Einkauf ins Geschäft mit Musikrechten sein wird, zeigt sich wohl bald.

#clubsAREculture setzt sich seit geraumer Zeit für die Clubszene ein, nun hat der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) als Bündnis der LiveKomm und der Bundesstiftung LiveKultur einen unterstützenden Entwurf [PDF] für die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vorgelegt. Im Kern geht es darum, Emissionen aus Clubs nicht mehr wie Industrielärm, sondern als Kulturschall zu bewerten. Dabei handelt es sich um eine der angestrebten Änderungen zum Schutz von Clubs, zentraler noch ist die Aufnahme von Clubs als Kulturstätten in die Baunutzungsverordnung – im Jahr 2021 wurde zwar vom Bundestag die Anerkennung ausgesprochen, seitdem aber hat sich nichts bewegt. Kollege Jonas Hartmann hat die Geschichte in der Groove aufgerollt. Ein Förderantrag der LINKE-Fraktion (RIP!) wurde zwischenzeitlich im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen von den anderen Parteien abgeschmettert.

Deezer hat für sein neues, gemeinsam mit UMG entwickeltes Ausschüttungsmodell nun auch das (sehr große und international aktive) Indie-Label Wagram sowie WMG gewinnen können und scheint damit sogar Schule zu machen: Auch eine Zusammenarbeit mit Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique (SACEM), quasi der französischen GEMA, wurde bestätigt. Somit wird nun auch für Verlage beziehungsweise Komponist:innen und Songtexter:innen nach diesem Prinzip ausgeschüttet. Dem Modell wurde übrigens noch eine weitere Obergrenze hinzugefügt: Ab 1.000 pro User:in generierter Streams wird nicht mehr weitergezählt, um Manipulationsversuche einzudämmen. Auf der Habenseite konnte Deezer übrigens auch eine halbe Million neuer Abonnements allein im dritten Quartal 2023 verzeichnen – fast alle allerdings wurden durch Partnerschaften wie unter anderem mit französischen Mobilfunkanbietern generiert. Und dass auch Deezer von der neuen Steuer auf Streaming-Anbieter in Frankreich betroffen ist, freut den dortigen Marktführer ebenfalls nicht.  

Discogs sieht mittlerweile richtig scheiße aus und hat offenbar ein paar Funktionen eingebüßt, ist aber immer noch teuer und niemand weiß so wirklich, wie das alles zu rechtfertigen ist. Cool. Natalie Weiner hat für The Verge recherchiert und konnte die Resultate in einer knackigen Headline unterbringen: 'Discogs' vibrant vinyl community is shattering.' Jupp. 

Der Festivalförderfonds (FFF) soll 5 Millionen Euro für vor allem mittelgroße und kleinere Festivals bereitstellen. Dass das schön, in der Breite inmitten einer grassierenden Festivalkrise jedoch kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist, wurde in diesem Magazin bereits an anderer Stelle vorgerechnet. Dennoch: Neun bis 50.000 Euro pro Festival können drin sein. 

Die GEMA schüttete im vergangenen Jahr fast eine Milliarde Euro Tantiemen aus. Nice! Trotzdem fand die Verwertungsgesellschaft noch Zeit dafür, sich mit Weihnachtsmärkten in Leipzig oder Regensburg anzulegen und versucht mittlerweile ebenfalls, ein LLM- beziehungsweise KI-gestütztes Mastering-Programm zu pushen. Weil Mastering-Engineers nicht von ihr vertreten werden, kann ihre Arbeit ja ruhig wegautomatisiert werden – klar! Vorstandsvorsitzender Tobias Holzmüller faselte derweil in Brüssel davon, dass Technologie dieser Art ja toll sei, aber doch bitte nicht den Menschen ersetzen dürfe. Merkste selbst, Tobi, nä?

