Avalon Emerson scheint geradezu von Fortbewegung besessen. Schon im Video zu ihrer Durchbruch-Single ‘The Frontier’ schwang sie sich aufs Motorrad, auf dem Cover ihres Eintrags in der ikonischen DJ-Kicks-Serie trägt sie den passenden Helm dazu. Die zwei von ihr produzierten Vorabsingles? Werden natürlich ebenfalls visuell von Roadtrip-Erzählungen umrahmt. Ihr mit vielen Exclusives und Edits gespickter Mix muss dann wohl als Reise verstanden werden. Es geht querfeldein durch die private Sozialisation und an Meilensteinen der Rave-Geschichte vorbei in Richtung … Ja, doch: Zukunft.
Die DJ-Geschichte Emersons beginnt schon, bevor sie überhaupt zum ersten Mal hinter den Decks steht. Sie produziert selbst und fertigt vor allem Edits an, optimiert immer wieder Klassiker nach ihrem eigenen Geschmack. Es ist eine Tradition, die sie sich bewahrt hat: Über 90 Prozent aller Stücke, die sie in einem durchschnittlichen Set spielt, sagte sie noch im Februar letzten Jahres gegenüber Elissa Stolman in der Resident-Advisor-Serie 'The Art of DJing', seien in irgendeiner Weise von ihr manipuliert. Zahlreiche dieser Edits hat sie immer wieder unter dem Titel 'Cybernedits' über eine zugehörige – mittlerweile aber offenkundig stillgelegte – Website veröffentlicht und natürlich sind auch auf ihrem DJ-Kicks-Beitrag neben einigen Eigenproduktionen auch Edits und Remixe sowie eine überraschende Coverversion zu hören.
Der gut 72-minütige Mix wird von ebenjener eröffnet: ‘Long Forgotten Fairytale’ von den Magnetic Fields erschien im Jahr 1999 auf dem Album ‘69 Love Songs’, bis heute ein Meilenstein des elektronisch unterfütterten Indie-Pops. Emerson befreit das Stück von seinen ornamentalen Elementen, baut es ausgehend von der markanten Bassline neu auf und singt darauf. Ihre Stimme hat die Produzentin schon auf vorigen Produktionen immer wieder eingesetzt, nie aber dermaßen konventionell wie in diesen viereinhalb Minuten. Ihr Duktus ist ein zurückhaltender, ihr Gesang nicht sonderlich kraftvoll. Er wird von Vocoder-ähnlichen Dopplungen gestützt, die jene des Originals klanglich updaten. Das mag zwar für die Aufnahme in ein Konservatorium oder eine Karriere als Solistin keinesfalls reichen, überträgt aber das Understatement des Originals nahtlos in einen modernen Sound, ohne an emotionalen Qualitäten einzubüßen.
Es ist auch der perfekte Auftaktsong für einen Mix, der ein Miteinander von avanciertem Klang und an Dilettantismus grenzender Euphorie zu seinem Leitmotiv macht. Der hohe technische Anspruch, der Emersons Arbeit als DJ formt, verschränkt sich nie vor feinen Modulationen in Stimmung und Energielevel und erlaubt ebenso viel Pop wie er sich dem Simplen und Effektiven nicht verschließt. Emerson gelingt, ob in der Booth vor Publikum oder wie hier am Reißbrett, immer wieder ein austarierter Kompromiss zwischen Handwerk und Kunst. Im DJ-Kicks-Mix zeigt sich das bereits am zurückhaltenden zweiten Stück ‘Wastelands and Oases’, das die Atmosphäre verdunkelt und wuchtige Bässe einbringt, dann aber doch nur die Spannung hochregelt, indem das Tempo heruntergefahren wird: Mit ‘Butterfly’ von Tranceonic nimmt der die (hier ursprünglich aus der Schweiz stammenden) Italo-Anklänge des Openers und der Einstieg insgesamt damit jede Menge Geschwindigkeit auf.
Es folgen raviger Breakbeat, mit ‘Rotting Hills’ ein schöner Anschluss-Track zu Emersons großem Erfolg ‘The Frontier’, psychedelischer House von anno dazumal und noch viel, viel mehr. So sprunghaft Emerson aber zwischen vergessenen Perlen und ihren eigenen Produktionen, diesem und jenem Genre oder verschiedenen Rhythmen und Tempi manövriert, so agil bleibt ihr Mixing: Hier werden die Übergänge lang gehalten und zwei Tracks miteinander verschmolzen, dort wieder unbarmherzig gecuttet. Kalkül und Gefühl treffen in einer überlegten Dramaturgie aufeinander und treiben so die schönsten Blüten.
Spätestens mit dem bleependen Techno von The-Knife-Mitglied Olof Dreijer unter dem Pseudonym Oni Ayhun werden allerdings die Weichen für eine gehörige Abfahrt gestellt: Emerson trägt den Helm schließlich nicht umsonst. Über Tracks von Smith n Hack, Soundstream und einem Cybernedit vom The-Dirtbombs-Cover des frühen Techno-Klassikers ‘Sharevari’ von A Number of Names hinweg beweist sie, dass ihre Vorstellung von Peak-Time-Kompatibilität Spielraum für Variationen zulässt, um selbst ein an die Couch gefesseltes Publikum bei der Stange zu halten. Eine weitere Italo-inspirierte Eigenproduktion läutet dann das Ende ein, das ebenfalls nicht mit Knalleffekten geizt, wenngleich diese subtil sind: Auf Lady Bs sphärischen Techno folgt eine Trance-Abstraktion von Regular Citizen und schließlich ein Emerson-Remix von Austras 'Anywayz', der dem Understatement des Openers eine stimmliche Theatralität entgegensetzt und zugleich mit Beat und Bassline als musikalisches Echoeffekt den Kreis zum Anfang gekonnt schließt.
Emersons Beitrag zur DJ-Kicks vernäht Musik aus verschiedenen Ären und Bereichen mit einer Konsequenz und Kreativität, die ihresgleichen sucht. Der musikalische Roadtrip, zu dem die Produzentin lädt, folgt jederzeit ihrer eigenen Routenplanung und ergeht sich dennoch nicht im allzu Privaten. Als persönliches Dokument, das ihre Sozialisation und ihre Lieblinge vorführt, sie unter Emersons Prämissen verändert und mit Eigenproduktionen in einen Dialog treten lässt, wahrt der Mix doch die Qualitäten eines guten Sets: Hieran können alle Spaß haben und ein bisschen von dem Freiheitsgefühl tanken, dem seit der Erfindung des Motorrads hinterhergejagt wird. Wenn das nicht zukunftsweisend ist, was dann?
’DJ-Kicks' erschien am 18. September auf !K7.
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