James Blake bewirbt ein Abo-Modell, die Universal Music Group steckt Millionen in Plattformen mit Namen wie WeVerse oder YOUniverse und Spotify plant den Rollout sogenannter Superfan Clubs. Klarer Fall: Leidenschaftliche Fans mit lockerer Brieftasche sollen in Zukunft noch gründlicher ausgenommen werden, analysiert Kristoffer Cornils in seiner Kolumne “Quartalsbericht”.
Vielleicht hat James Blake ja wirklich nur die Schnauze voll und sogar Recht damit. “The brainwashing worked and now people think music is free”, grollte der Musiker und Songwriter Anfang März öffentlichkeitswirksam auf Twitter. Streaming, die Labels, das marode Live-Geschäft: Alles kaputt, so Blake, und Viral-Hits auf TikTok wie sein letzter Song mit Frank Ocean ließen sich dort gar nicht erst monetarisieren. Als Kritik an der sich seit Jahren zuspitzenden Wertschöpfungskrise auf Seiten der Künstler:innen – der Musikindustrie an sich geht es, das beweisen die jüngsten Zahlen in Deutschland und weltweit, natürlich blendend – ist das weder falsch noch von der Hand zu weisen. Als Blake dann eine “Lösung” anteaserte, wurden deshalb viele hellhörig. Und brachen nur wenige Tage später in schallendes Gelächter aus, als er sie enthüllte.
Die von Blake propagierte Plattform Vault ist denkbar simpel und das dahinterstehende Prinzip seit Jahren bekannt: Gegen eine monatliche Abogebühr erhalten Fans darüber Zugriff auf exklusive Inhalte aus dem titelgebenden “Tresor” beziehungsweise Archiv ihrer Stars. Das über ein Jahrzehnt nach dem Launch von Patreon als “Lösung” für irgendwas zu präsentieren, ist mindestens naiv. Wenn nicht sogar unehrlich. Was Blake überdies während seiner Tweet-Storms im Wasserglas wie auch langwierigen Front-Camera-Video-Rants verschwieg, war, wer eigentlich hinter Vault steckt: Out The Mud Ventures, Inc. ist dieselbe Firma, die bereits die NFT-Plattform Sound.xyz gelauncht hatte und dafür auf Investitionen von so illustren Charakteren wie Andreessen Horowitz und Snoop Dogg zurückgriff.
Kurzum bewarb der Beyoncé-Songwriter eben nicht die kongeniale, herzblutige DIY-Lösung für darbende Künstler:innen, sondern nur das nächste Produkt einer millionenschweren Firma. Nicht zuletzt unterstützte und verfestigte Blake die neuerdings beliebten Narrative derer, die er vorgeblich zu kritisieren meinte. Denn obwohl Blake etwas vage gegen “die Labels” austeilte – er selbst ist übrigens seit über einem Jahrzehnt bei Polydor und/oder Republic unter Vertrag, die zur Universal Music Group (UMG) gehören –, so kaute er doch überraschend pointiert deren aktuelle Beschwerden und Heilsversprechen wieder.
Zum einen wetterte er genauso donnernd gegen TikTok, wie UMG-Chef Lucian Grainge es tut. Zum anderen sieht seine “Lösung” für dieses und andere Probleme denen verteufelt ähnlich, die von Grainge und anderen vorgeschlagen werden.
Mehr Wertschöpfung in der Breite anpeilen …
Der öffentliche Zwist zwischen UMG und TikTok gehörte zu den popcornwürdigsten Geschichten der vergangenen Jahre. Die Kurzform: UMG ist unzufrieden mit dem Geld, das seitens TikTok für die massenhafte Verwendung von Musikaufzeichnungen an das Unternehmen und seine Künstler:innen fließt. Dem Vernehmen nach handelt es sich dabei lediglich um Pauschalbeträge, die in keiner Relation zur tatsächlichen Nutzung von Musik auf der Plattform stünden. Ein millionenfach gestreamter Hit-Song wie der von Blake und Ocean beispielsweise würde auf klassischen Streaming-Plattformen wie Spotify ganz andere Beträge einstreichen, weil dort auf Basis der Anzahl der Plays abgerechnet wird.