Hipgnosis – genauer der Hipgnosis Songs Fund und Hipgnosis Songs Capital – war die Überfliegerfirma des großen Runs auf Musikrechte, der in den ersten Pandemiejahren seinen Zenit erreichte. Jetzt ist dort aber ein dermaßen unübersichtliches Chaos ausgebrochen, dass ich komplett die Übersicht verloren habe und einfach drauf hoffe, dass Jesse Armstrong bereits das Drehbuch für die Verfilmung schreibt. Paul Resnikoff versucht bei Digital Music News, Licht ins Dunkel zu bringen und hat sogar ein Organigramm der vier (!) Firmen mit dem Namen Hipgnosis erstellt

Jam ist ein genossenschaftlich organisierter Marktplatz für digitale Musik – ja, ungefähr wie Bandcamp, nur (vorerst) rein File-basiert. Mittlerweile sind dort die ersten Künstler:innen vertreten und damit auch Musik zum Kauf erhältlich. Sieht noch rudimentär aus, auch fehlen viele wichtige und von vergleichbaren Plattformen bekannte Features. Einen Be- beziehungsweise Versuch ist Jam dennoch deshalb wert, weil das dahinterstehende Unternehmen Go Free Range einen 'exit to community' vornehmen und die Plattform eines Tages in Besitz der Allgemeinheit bringen möchte. (Siehe auch: Mirlo.)

Die Klimakrise ist nicht nur in Bangladesh und Niedersachsen, sondern ebenso in der Festivalszene spürbar. Billboard hat internationale Festivals aufgelistet, denen extreme Wetterbedingungen teilweise oder ganz einen Strich durch die Rechnung machte und Philip Sherburne hat für Pitchfork zu dem Thema recherchiert.

Large Language Models, also das, was uns als künstliche Intelligenz verkauft wird und an dieser Stelle aber nicht mehr so genannt wird, weil ich keine Werbung für Sam Altman machen möchte, sorgen weiterhin für Kontroversen. Neben vielen Diskussionen um ethische Richtlinien und sogar gesetzliche Regelungen zum sogenannten Voice Cloning in den USA hat hierzulande unter anderem die Initiative Urheberrecht Forderungen für Regulierungen und Wertschöpfung aufgestellt. Weiterhin wird Geld in den Bereich geflutet, unter anderem hat sich UMG mit der Firma BandLab Technologies zusammengetan, obwohl Grainges Firma gleichzeitig gegen Anthropic vorgeht, in die wiederum Google trotzdem frisch investiert habt. Bitte an dieser Stelle das 'Pepe Silvia'-Meme einfügen und nur eins merken: Wie in jedem Tech-Hype-Zyklus gilt, dass das, was die anderen machen, böse ist, während das, was wir machen, die Welt retten wird – obwohl’s dasselbe ist. Wie vielversprechend das Investitionschaos ist, lässt sich am mithilfe eines LLM restaurierten "letzten" Beatles-Song nachrechnen: Der verschwand so schnell wieder aus den Charts, wie er dort eingestiegen war. Wenn nicht einmal die größte Band des 20. Jahrhunderts für eine nachhaltige Sensation (und Umsatz) sorgen kann – lohnt sich der gesamte Unfug dann überhaupt? Keine Frage hingegen: Die Diskussion um Urheberrecht und die Regulierung des Einsatzes von LLM sowie natürlich Vergütung und Entschädigung von betroffenen Künstler:innen und insbesondere dem Schutz ihrer Werke hat oberste Priorität.

Mirlo ist wie Jam (s. o.) ein Marktplatz für digitale Musik, der obendrein noch Subskriptionsmodelle anbietet, ebenfalls genossenschaftlich aufgebaut ist und wie Jam den sogenannten 'exit to community' plant, sprich in die Hände von Künstler:innen und Fans gegeben werden soll. Auch dort hat das Onboarding von Künstler:innen begonnen, auch dort sieht alles noch recht rudimentär aus und scheinen noch keine Käufe, immerhin aber Streaming möglich.

