Review: Helena Hauff - Qualm [Ninja Tune]

Review: Helena Hauff - Qualm [Ninja Tune]

Features. 11. August 2018 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Es hilft kein Rütteln und kein Klopfen, Rausch und Dampf quillt aus den Boxen. Mit Fug und Recht lässt sich behaupten, dass die Hamburgerin Helena Hauff nicht gerade als Mutter der elektronischen Wohlfühlästhetik bekannt ist. Im Gegenteil. Mit ihrem zweiten Album 'Qualm' setzt sie Dancefloor-Panik frei, bringt Synthesizer zum Rauschen und genießt es vor der Nebelmaschine zu campieren.

 

Kurz: Wieder einmal gelingt es Hauff, Schönheit aus Chaos zu destillieren. Vor allem nutzt sie die Plattform des Studioalbums auch, um sich musikalischer Korsetts entledigen zu können, die ihr in der dienstleistenden Funktion als DJ obliegen. Zwischen kantigem Industrial-Noise, gelegentlichen Tribal-Elementen und rhythmischem Acid-Techno, fährt sie ihren Produktionsstil hörbar ins Plakative, vergleicht man einmal ihren jetzigen Klang mit ihrem früheren Werk 'Actio Reactio'. Klar, Entwicklung ist wichtig und strukturiert den Verlauf einer (künstlerischen) Karriere. Hier lohnt es aber sich den Zusammenhang vom Debüt bis heute zu vergegenwärtigen: 'Qualm' ist ihr bislang radikalstes Werk, und als solches muss es verstanden werden.

Merklich ernst nimmt Hauff ihr kreatives Schaffen, beweist aber Humor in der Betitelung der Stücke. 'Fag Butts In The Fire Bucket' und 'Hyper-Intelligent Genetically Enriched Cyborg' sind Zeugnisse davon. Nicht zuletzt spielt aber der Projekttitel selbst mit mindestens zwei Bedeutungen: Zunächst deutet die verschwommene Cover-Kulisse auf Orientierungsverlust, Taumel im Rauch oder eben Qualm hin. Zum anderen verbringt sie mit einem Bein viel Zeit in Großbritannien. Qualm, aus dem Englischen frei übersetzt als nervöses Unwohlsein, zeigt also auch an, mit welchen Ausgangsstimmungen bei der Durchsicht des Albums gerechnet werden kann. Dass dabei wie sie selbst sagt optimalerweise “etwas Kraftvolles” entsteht, ohne “zu viele Instrumente und Layers” verwenden zu müssen, ist der persönliche Anspruch an ihr Album. Das Ergebnis ist brachialer Peak-Time-Bunker. Rotzig-dreckige Klangskizzen, die mal improvisiert und mal bewusst lieblos produziert scheinen.

Gleich zu Beginn geht das Stück 'Barrow Boot Boys' trotz moderater BPM-Werte in die Vollen. Ein schier wütendes Drum-Machine-Gewitter, das soweit in Verzerrungen und Störgeräuschen zu versinken scheint, dass man erst nach mehrmaligem Check der Verkabelung zwischen Lautsprecher und Endgerät zu verstehen beginnt: Hauff liebt Unfertiges, und das soll so sein. Mit dem anschließenden Track 'Lifestyle Guru' nimmt das Geschehen bereits deutlich Fahrt auf. Ein satter Four-To-The-Floor-Stampfer, der an der gleichen Drum Machine entstanden ist, aber noch ein wenig Acid einstreuselt. Nicht aber unbedingt alle Stücke fahren von vornherein ein hohes Tempo. Während sich 'btdr-revisited', ein dreieinhalbminütiges Jammen mit Claps und Bleeps, wie kurze Erholung anfühlt, potenziert sich der Eindruck von Experiment und Läuterung darauffolgend um so mehr. 'Entropy Created You And Me' ist ein Mittelding aus Ambient-Idee, 8-Bit-Spielerei und Static-Noise.

Zur Halbzeit etwa ist dann das Setting genügend vorbereitet. Hauff geht nahezu erstmals auf dem Projekt für zirka 15 Minuten in melodischere Gefilde über. Vor allem der Einsatz taktfüllender Retro-Synths im Hintergrund lässt 'Hyper-Intelligent Genetically Enriched Cyborg' nahezu wie einen Proto-Italo-House-Entwurf wirken. Get your Stirnband on, 'The Smell Of Suds And Steel' fühlt sich an dieser Stelle ebenfalls wie ein Aerobic-Kurs an. Danach ist ein seltsamer Punkt der Platte erreicht. Die Stücke 'Primordial Sludge' und der gleichnamige Titeltrack 'Qualm' bereiten entsprechend das Gegenstück 'No Qualms' vor. Beide ohne Beat, entschleunigen die Tracks abermals und beruhigen Energie und Tempo. Von dieser Pause an rappelt sich Hauff aber kaum mehr auf.

'Panegyric' tippelt ganz für sich allein auf der Stelle umher und der der Melancholie zu Füßen fallende Closer 'It Was All Fields Around Here When I Was A Kid' wäre lieber ein The Cure-Track geworden als eine Geschichte zu Ende erzählen zu müssen. Das ist aber eben so bei Straight-To-Tape-Elektronik. Nicht jeder Versuch gelingt und manche Experimente bleiben eben nur experimentiert, ohne weiterführende Erkenntnisse zu liefern. Aber das ist ja auch das Schöne. Insbesondere das Album hat mindestens die Pflicht, mit Stimmungswechseln, stilistischen Brüchen und möglichen Überraschungen zu arbeiten. Das leistet 'Qualm' in jedem Fall. Angenehm ist es auch, wenn sich das Album nicht versucht anzubiedern, aus Angst, den/die Hörer/in verlieren zu können. Auch das leistet 'Qualm'. Vor allem aber ist es schwierig, wenn Retro durch Nostalgie verklärt wird und nichts Eigenes und Neues entsteht. In vielen Momenten schafft es 'Qualm' auch das zu vermeiden. In jedem Fall aber zeugt dieses Album davon, dass Überproduktion und audiophiler Fetischismus keine Zwänge sind und es wohl auch nie gewesen sind. Clubmusik ist unperfekt und für den Moment gemacht. So soll es auch bleiben.

 

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