UMG will also mehr Geld oder zumindest, dass es anders fließt, und ist wohl ebenso unzufrieden mit der Art und Weise, wie es über die kürzlich vom TikTok-Mutterkonzern ByteDance gelaunchte Streaming-Plattform TikTok Music verteilt wird. Als ultimative Drohgebärde hat UMG mit der Verve eines Claus Weselsky einfach sieben Millionen Songs aus den Katalogen seines Labels und seines Verlagszweigs von der Plattform abziehen lassen, indem es keinen neuen Lizenzvertrag mit ByteDance unterschrieben hat. Seitdem fehlt auf TikTok die Musik von Taylor Swift und sogar vieler Indies, die indirekt über Vertrieb oder Verlag von UMG an den Konzern gekoppelt sind.
Es ist der vielleicht größte Standoff der Musikbranche dieses Jahrzehnts, Goliath kämpft gegen Goliath und noch weiß niemand, wie die Sache ausgehen wird. Klar ist nur, dass TikTok derzeit massiv unter Druck steht: In den USA könnte es zu einem Verbot oder Verkauf der App kommen, in Europa verschärft sich der Ton bezüglich mutmaßlicher Verstöße gegen Gesetze zum Jugendschutz und die Stimmung kippt dementsprechend. Darüber hinaus bieten Player wie UMG oder Blake der Musikbranche eine simple, aber effektive Erzählung: TikTok hat in der Hand, wie Musik heutzutage distribuiert und konsumiert wird, die Macher:innen können davon aber nicht (ausreichend) profitieren.
Auch das lässt sich keineswegs von der Hand weisen, es ist aber nur die halbe Wahrheit. Blake selbst spricht die andere Hälfte an, indem er die Gier der Labels beziehungsweise der dahinterstehenden Konzerne wiederholt kritisiert. Bei Firmen wie UMG stehen die Zeichen derzeit auf “Cut to Grow”: Es wird intern rationalisiert und anderswo der Profit maximiert, und das in der Breite. TikTok (und perspektivisch TikTok Music) mehr Geld abzupressen, ist schlicht Teil der Unternehmensstrategie, die aktuellen Rekordumsätze noch weiter in die Höhe zu treiben und alle Verwertungsmöglichkeiten zu optimieren.
Zugleich jedoch soll die Wertschöpfung noch mehr in die Tiefe gehen, und zwar bis in die Bankkonten einiger weniger Fans. Womit wir wieder bei Vault wären oder noch besser gesagt den gemeinsamen Anstrengungen von Musikindustrie und Tech-Unternehmen, einigen wenigen Menschen mit scheinheiligen Argumenten noch mehr in die Tasche zu greifen.
… und immer tiefer in die Bankkonten der Fans greifen.
Wer bezahlt ernsthaft fünf US-Dollar pro Monat, das heißt, ganze 60 Dollar pro Jahr für ein paar James-Blake-Demos? Natürlich nur wirkliche Fans, die im Musikindustrie-Sprech mittlerweile “Superfans” genannt werden. Was genau Superfans von regulären Fans unterscheidet, das ist semantisch schwierig zu bestimmen – was bitteschön ist die Steigerungsform von “Fanatismus”? –, weshalb sich der Begriff als zeitgenössisches Buzzword bestens anbietet. Das Geschäft mit Superfans ist allerdings so alt wie die Musikindustrie als solche.
Verkürzt gesagt sind Superfans solche, die im Vergleich zu regulären Fans keine Kosten und Mühen scheuen, ihr Fan-Sein unter Beweis zu stellen. Sie reisen ihren Stars hinterher wie Deadheads oder geben drei- bis vierstellige Beträge für Meet & Greets aus. Sie organisieren sich in Fanclubs, binge-streamen gemeinsam neue Releases und kaufen die Veröffentlichungen ihrer Lieblingsbands in jeder erdenklichen Version sowie obendrein noch Tonnen an Merchandising. Sie geben viel Geld für den Japan-Export einer Platte aus, um an Obi und Bonus-Tracks zu kommen oder legen sich eine CD gleich fünffach zu, wenn jedes Mitglied der Lieblings-K-Pop-Boy-Band einzeln auf dem Cover prangt.
