Review: David August - DCXXXIX A.C. [99CHANTS]

Review: David August - DCXXXIX A.C. [99CHANTS]

Features. 12. März 2018 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Wir müssen uns hier nichts vormachen. Wer bei der atmosphärischen Königsdisziplin Ambient angekommen ist, hat diesen Schritt bewusst gewählt. Es geht hier um Ausbruch und Befreiung. Befreiung von eingefahrenen Wahrnehmungsgewohnheiten, von schier maschinellen Zwängen, die immer und immer wieder dem gleichen Schema folgen müssen. Kein Wunder, wollen Bassläufe doch dazu beitragen, gedankliche Struktur in ein Stück zu flechten. Doch was tun, wenn wir nur noch Statik im trotzigen Four-To-The-Floor-Bullshit finden aber keine Ästhetik mehr darin sehen? Oder einfach nur mal eine Pause brauchen? Erstmal tief durchatmen. In sich gehen. Und ein Ambient-Album aufnehmen. So geschehen beim Hamburger David August, der nach einer längeren Auszeit unter neuen Vorzeichen zurück ist aus dem kreativen Exil.

Mit dem sperrigen Titel »DCXXXIX A.C.« deutet August zunächst nur entfernt an, sich mit seinen italienischen Wurzeln musikalisch auseinandersetzen zu wollen. In 24 knappen Intermezzi entledigt er sich den Erwartungen an verspielt-harmonische House-Hymnen und kreiert eine Klangkulisse rein zu Selbstzwecken. Hier sollen keine lässigen Grooves zum entspannten Mitwippen animieren. August wirkt ganz bei sich selbst und im Begriff, spiritueller Erleuchtung auf der Spur zu sein. Egal scheint auch, ob und wie unbequem die einstündige Suite für sein Publikum klingen mag. Konsequenterweise bedeutet das auch, für ein neues Setting sorgen zu müssen: 99CHANTS ist sein, der Gelegenheit geschuldet, neues Label. Selbstverständlich zu 100% independent, sollen dort künftig 98 weitere so genannte »Chants« über den Äther fließen. Ein Plus am Rande: Trotz seiner schöpferischen 180-Grad-Wende, verzichtet August hier auf Alter-Ego-Zirkus.

 Dennoch geht es deshalb nicht weniger pathosbeladen zu. Höchst dramatisch und nahezu szenisch durchdacht, stechen einige Stücke klanglich deutlich hervor. »1999 D.C.« unterbricht den selbsternannten einstündigen Atmer mit verknoteten Vocalspuren, klirrendem Krach und knirschendem Holz. Ein langes Piepen bleibt im Ohr hängen. Gleich darauf zieht das Stück »Echoes« zurück in die skurrile Traumwelt. Nur für wenige Momente wirkt diese durch Donnern bedroht, entlädt sich durch ein virtuoses Saxophon-Solo aber in Entspannung. Kaum zehn Minuten verstreichen, so wird deutlich: Augusts Ambient säuselt nicht nur wohlig vor sich hin. Nein, hier wird aktiv, manchmal gar hektisch nach neuen Zugängen gesucht.
Ambient bedeutet nicht zuletzt auch, in sich selbst hineinzuhorchen.

Sehen und vor allem hören was da lauert. Die Lesart gleicht einem Ventil des Unterbewusstseins. In dem Stück »Underground« geht es deutlich sakraler zu. Vielfach überlagerte Choral-Spuren knallen aufeinander und verleihen der existenten oder eben nicht existenten Narrative des Albums einen kirchlichen aber schwermütigen Charakter. Insbesondere »Modern Testament« wartet mit derben Distortions auf und züchtet sich postapokalyptische Vatikan-Ruinen heran, die im darauffolgenden knappen »Pursuance« die Kulisse eines satten Floor-Fillers bilden könnten. Auch »Gospel Of A Thief« wirkt fast manisch und füttert diese dunklen Nuancen.
Was sich im Waschzettel zur korrespondierenden Visualisierung auf YouTube als ein Ergebnis aus Sessions in Island, Italien, Berlin und über dem Atlantik liest, scheint tatsächlich aber ein vertontes Gedankenexperiment geworden zu sein. Wichtig ist, neuen Impulsen einen Raum geben zu können. Und das älter werden auch bedeutet, Neues probieren zu können. Denn »DCXXXIX A.C.« ist auch David Augusts Suche nach etwas: Dem Anfang von etwas neuem und dem Ende von etwas altem. Vielleicht hat Pause machen noch nie so gut getan.

 

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