Neustart Kultur ging im Sommer des vergangenen Jahres in die letzte Runde und hat als groß angelegtes Förderprogramm in der Coronakrise vielen Künstler:innen, Labels und anderen Akteur:innen aus der Musikbranche die Existenz per Geldspritze gerettet. Im Falle von Künstlerstipendien stellte sich allerdings die Frage, ob die finanzielle Unterstützung auch als Einkommen versteuert werden muss. Daniel Nagel von Backstage Pro hat recherchiert und kam zu dem Schluss: in einigen Fällen ja, in anderen nicht. Wer solche Zuwendungen erhalten hat, sollte sich schlau machen.

Nina ist eine während des NFT-Goldrauschs lancierte Streaming- und Verkaufsplattform, die sich trotz anhaltendem Kryptowinter ein Plätzchen im Warmen sichern konnte. Die geniale Idee: Statt mit wertlos gewordenen Kryptowährungen können die Nutzer:innen dort mit ganz normalem Fiatgeld Musik kaufen und sie im MP3-Format auf ihre Endgeräte herunterladen, um sie von dort aus lokal abzuspielen. Innovativer geht's nimmer!

NTS hat laut einer von Shawn Reynaldo in seinem lesenswerten Newsletter First Floor veröffentlichten Recherche Unternehmensanteile an UMG verkauft. Das notorisch coole Underground-Online-Radio gehört damit wohl also nun zu ungefähr einem Viertel dem größten Musikkonzern der Welt und hat übrigens gerade ein paar neue Stellen ausgeschrieben, Schwerpunkt: Finanzen. Okay.

Patreon, quo vadis? Nicht nur YouTuber Tom Nicholas, für dessen immer sehr spannende und doch schleppende Videoessays die 1,5-fache Wiedergabegeschwindigkeit erfunden wurde, sondern auch Musikbranchenexperte David Turner analysierte in seinem – leider vor Kurzem eingestellten – Newsletter Penny Fractions darüber, dass die Plattform nach dem großen Pandemie-Hype mittlerweile um Abos kämpft. Der Umsatz fiel, Stellen wurden gekürzt und in einem wohlbekannten Move wurde versucht, das Portfolio durch den Kauf einer Ticketing- und Hosting-Plattform für Digital-Events (zu Deutsch: Videos halt) zu diversifizieren. 

Resonate ist eine genossenschaftlich organisierte Streaming-Plattform mit einem sehr einzigartigen Ausschüttungsmodell – je mehr du ein Stück Musik hörst, desto mehr bezahlst du dafür, bis es dir schließlich "gehört". Seit geraumer Zeit steckt sie in der Krise. Wie Gründer Peter Harris im Dezember in einem Forum-Post ankündigte, wird er seine Arbeit bald niederlegen und ein neues Team aufgebaut. Ein guter Zeitpunkt, einen genauen Blick auf die Plattform zu werfen und sie zu unterstützen: Es locken eine potenziell bessere Vergütung und mehr Mitbestimmungsrechte für Künstler:innen.

Rokk ist eine neue Streaming-Plattform der im Vorjahr gegründeten FAIRMUSIC UG mit Sitz in Saarbrücken, die gerade ein erfolgreiches Crowdfunding-Projekt hinter sich gebracht hat und noch in der ersten Jahreshälfte in Europa ausgerollt werden soll. In Ankündigungen wird ein zwei- bis dreimal so hoher Ausschüttungsbetrag wie anderswo versprochen. Die Argumentation: Weil die Plattform vor allem eine Nische (der Name ist ein sprechender, es geht primär, wenngleich nicht exklusiv um Rock und Metal) bedient, ergebe sich durchschnittlich eine höhere Auszahlung für alle, weil sich das Streaming-Aufkommen breiter verteilt. Klingt in der Theorie sinnvoll, ob es sich aber in der Praxis bewahrheitet oder eben doch Metallica die Taylor Swifts dieser Plattform werden – das bleibt abzuwarten. Nutzer:innen können indes zehn Prozent der aus ihren Abobeiträgen abgeführten Beträge wohl an bestimmte Bands ausschütten lassen, eine spezielle Version des sogenannten User-centric-Ausschüttungsmodells, das für eine Weile bei TIDAL griff. Nicht unspannend, auch wenn der dahinterstehende Gedanke sehr an die wohl am kontroversesten diskutierte Wirtschaftstheorie des 21. Jahrhundert denken lässt, den Long Tail. Sollte es sich aber durchsetzen: Mehr Marktdiversifizierung und Mut zur Nische ist begrüßenswert.  