Das lässt sich melken und das geschieht auch seit Jahrzehnten. Plattformen wie Patreon oder Bandcamp mit ihren Abomodellen etablierten Superfan-Angebote im digitalen Raum und damit für nicht-materielle Produkte wie Musik in digitaler Form oder anderen Inhalten. Zudem versprechen diese Plattformen mehr Nähe in der parasozialen Star-Fan-Beziehung, wie es auch Vault – innovativer geht's nimmer – mit einer Chat-Funktion in Aussicht stellt.
Dass keine der beiden Plattformen und die vielen, vielen vergleichbaren Services bisher die “Lösung” aller Wertschöpfungsprobleme für Künstler:innen darstellten, sondern die sogenannte Creator Economy vielmehr selbst so einige Problemchen mit sich brachte, sollte Blake eigentlich bewusst sein. Deshalb wirkt seine aggressive Bewerbung von Vault mindestens unehrlich, wenn nicht sogar verlogen: Solche Systeme dienen höchstens etablierten Stars wie ihm.
Anders sieht es für die bereits um jeden Kuchenkrumen kämpfenden Indie-Artists aus, die sich ihre Fanbase überhaupt erst noch aufbauen müssen und nicht einfach ohne Weiteres Kosten und Zeit investieren können, um exklusives Material für einige wenige Follower:innen aufzunehmen und das Ganze dann noch laufend bewerben müssen. Für sie fiele mehr Arbeit für potenziell noch weniger oder gar kein Geld an. Ist das wirklich schon die “Lösung” oder nicht vielmehr noch das eigentliche Problem?
Tatsächlich wird der neuerliche Run auf Superfans nicht etwa von Graswurzelinitiativen angetrieben, sondern von oben verordnet – nämlich von Lucian Grainge und seinesgleichen. Der CEO von UMG meldet sich Anfang jedes Jahres mit einem Rundschreiben an seine Belegschaft, in dem er den Kurs für das kommende Jahr skizziert – und damit indirekt, wohin für die gesamte Branche die Reise geht. “The next focus of our strategy will be to grow the pie for all artists, by strengthening the artist-fan relationship through superfan experiences and products”, hieß es in dieser verkappten Pressemitteilung beziehungsweise Direktive für die Musikindustrie.
Dass es immer um die Künstler:innen ginge, betonen Grainge und seine Firma ständig, ob nun im Streit um TikTok oder bei der Entwicklung eines sogenannten “artist-centric”-Ausschüttungsmodell im Streaming-Bereich. Dieses wurde in verschiedenen Formen von Deezer und Spotify adaptiert und scheint in erster Linie den Major-Labels beziehungsweise den dahinterstehenden Firmen wie eben UMG zu nützen, die derweil recht regelmäßig von Artists verklagt werden – wegen unterschlagener Tantiemen, wohlgemerkt. Nein, ehrlich ist auch diese Rhetorik keineswegs.
Der neue Run auf Superfans, repräsentiert auch durch den verpfuschten Versuch, mit Vault eine vermeintliche DIY-Lösung an das Publikum zu bringen, nutzt vor allem den Big Three – neben UMG sind das noch Sony Music Entertainment (SME) und die Warner Music Group (WMG), dessen CEO Robert Kyncl derzeit in dieselbe Kerbe schlägt wie Grainge – und anderen großen Playern wie … Eh klar: Spotify.
One-Stop-Shop-Solutions und das Metaversum
Seit dem Jahr 2021 kooperiert Spotify mit Shopify, was nicht nur phonetisch Sinn ergibt: Die Integration der eCommerce-Plattform erlaubt es dem Publikum, ohne viele Umstände die Platte oder das Shirt zur neuesten, algorithmisch gesteuerten musikalischen Entdeckung zu erwerben. Seit Februar arbeitet Spotify ebenfalls mit Bandsintown zusammen und empfiehlt Hörer:innen nun noch umfassender und gezielter Konzerte und Festivals mit ihren Lieblings-Acts auf dem Line-up, deren Tickets bequem mit wenigen Klicks gekauft werden können.
