Wer einmal durch Leonard Hieronymis’ jetzt schon essentieller 'Ultralist' gestöbert hat, wird nicht unlängst an Shane Carruths Soundtrack zu 'Upstream Color' aus dem Jahr 2013 vorbeigekommen sein. Darin verarbeitet Carruth unausgeschlafene Träumereien, glaubt an kühne Gedankenfehden und erträgt bittere Unzufriedenheit. Der dazugehörige Film handelt dagegen von parasitärem Schweinebefall, telepathischen Beziehungsgeflechten und einer hoffentlich noch fernen Pharma-Dystopie. Janz weit Draußenes also. Nichts davon trifft aber auf Iron Curtis’ gleichnamigen Debütnachfolger zu, keine Sorge.
Dennoch scheinen die Werke, nicht nur wegen des geteilten Namens, miteinander verquickt zu sein. Beide Alben versetzen in unscharfe, verschleierte Traumwelten, reichen akustisch weit in den Kosmos Ambient hinein und klingen höchst unbemüht, fast schon ungefragt natürlich. Ob Johannes Paluka Carruth je gehört hat, wird wohl nur er selbst wissen. Der Vergleich lohnt aber trotzdem, immerhin ist Palukas 'Upstream Color' vor allem in den ruhigen Passagen mindestens so kraftvoll wie Carruths bildunterstützender Soundtrack.
Zwischen zwölf Anspielstationen mischen sich drei Interludien gleichende, musikalische Gefühls- und Denkpausen. Genau zur Halbzeit wirken auf dem Stück 'Bethanien' verwischte Rauschelemente wie Fieldrecordings von den letzten Tagen am Strandufer. Ein zaghafter Piano-Loop säuselt auf der Seite melancholisch. Nur ganz, ganz weit entfernt klingt eine unterdrückte und stark verfremdete Kick noch etwas nach. Was ist bis dahin geschehen? Mit dem Stück 'Werc Werc Werc' sorgt Paluka für nicht weniger als eines der stärksten Peaktime-Highlights dieses Spätsommers. Die beiden Stücke 'Boorang' und das titelgebende 'Upstream Color' wirken subtil, in sich gekehrt und dagegen fast schon schüchtern.
Keine Chance aber an 'Davos', einer der stärksten Tracks des Albums, vorbeizukommen. Ausgewaschene Vocal-Schnipsel schaukeln sich in knapp 90 Sekunden purem Lo-Fi zu einem unwiderstehlichen Ohrwurm herauf, der nur wenige Minuten weiterwandert, aber noch lange im Kopf zurück bleibt. Wie bereits mit dem Vorgängerprojekt 'Soft Wide Waist Band' von 2012 schafft Paluka es erneut, von Track zu Track auf bestimmte Stimmungen hinzuweisen aber genügend Spielraum für eigene Interpretationen zu lassen.
Am besten beschreibt das Stück 'Lucent' die Atmosphäre des Albums: Deep House auf Tauchgang durch glühendes Morgenrot. Der Spagat gelingt zudem, zwischen Clubkontext und Hausgebrauch beide Anforderungen zu vereinen. Einerseits weil Palukas Sounddesign stets druckvoll genug produziert ist Tanzflächen füllen zu können, andererseits weil die melodischen Motive melancholisch genug scheinen, in Einsamkeit gehört werden zu wollen.
Häufig wird in Besprechungen zu House- und Electronic-Platten der Status Album verhandelt und, sofern eine konzeptionelle Linie spürbar ist, auf langatmige Passagen geprüft. Um so schöner ist zu sehen, wie viel Zeit sich Paluka hier für einzelne Stücke nimmt. Gleich drei Tracks überschreiten bei einer Langspieldauer von nur einer Stunde die 7-Minuten-Marke und entfalten sich ausgiebig. Das darf und muss so sein. So zeigt sich: Palukas Sound, wie auch er selbst, sind nach einer über 10-jährigen DJ-Karriere deutlich reifer, abgeklärter und gesetzter.
Mit dem Closer 'Mt. Gordon' wirkt Paluka zuletzt geläutert, sucht und findet Katharsis in harmonischen Synthie-Flächen und beschließt ein Album, das zu seinem bisher besten Material gezählt werden kann. Hinter den nicht seltenen Ambient-Momenten liegt eine bislang kaum entdeckte aber interessante Seite von Paluka, die er definitiv erforschen könnte. Shane Carruth wollte mit seiner Version von 'Upstream Color' eine musikalische Sprache finden, auf die die visuelle Ebene seines Films eine Antwort finden sollte. In der Totalen leistet Johannes Palukas Album so etwas ähnliches: Es sorgt für die Kulisse, aus der sich kommende Projekte weiterentwickeln werden.
Upstream Color erscheint vorraussichtlich am 24. September auf Tamed Musiq
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