Es gibt nur einen Rudi Völler, aber zwei Dasha Rushs. Die eine spielt Musik für Menschen, die jedes Wochenende von den Durchdrehpillen schnabulieren, um die restliche Woche darüber nachzudenken, vielleicht doch mal zum Psychiater zu gehen. Die andere Dasha Rush geht’s ruhiger an, weil man das ständige Hochgeschwindigkeitsballett auf Dauer nicht aushält, ohne durchzudrehen. Sie ist also die Art Person, die einem am Dienstag bei einer Tasse Tee erzählt, dass der Montag eigentlich ihr Sonntag sei, und bei der man sich immer denkt, „Mensch, so ein Leben müsste man mal haben!”
Kann man haben: 'Contemplation' ist das Stichwort. Das heißt: zurücklehnen, Augen schließen, einfach mal tief durchatmen. Macht man ja so selten, weil: Alles ist immer so voll. Der Google-Kalender, die Autobahn, das Boot und dann am Wochenende wieder man selbst. Also muss an werkenden Tagen was her, das einen runterholt, also reinholt und von dem man später sagen wird: „Das hat mich echt so richtig doll gegroundet.”
Weil man für derlei Zwecke nicht zu Hast-du-schonmal-die-Entstehungsgeschichte-von-Ambient-gehört-Ambient greift und die kuratierte YouTube-Timeline auf gar keinen Fall mit 10-hours-Regenwald-Quaken zerschießen mag, hört man zum Beispiel auf Leute, die in ihrer LinkedIn-Bio schreiben, wo sie schon mal wann den Sound für den oder die gemacht haben. Die zweite, ruhige Dasha sagt dort zwar gar nix, aber weil sie auf Raster-Noton ihre Platten veröffentlicht, hört man es trotzdem, denn – und jetzt kommt der Vertretersatz Nr. 1: Von dem Label kann man ja eigentlich alles blind kaufen.
Kann man, sollte man. Vielleicht müsste man sogar. Sofern man nicht bei Radio Zwoundachtzischneun arbeitet und sich Itchy Scratch nennt. Die Sorte Mensch hat für so Ey-spiel-doch-mal-was-lebendigeres-Mukke nämlich nicht so viel Geduld. Und weil Geduld die Mutter von irgendwas ist, löscht man am besten gleich noch TikTok vom iPhone. Soll ja klappen mit der 'Contemplation', oder?
Wer an der Stelle begeistert ruft, endlich sagt’s mal jemand, hat den ersten Teil der Message noch immer nicht verstanden: Ruhe! Nein, nicht Zimmerlautstärke, nein auch kein Flüsterton, Herbert! Absolute Ruhe! Es soll hier mal bitteschön leise sein! Dann hört man auch was. Weil doch die zweite Dasha Rush immer so Musik macht, bei der es in Nachrufen auf einen aus ihrer Peer Group heißt: Die war eine Meisterin der leisen Töne.
Wer sich rausnimmt und reingeht, in sich und vielleicht auch mal in die Gedanken, steigert mit dieser Platte die eigene Einschlafgeschwindigkeit um bis zu zwei Drittel. Weil sich das nach einer tollen Versprechung anhört, machen sogar auf Elektrorollern durch die Stadt zuckelnde Managermenschen mit und am Ende sitzt man dann in einer illustren Runde, neben einem Silicon-Valley-Milliardär, zwei Klosterfrauen und ein paar Selbsthilferatgebern, die alle im Akkord auf die Knie fallen vor lauter Erleuchtung.
Wer die nicht sucht, diese Erfahrung-ist-eigentlich-das-falsche-Wort-dafür, der oder die sucht lieber weiter. Auf Radio Zwoundachtzischneun oder im Regenwald. Vielleicht findet man sie auch im Club. Dafür müsste man aber zur ersten Dasha Rush. Zum Glück gibt’s von der im Gegensatz zu Rudi Völler ja zwei.
'Contemplation' von Dasha Rush erschien am 29.09.2023 via Raster-Noton.
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