Derlei Integrationen bringen Spotify etwas, weil es sich bei den Verlinkungen auf Shopify-Stores oder Ticketing-Plattformen Geld über sogenannte Affiliate-Links verdienen lässt – dasselbe Prinzip, nach denen etwa Rezept-Blogs auf bestimmte Produkte im Angebot von Amazon verlinken: Ob beim Verkauf einer marmorierten, Sea-Foam-Green-farbigen Taylor-Swift-LP über Spotify oder ein bisschen Tamarindenpaste über Gerda’s Crazy Küchenabenteuer, es verdienen sowohl die Streaming-Plattform als auch die eifrige Rezepte-Texterin ein paar Cent oder Euro Kommission.
Darüber hinaus kann Spotify über die Kooperation mit dermaßen großen Plattformen seine Reichweite erhöhen und sich Nutzer:innen zunehmend als sogenannte One-Stop-Shop-Solution anbieten. Fans können all ihre Bedürfnisse – nach der Musik an sich, ebenso aber auch nach Merch und Konzerttickets – über eine einzige App befriedigen. Das gilt umso mehr für sogenannte Superfans, denen Spotify nun mit sogenannten “Superfan Clubs” ein noch gezielteres Angebot machen möchte. Wie genau das aussehen wird, steht derzeit noch nicht fest. Mit Blick auf UMG lässt sich aber mutmaßen, worauf der Fokus gelegt wird.
UMG hat zuletzt jede Menge Geld investiert, und zwar nicht etwa direkt in seine Artists, die derzeit angeblich so sehr im Fokus stehen. Nein, es gingen stattdessen Millionenbeträge in Plattformen mit so hochnotpeinlichen Namen wie YOUniverse und WeVerse. Die erstgenannte Plattform befindet sich seit geraumer Zeit in der Hand von UMG und ist, es lässt sich nicht anders sagen, extrem hässlich und dysfunktional: Eine Art als Browser-Spiel getarntes Shopping-Erlebnis in virtuellen Räumen, die wohl dem Berliner UMG-Headquarter nachempfunden sind. Ja, richtig geraten – es handelt sich um die ruinösen Überreste eines Metaversum-Projekts.
Warum der Hype um das Metaversum schon immer zum Scheitern verurteilt war, hat niemand besser als Dan Olson erklärt. Das hindert UMG allerdings nicht an noch mehr Investitionen in ebenso bescheuerte Projekte. Das WeVerse schließlich befindet sich im Besitz von HYBE und damit dem südkoreanischen Musikkonzern, der unter anderem BTS im hauseigenen Label-Portfolio hat. Im Rahmen eines kürzlich abgeschlossenen, zehn Jahre (!) laufenden Vertrieb-Deals zwischen UMG und HYBE investierte Grainges Firma in das betriebswirtschaftlich gut geölte WeVerse, das auf ruckelige Second-Life-Ästhetik verzichtet und statt Gamifizierung auf ein nüchternes Zugang-gegen-Cash-Prinzip setzt.
Geil, noch mehr Abos!
WeVerse bietet Abo- und Kaufoptionen mit zusätzlicher Community-Komponente, wie sie von Patreon und Co. bekannt ist. Verschiedene UMG-Künstler:innen sind dort schon seit geraumer Zeit aktiv. Noch ist der Service sehr auf die Bedürfnisse südkoreanischer Fans zugeschnitten, im Rahmen der Zusammenarbeit mit UMG will HYBE die im Jahr 2021 gelaunchte Plattform nun aber auch im nordamerikanischen Raum etablieren. Es lässt sich fragen, wie vielversprechend das ist: Insbesondere die K-Pop-Industrie hat das Geschäft mit Superfans perfektioniert, nachdem es von der japanischen Musikindustrie in dieser Form quasi erfunden wurde. Doch fragt sich einerseits, wie sehr sich das Prinzip in andere kulturelle Kontexte übertragen lässt.
