Im 17. Jahrhundert war die Vorstellung, es könnte in einer abwegig fernen Zukunft so etwas wie ein Instrument geben, das Klänge des gesamten Universums simulieren kann, noch reine philosophische Spielerei. 400 Jahre später ist genau dies der Fall: Mittlerweile können mit DAWs beliebig modellierbare Töne erzeugt werden. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis für Berghain-Resident Phillip Sollmann, dennoch nutzt er dieses kreative Kopfspiel zwischen Voraussetzung und Produkt als Kulisse für sein mittlerweile viertes Studioalbum und gleichzeitiges Solodebüt auf Ostgut Ton. 'New Atlantis' ist Konzeptalbum durch und durch und eröffnet für knapp 50 Minuten das Tor zu einer anderen Welt. Als Vorlage dient dafür ein unvollständiger Entwurf einer utopischen Erzählung von 1627.
'We have […] sound-houses, where we practice and demonstrate all sounds, and their generation.' schrieb der Brite Francis Bacon. Nach ähnlicher Idee lässt Sollmann auf dem Album epische Ambient-Suiten mit klassisch hartem Techno verschmelzen, wechselt zwischen akustischen Holzinstrumenten und Drone-Signalen oder lässt Detroit-Gerüste gegen Hackbretter antreten. Sollmann fordert seine HörerInnen deutlich heraus, bietet dabei aber ein dicht durchdachtes, transzendentes Schau- bzw. Hörspiel, das auf eine rhythmische Rundreise durch verschiedenste Stile und Instrumentierungen schickt. Vor allem die titelgebende Single 'New Atlantis' steht beispielhaft für die Ansprüche, die er setzt. Psychedelisch, sowohl heiß als auch kalt und tanzbar aber entspannend, versetzt das Stück in einen traumähnlichen Zustand, der weniger an stickige Clubs als an tropische Urwälder erinnert.
Auch das von William Wiley eingesungene Intro, ein methodistisches Gebetsgedicht, verdeutlicht: Hier geht es vordergründig nicht nur um Club-Kontexte. Wer Sollmanns Klangkunstexperimente unter bürgerlichem Namen schon länger verfolgt, wird 'New Atlantis' als erstmalige Zusammenführung seiner freien Arbeiten als Klangtüftler (zuletzt zusammen mit Oren Ambarchi und Konrad Sprenger, sowie auf der kollaborativen LP mit John Gürtler) mit den Techno- und Deep House-Kräften als Efdemin verstehen. Im Vergleich zu seinen KollegInnen war seine Version von Techno ohnehin noch nie die konformste. Trotzdem werden die kruderen Stücke zeitweise durch leichter zugängliche Tracks aufgelockert.
'Good Winds', ein typischer 140bpm-Stampfer, markiert das schnellste Stück des Albums und erinnert noch am ehesten an das Vorgängeralbum 'Decay' von 2014. Auch 'A Land Unknown' und 'Black Sun' lassen sich vergleichsweise bereitwilliger in künftige Mainfloor-Sets einbauen, als es der Retrofuturismus und die unweigerlich mitschwingende spirituelle Verklärung auf den ersten Blick erlauben wollen. Darin liegt aber auch Sollmanns Mission mit diesem Album begründet: Sich von Erwartungshaltungen zu befreien, um Neues entstehen lassen zu können.
Allerdings erschlägt die enge Verzahnung aus Musik und Mythologie zunächst. Erst nach mehrmaligem Hören in unterschiedlichen Situationen wird Sollmanns Vorstellung von einer klanglichen Anderswelt nach und nach präsenter. Wie wichtig experimentelle Konzeptalben wie dieses immer noch für die Fortentwicklung der elektronischen Musikkultur sind, kann sich erst im Nachgang zeigen. Dem vielbeworbenen Tod des Albums wird hiermit abermals ein Gegenargument entgegengebracht. Künstlerisch gesehen hat Sollmann als Efdemin mit 'New Atlantis' dabei seinen kreativ größten Fortschritt manifestiert.
'New Atlantis' erschien am 15. Februar auf Ostgut.
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