Review: Acid Pauli – Shifting Gier [Ouïe Circle]

Review: Acid Pauli – Shifting Gier [Ouïe Circle]

Features. 17. Dezember 2019 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

German Exportschlager Martin Gretschmann nimmt sich ja nur selten viel zu ernst. Projekte unter Decknamen wie AC/DC Pauli, Japaner oder Paul Breitner liegen bereits gute 15 Jahre und mehr zurück, stehen aber immer noch sinnbildlich für Gretschmanns Selbstverständnis: Eigenironie, ja bitte! Das einstig so aktive Nebenprojekt Console scheint derweil für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt und auch bei den Postrockern von The Notwist tritt der gebürtige Oberbayer seit dem Bandaustritt vor fünf Jahren allenfalls beratend zur Seite. Längst ist Acid Pauli zum Tagesgeschäft geworden. In Co-Regie betreibt er mit Kompagnon Nico Stojan mittlerweile das Label Ouïe. Dabei hat sich Gretschmann nun offenbar eingegroovt. Denn allmählich zeichnet sich eine Handschrift ab.

Vielleicht ist die Zeit vom ruhelosen Album-Modus und konventioneller Release-Politik für Gretschmann auserzählt. Vielleicht artikuliert sich für den in Berlin lebenden Produzenten aber auch gerade eine Phase des emsigen Hortens von Tracks und Tools. Allein über das eigene Label sind seit Unternehmensstart innerhalb von nur drei Jahren zwölf 12-Inches und zwei LPs erschienen, fast alle mit Beteiligung von Gretschmann selbst. Mit 'Shifting Gier' ist nun EP Nummer 13 erschienen, welche gleichzeitig die Sub-Label-Reihe Ouïe Circle anschiebt. Darin übt sich der DJ in Zäsur, drückt das Tempo und adressiert den Individualismus seiner Hörerschaft.

Erst Ende August erschien mit 'The Circle' eine ästhetisch ungewöhnlich freie 2-Track-EP von Keinemusik-Mitbegründer David Mayer, die den Startschuss für Gretschmanns experimenteller Vision zukünftiger Veranstaltungsreihen geben sollte. Mit Ouïe Circle sollen alternative Performance-Konzepte einen Raum finden. Die Idee: Für zukünftige Label-Partys eine Bühne zentral auf der Tanzfläche errichten und das Publikum kreisförmig um sich herum scharen. Stilistisch testet man hierfür zumeist schwebend-psychedelische Slowburner, die der Szenerie ein familiäres Gemeinschaftsgefühl geben sollen.

Und auch für 'Shifting Gier', dem gleichnamigen Titeltrack der EP, zieht Gretschmann hierfür ein wenig die Handbremse an. Auf acht Minuten reinster Pad-Progression entfaltet sich ein zunächst zaghafter Pendelrhythmus zu einem meditativen Deep-House-Groover. Das Wort 'aufblühen' passt hierbei wohl am besten, denn man scheint der sich subtil ausbreitenden Komplexität der Flächen nahezu zuschauen beziehungsweise zuhören zu können. Bei etwas flotteren 100 bpm eignet sich das Stück perfekt für den Beginn einer After-Session.

'Gierporn' startet mit einer moderat zügigen Bassdrum und leicht zurückgenommenen Synth-Loops. Hier glaubt man zunächst ein Daft-Punk-Demo freigeschaltet zu haben. Das sternenschauende Instrumental geht jedoch nicht über die Cosmic-French-Zitate hinaus, meidet rechtzeitig vor einer etwaigen Ekstase den kollektiven Disco-Drop und verläuft brav im Fadeout. Das letzte Stück 'Wer Giert Verliert' ist wohl am ehesten als Brücke zwischen Dancefloor und Ausklang einsetzbar. Hypnotisch genug und nicht zu perkussiv verschoben ist das letzte Stück mit der vorgerückten tiefen Kick das tanzbarste Stück der EP.

'Shifting Gier' als solches ist sowohl als detailverspieltes Kopfhörer-Erlebnis sowie als Afterhour-Tool variabel anspielbar. Interessant ist Gretschmanns neuer kreativer Ansatz, vermehrt Stimmungen mit solchen Kurzprojekten wie diesem einfangen zu wollen. Für den Moment scheint er damit eine neue Formel gefunden zu haben. Wenn man das Wortspiel dann bemühen möchte, hat Acid Pauli hier einen nächsten Gang eingelegt: Weg von der Electronica-Blase, rauf auf die Psychedelic-Wiese.

’Shifting Gier’ erschien am 6. Dezember auf Ouïe Circle.

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