Und andererseits, wie es dort angesichts der existenten Konkurrenz beziehungsweise eines veritablen Überangebots überhaupt etablierungsfähig ist. Womit wir erneut bei Vault angelangt wären. Es gehört zum Narrativ dieses neuen Services – wie übrigens auch schon beim ersten Produkt der dahinterstehenden Firma, der NFT-Plattform Sound.xyz – die middle men aus der Gleichung streichen zu wollen. Als handle es sich bei einer Firma wie Out The Mud Ventures, Inc. eben nicht um eine solche Vermittlungsinstanz, die ihren Teil von den Einnahmen einstreicht – die nächste nach Athen getragene Eule. Obendrein bietet sie Fans im Gegenzug nur mehr von dem, was sie eigentlich schon zu genüge haben: Abos.
In den USA bezahlen laut einer von Forbes durchgeführten Erhebung die Hälfte der befragten Menschen durchschnittlich für drei Medien-Abos pro Monat. Vor allem die Musik- und Video-Plattformen wie Spotify und Netflix haben – Cut-to-Grow-Phase! – zuletzt ihre Preise angehoben. Das summiert sich nicht allein, es sorgt seitens der Konsument:innen auch für eine gewisse Müdigkeit. Wenn ein Service wie Spotify versucht, das eigene Angebot durch Kooperationen mit anderen Diensten zu erweitern, soll angesichts dieses chaotischen Miteinanders verschiedener Zugänge zu unterschiedlichen Inhalten mehr Bequemlichkeit durch Zentralisierung versprochen werden – mit dem Ziel, die Nutzung von Spotify immer alternativloser zu gestalten.
Daneben selbst im kleineren Rahmen nun noch weitere Abo-Modelle zu etablieren, ist mindestens schwierig. Zu versuchen, sie in direkter Konkurrenz zu Plattformen wie Spotify als zentrale Anlaufstelle für alle Fan-Bedürfnisse aus dem Boden zu stampfen, scheint zum Scheitern verurteilt. Dafür wird es massive Investitionen benötigen, die Unterstützung von Megastars mit einem entsprechenden Pool von Superfans im Gefolge und obendrein noch Inhalte, die das Ganze in den Augen dieser übereifrigen Fans wirklich so lohnenswert machen, dass sie sich ein viertes Abo (oder zumindest das Äquivalent dazu in regelmäßigen Zahlungen für WeVerse-Ausgaben) zulegen.
Wenn WeVerse-Gründer Joon Choi davon spricht, dass das “potential for growth in the superfan business and economy (...) limitless” sei, wirkt diese Rhetorik seltsam vertraut. Klar, es handelt sich zuerst um den seit Anbeginn des Kapitalismus immer wieder heruntergebeteten Sermon. Im Kontext zweier Superfan-Plattformen, deren Ursprünge im desaströsen Metaversum-Run der vergangenen Jahre ihnen noch in den Namen eingeschrieben sind, und mit Blick auf das von einer aus dem NFT-Bereich kommenden Firma, die nun mit Vault die “Lösung” aller Übel verspricht, weisen derlei Heilsversprechen aber auch schlicht die Charakteristika von kurzfristigen Tech-Hypes auf.
Das nahezu messianische Pathos, mit dem halbgare Lösungsansätze angepriesen werden, in die kurzfristig Milliarden von Investitionsgeldern gepumpt werden, die dann wie von schwarzen Löchern verschluckt werden: Das ist uns aus den vorangegangenen Jahren mehr als bekannt. NFTs sind in der Breite wertlos geworden und das Metaversum ist implodiert, bevor es sich je etablieren konnte. Warum sollte es mit Superfan-Plattformen und -Features anders laufen? Wer weiß eigentlich, was genau Superfans überhaupt sind, wie kaufkräftig sie wirklich sind und welche Nachfrage sie tatsächlich auf den Markt bringen?
Und warum kommt ein Konzern wie UMG nicht stattdessen auf die Idee, all die Kohle in die Aufbauarbeit von spannenden Nachwuchskünstler:innen zu stecken? Um die soll es doch bei alledem eigentlich gehen. Oder?
… oder?
