Die neue Burial ist da! 'Antidawn EP' heißt das Ding – und ist ein Dampfbad seiner Hyperdub-Veröffentlichungen. Keine Beats, Ambient only. Ein Rausch, der im Gegensatz zu seinen jüngeren Releases die David-Lynch-Drones kübelt und wieder auf die Taste für Nostalgie nach Zukunft drückt. Wer in 43 Minuten alle Emotionen durchleben will, durch die ein Mensch stolpern kann, spielt diese Platte. Solange bis die Winterdepression anklopft.
Burial ist ein Phänomen, das es in Zeiten von Insta-Game und TikTok-Sternchen gar nicht mehr geben dürfte. Eines, das nicht 24/7 seinen Arsch in die Handykamera dreht oder der Ökonomie von Challenges auf Social-Media-Plattformen unterliegt. Burial ist der Joker im Hyperdub-Quartett. Als solcher macht er sich rar. Nachdem vergangenen Dezember ein neues Foto – das dritte überhaupt – von Burial im Netz auftauchte, ging es in der Community rund. Dabei gibt er sich darauf wie einer von der Antifa, kurz bevor er einem Neonazi die Fresse poliert. Man merkt, dass der Typ unter seiner schwarzen Maske grinst, die Kapuze über den Kopf gezogen streckt er die Hände zur Seite aus. Ein moderner Jesus in North-Face-Parka predigt Emotions und trinkt von der Liebe, die aus der Orgel sprudelt, die auf seiner neuen Platte pfeift.
Außerdem klackern auf ‘Antidawn’ Feuerzeuge, Hunde bellen in der Nachbarschaft, in der Ferne heulen Sirenen. Burial eben. Die Dämmerung ist noch einen Song entfernt. Der Moment perfekt. Gerade verschluckt die Nacht noch alle Sorgen – „nowhere to go / walking through the streets / my love, my love“. Darin liegt die Magie der Wiederholung, der Reiz der Repetition, das Gefühl von einer Zukunft, die bereits stattgefunden hat, ohne dass wir es … Wir kennen das Narrativ! Das Knistern – ist es die Nadel auf Vinyl, das Kaminfeuer, der vorbeirauschende Verkehr? – führt zu einem Bruch, der mit den Bildern, die die Musik erzeugt, bricht. Dieser Bruch legt keine Bruchstelle offen, sondern eine Abgrenzung zu einer Fläche, die zuvor versiegelt erschien. Sie ist der Nicht-Zustand zwischen einem zeitlichen Innen und einem räumlichen Außen. Ein fiktiver Ort, innerhalb dessen reale Bilder im Rausch aufgehen.
Stücke wie der Opener ‚Strange Neighbourhood‘ sind der doppelte Aufguss von Burials ‘Rival Dealer’-EP oder ‘Yought Death / Nightmarket’. Über zehn Minuten romantisches Brimborium, das sich aufbaut, zerfleddert, neu zusammensetzt, rauscht. Daraus entsteht eine Collage an Flächen, Drones und Texturen, die zwar immer nach vorn zeigen, aber keine Reise unternehmen, deren Ziel man nicht schon vor dem Aufbruch kannte. Burial muss sich nicht neu erfinden, um Qualität zu liefern. Allein die zehn Minuten und 20 Sekunden von ‚Shadow Paradise‘ sind ein popmusikalischer Bliss, den man auf Loop stellt, bevor man in die Wanne springt, um aus lauter Entzückung drei Badebomben platzen zu lassen.
Im Gegensatz zu Tagtraum-Raves auf Releases wie ‘Chemz’ oder den Endlos-Drones auf ‘Subtemple’ oder ‘State Forest’ sprudeln auf ‘Antidawn’ Emotionen aus Harmonien. Außerdem sind die Vocals wieder da. Ecstasy-Tränen kullern bei ‘New Love’ über Wangen, ohne dass man sich dagegen wehren könnte. Schließlich ist das Musik, für die man zurückgeworfen wird. Automatisch. Eine Talsohle der Nostalgie tut sich auf, in der man sich so lange suhlen sollte, bis der YouTube-Algorithmus mit Depri-Playlisten nervt. Die Gefahr der sentimentalen Überdosis lauert im Schein der Tageslichtlampe.
Wenn irgendwann sogar das Quetschen der Ziehharmonika alpenländische Heimatgefühle auslöst (‘Upstairs Flat’), brechen die Dämme der guten Hoffnung. Für eine Sekunde wünscht man sich, dass Burial unter solche Stücke einen Break gezimmert hätte. Der Effekt wäre, nun ja … stellt euch einen Engelschor zu Amen Breaks vor und ihr seid noch immer nicht ansatzweise close. Denkt man im Gewirr der gepitchten Stimmen aber länger drüber nach, ist man froh, dass er es nicht getan und der Versuchung standgehalten hat. Zu einfach wäre man in die Tränendrüsen-Hüpfburg gestolpert.
‘Antidawn’ ist ein Album, das als EP daherkommt. Die einzelnen Tracks bauen sich immer wieder neu auf, haben eigene Teile – daraus hätte der Placelessness-Babo aus London locker eine Platte mit zehn Stücken basteln können. Dass er es nicht getan hat, entspricht seiner persönlichen Integrität und unterstreicht den Collagen-Charakter. Um nicht so zu klingen wie ein Zeichenlehrer in der 6b: Mit ‘Antidawn’ sind wir sechs Tage im neuen Jahr drin und haben schon eine Platte des Jahres.
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1 Kommentare zu "Review: Burial – Antidawn EP [Hyperdub Records]"
Beste Review dich ich bist dato gelesen habe!
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<3
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