SoundCloud hat in letzter Zeit vor allem mit Kündigungen von sich reden gemacht, konnte für das Jahr 2023 aber ein positives Betriebsergebnis verzeichnen: 288 Millionen Euro Umsatz soll das Unternehmen laut internen Berechnungen gemacht haben und war einige Monate lang profitabel – eher eine Seltenheit im Streaming-Geschäft. Der Dank geht wohl an die DJs, die es mit ihren Next-Pro-Abos auf den Schultern tragen. Im Gegenzug wird die Plattform, zu deren Wert sie maßgeblich beigetragen haben, wohl innerhalb dieses Jahres für eventuell eine Milliarde US-Dollar verschachert. Zur Abwicklung haben sie auch gleich einen neuen CFO/COO ins Amt geholt, der vorher bei den Turbokapitalist:innen von Kobalt angestellt war.

Sped-up Songs sind ein sonderbarer Nebeneffekt des TikTok-Zeitalters, die Musikindustrie macht aber mit und einen ordentlichen Reibach daraus, wie noch im Sommer eine spannende Recherche von Antonia Freienstein für Backstage PRO ergab. Elias Leight fragte kürzlich bei Billboard, ob sie nicht zugleich Geld verliere. Denn ungefähr ein Prozent aller Tracks auf den gängigen Streaming-Plattformen – bei Spotify mit seinem Katalog über 100 Millionen ist das eine ganze Menge – sind unlizenziert beziehungsweise illegal. 

Streaming-Manipulation wird nicht nur von Spotify und Deezer abgestraft, jetzt gelang es auch dem Bundesverband Musikindustrie (BVMI) und dem internationalen Dachverband International Federation of the Phonographic Industry (IFPI), die Einstellung des Services SP-Onlinepromotion.com rechtlich zu erzwingen.

TIDAL hat Anfang letzten Jahres angekündigt, mit UMG (s. u.) ein sogenanntes "artist-centric"-Modell zu entwickeln, passiert ist bisher … nichts. Quo vadis? Dan Rys enthüllt bei Billboard die neue Strategie des Streaming-Unternehmens unter der Führung von Jack Dorseys Firma Block: Es soll wohl zu einem Allround-Finanzsystem für Ich-AGs, äh, Musiker:innen gemacht werden. 

TikTok vermeldete kürzlich, dass "20,9 Millionen Menschen in Deutschland und 2,1 Millionen in Österreich" die App jeden Monat nutzen – jeweils fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Das ist nicht nur gruselig, sondern in diesem Kontext auch deshalb relevant, weil der Mutterkonzern ByteDance obendrein stolz berichtete, dass die eigenen Nutzer:innen rund 50 Prozent mehr Geld für Musik ausgeben als durchschnittliche Hörer:innen, derweil das Unternehmen die Grenze für Einnahmen von 10 Milliarden US-Dollar durch die App knackte. Ein bisschen Skepsis ist besonders bei dermaßen beeindruckenden Zahlen immer geboten, eine neue Partnerschaft zur Integration der Streaming-Angebote von Spotify und Amazon in die App unterstreicht jedoch, dass selbst die Konkurrenz ihre Übermacht anerkennt. Denn um direkte Konkurrenz handelt es sich spätestens seitdem im Oktober die separate Streaming-Plattform TikTok Music in Australien, Mexiko und Singapur öffentlich erhältlich wurde – wenngleich noch ohne den Katalog von Universal. Stattdessen konnte immerhin ein Deal mit dem Digitalvertrieb Distrokid abgeschlossen werden. TikTok Music wird in diesem Jahr sicherlich noch weiter expandieren und die Karten im Streaming-Geschäft neu mischen.

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