Was sonst noch wichtig war:
AC55ID ist ein neuer, auf elektronische Musik spezialisierter Marketplace für Musik und Merchandising. Hundert Prozent der Einnahmen sollen direkt an die Verkäufer:innen gehen, die im Gegenzug eine fixe Gebühr an die Plattform abdrücken. Zum Angebot gehört auch ein On-Demand-Service für Vinylpressungen aus Biomaterialien, während – Widersprüche müssen ja ausgehalten werden – Zahlungen offenkundig über die Blockchain abgewickelt werden. Wer steckt hinter AC55ID? Die Association For Electronic Music (AFEM) scheint irgendwie involviert, ein gleichnamiges Plattenlabel existiert bereits seit dem Jahr 2023. Mehr lässt sich nicht herausfinden. Mangelnde Transparenz ist noch nie ein gutes Zeichen gewesen. Und gab es nicht schon mit Formaviva eine ganz ähnlich ausgerichtete Plattform?
Apple durchlebt wilde Zeiten. Die Einnahmen wachsen munter weiter, die Gerichtskosten umso mehr. Nachdem sich der Tech-Gigant und Epic Games gegenseitig wegen Kartellrechtsverstößen verklagten und die Klagen dann vom US-amerikanische Supreme Court abgeschmettert wurden, war das noch ein Grund zum Jubeln. Zwar ermöglichte es Apple endlich den Anbieter:innen von Apps, im Apple Store auf dritte Bezahl-Services zu verlinken, strich davon aber weiterhin eine Gebühr von satten 27 % ein. Eine fast noch größere Dreistigkeit als die sowieso schon unverschämte Wegelagerei, die das Unternehmen zuvor betrieb. Da in der EU ein paar Dinge anders laufen als in den USA, bekam Apple nur wenig später dort auf die Nase: Die Europäische Kommission verdonnerte das Unternehmen für seine Stellung als Monopson – weiterhin lesenswert: ‘Chokepoint Capitalism’ – zu einer Strafzahlung von 1,8 Milliarden Euro. Kurz darauf wurde Apple in den USA zum Department of Justice zitiert, Vorwurf: ein Monopol auf das Smartphone-Geschäft. Tja.
Believe ist ein Gigant im Indie-Business und könnte es bei der Veröffentlichung dieser Kolumne schon nicht mehr sein. Zum französischen Unternehmen gehören (Digital-)Vertriebe wie TuneCore und Groove Attack ebenso wie Labels wie Nuclear Blast. In letzter Zeit ging es bei der börsennotierten Firma allerdings drunter und drüber. Eine Reprivatisierung schien möglich, Gründer und CEO Denis Ladegaillerie wollte gemeinsam mit zwei Firmen rund 1,5 Milliarden Euro für eine Übernahme auf den Tisch legen und schließlich meldete WMG, der drittgrößte Musikkonzern der Welt, Interesse an. WMG könnte am Ende des Tages bessere Argumente haben beziehungsweise mehr Geld auf den Tisch legen können. Die Geschichte würde damit einem leider mittlerweile bekannten Muster folgen: Wie zuvor The Orchard (gehört mittlerweile SME) und [PIAS] (wurde de facto von UMG aufgekauft) würden damit noch mehr Indie-Vertriebsstrukturen an die Big Three fallen.
Die Bertelsmann Music Group (BMG) meldete für das Jahr 2023 einen Umsatz von fast einer Milliarde US-Dollar. Gut die Hälfte davon wird in den USA gemacht, weshalb das Unternehmen dort noch aktiver werden möchte. Der Chef des deutschen Mutterkonzerns Bertelsmann Media, Thomas Rabe, sieht noch mehr Luft nach oben: Eine Fusion oder die Übernahme eines Wettbewerbers wären möglich, sagte er der Financial Times. So oder so schickt sich BMG gerade an, zunehmend zu den Big Three aufzuschließen.
Deezer hat im Herbst ein neues Vergütungsmodell eingeführt, für das die französische Streaming-Plattform zuletzt das Indie-Konglomerat Merlin gewinnen konnte, und bescheinigte sich rückblickend eine “strong performance and momentum” für das Jahr 2023. Ihr CEO stieg trotzdem aus, um “persönliche Projekte zu verfolgen”. Den Posten Jeronimo Folgueiras übernahm vorläufig Stu Bergen, der zuletzt vor allem bei WMG wichtige Positionen bekleidet hat. Hatte eben diese Firma sich nicht noch im November dem vermeintlich “artist-centric”-Modell von Deezer angeschlossen? Zufälle gibt’s! Deezer hat übrigens 26 Millionen der laut eigenen Angaben rund 200 Millionen auf der Plattform erhältlichen Titel gelöscht. Welche? Die “nutzlosen”, klar. Das schließt wohl White Noise ebenso ein wie solche von Fake Artists (kurios, dass Deezer die offensichtlich alle identifizieren konnte) und, na ja, alles, was innerhalb der letzten zwölf Monate nicht ein einziges Mal gestreamt wurde. Das wirft viele Fragen auf. Folgueira wird sie nicht mehr beantworten müssen.
Defected ist so ein Label, das in meinem Musikplayer niemals und in meinen Social-Media-Feeds nur in Form von oberpeinlichem Engagement-Bait (eine Instagram-Kachel mit der Frage “Would House Music exist without Frankie Knuckles” triggert meine innere Lucille Bluth) vorkommt. Mäßig interessant aber: Das Interview, das CEO Wez Saunders anlässlich des 25. Geburtstags der britischen MusicWeek über das “Defected 2.0 Manifesto” (lol) gab und dabei unter anderem über die Kooperation des Labels mit Peloton (lol²) sprach und sich ernsthaft damit brüstet, eine Untergrenze von 30 % für die Tantiemenbeteiligung von Künstler:innen eingeführt zu haben. Zur Erinnerung: Laut einer jüngeren GEMA-Studie sind allein 42 % der Durchschnitt (lol³). So läuft Business-Tech-House also heute.
JKBX ist eine neue Plattform für den Handel mit Tantiemen und mir ist nach dem Schreiben dieser Worte ein bisschen übel. Privatpersonen können dort Anteile an den Songrechten von Hits erwerben. Der (Weiter-)Verkauf ist zwar noch nicht erlaubt, das aber wird wohl langfristig das Ziel sein. Üärgh.
Die LiveKomm schlägt Alarm, weil sie als Dachverband der Musikclubs in Deutschland gerade von einer Krise in die nächste stürzt. Ende März meldete sie sich mit einem Umverteilungsvorschlag, um der derzeitigen Festival- und Live-Branchen- beziehungsweise Clubkrise zu begegnen: Die großen Konzertveranstalter und Ticketing-Unternehmen (gemeint ist damit wohl zuvorderst der Quasi-Monopolist CTS Eventim) sollen Geld für den Mittelstand und Underground abzwacken. Kurios, dass britische Parlamentsmitglieder ziemlich genau dasselbe Prinzip nur wenige Tage später ebenfalls zur Sprache brachten.
Live Nation – um beim Thema Monopolisierung des Live-Geschäfts zu bleiben – ist wieder im Fadenkreuz der US-amerikanischen Behörden. Live Nation meldet auch neue Rekordeinnahmen für das Finanzjahr 2023. Live Nation versucht sich ebenfalls an einer Charme- beziehungsweise Transparenzoffensive hinsichtlich seiner halsabschneiderischen Ticketpreise. In related news: Blaukraut bleibt Blaukraut.
Mirlo startete vor Kurzem als genossenschaftlich organisierter Marketplace für Musik in digitalen Formaten und stellt sich dabei laut dem letzten Update immer professioneller auf. Derlei alternative Lösungsansätze verdienen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung.
Qrates scheint in sich zusammengefallen zu sein. Der Service bot sich als One-Stop-Shop für die Vinyl-Produktion an und hat aber anscheinend fast die gesamte zweite Jahreshälfte 2023 über, na ja, schlicht gar nichts mehr gemacht. Dem vorausgegangen war angeblich ein Cyber-Angriff, mittlerweile nimmt das Unternehmen keine Aufträge mehr an – kommuniziert aber ansonsten nicht, was eigentlich der Status quo ist und ob bisher nicht ausgelieferte Aufträge seit dem Jahr 2022 jemals erfüllt werden. Autsch.
SoundCloud könnte bald verkauft werden, nachdem das Unternehmen aus dem Vorjahr erstmals mit schwarzen Zahlen hervorging. Der Aufstieg und Fall und Aufstieg und Fall und Aufstieg und Fall und Aufstieg dieses Unternehmens bleibt spannend.
Spotify performt weiterhin gut an der Börse, zählt mittlerweile über 236 Millionen Bezahlabos und über 600 Millionen Nutzer:innen pro Monat, weshalb bei einem Anstieg der Einnahmen von 16 % gegenüber dem dritten Quartal die letzten drei Monate des Jahres 2023 auch trotz Verluste von rund 80 Millionen US-Dollar von erfreulichen Nachrichten die Rede sein kann. Weiterhin wird an manchen Stellen rationalisiert und an anderen fett investiert: Unter anderem erhält Joe Rogan schlappe 250 Millionen US-Dollar für einen Podcast, der nicht einmal mehr exklusiv bei der Plattform angeboten wird (!?). Im neuesten “Loud & Clear”-Bericht wird mit noch tolleren Zahlen aufgewartet: Neun Milliarden US-Dollar wurden im Jahr 2023 an die Rechteinhaber:innen von Musik ausgezahlt, gut die Hälfte davon ging laut Unternehmen selbst sogar an Indies. Dass die Big Three mit ihren jeweiligen Vertrieben massiv an vielen Indies mitverdienen und die Zahl also mindestens beschönigend ist: anderes Thema. Neben den auf Backstage PRO konzis zusammengefassten weiteren Ungereimtheiten im Wort- und Zahlensalat des vermeintlichen Transparenzberichts sticht im Kontext einer aktuellen Meldung insbesondere eine Kennziffer hervor: 80 % all der knapp 1.250 Künstler:innen, die im Jahr 2023 über eine Million US-Dollar über die Plattform verdient haben, hätten laut Spotify nie einen veritablen Hit abgeliefert. Ob Johan Röhr dazu zählt? Dessen Musik hat unter rund 650 (!) verschiedenen Pseudonymen – als “Fake Artists” also, wie sie schon seit Jahren immer wieder auf der Plattform identifiziert werden – laut der Zeitung Dagens Nyheter rund 15,6 Milliarden Streams generiert.
TikTok wird gerade von UMG, das dabei weite Teile der Musikwelt hinter sich weiß, in die Mangel genommen und jetzt auch noch durch den US-amerikanischen Senat geschleift – in Aussicht steht ein Verbot oder der Verkauf der App auf dem heimischen Markt. Keine geilen Nachrichten, während in den USA der Konsum der App nachließ. Ob es da was hilft, dass sich der Mutterkonzern ByteDance vehementer denn je auf den KI-Hype schmeißt?
UMG geht es blendend, ein Jahresabschluss mit einem Umsatz von 11,1 Milliarden Euro kann sich sehen lassen. Klar, ein paar hundert Menschen haben derweil ihren Job beim größten Musikkonzern der Welt verloren, aber Opfer müssen eben gebracht werden: Kurz nach Ankündigungen der Stellenstreichungen ging die Aktie des börsennotierten Unternehmens nach oben. Taking one for the team, etc. Innerhalb der firmeneigenen Labels wird derzeit ebenfalls umstrukturiert, um die Sache etwas mehr zu streamlinen. Das macht es immerhin möglich, mehr Geld auf noch mehr Superfan-Klitschen wie Complex zu werfen, sich bei einer Firma für Musikrechte namens Chord Music Partners einzukaufen und mit UMusicLift einen mutmaßlichen Inkubator für Musik-Start-ups aufzusetzen. Derweil gibt Chef Lucian Grainge dem New Yorker für eine bemerkenswert unkritische Homestory ein Interview, zwischen dessen Zeilen sich viel über die KI-Strategie seines Unternehmens herauslesen lässt. Inwiefern oder ob überhaupt diese Aussagen mit dem Manifest über den Einsatz von KI konform gehen, das UMG vor Kurzem gemeinsam mit Roland veröffentlicht hat, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt.
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