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Review: Jayda G – Guy [Ninja Tune]

Review: Jayda G – Guy [Ninja Tune]

Allgemein. 24. Juni 2023 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Es ist nicht gerade das Naheliegendste selbsttherapeutisch im Fotoalbum der eigenen Familie zu wühlen, um dessen Essenzgewinn dann in ein Dance-Album zu drücken. Was oft nicht klappt: Melancholie und Schmerz mit Funktionalität und Tanzbarkeit zu koppeln. Denn was man nicht will: Etwas sehr Ehrbares nehmen und daraus quirligen Quietsch machen. Auf 'Guy’ wird Musikerin Jayda G ungewöhnlich persönlich und huldigt damit ihrem verstorbenen Vater. Musikalisch nimmt sie dafür neue Risiken auf sich.

Gleich vorne weg: 'Guy' ist mehr Dance und Pop als House und Disco. Dass Jaydas Live-Sets grundsätzlich immer gnadenlose Energie ausstrahlen, ist weitläufig erprobte Floor-Praxis. Auf ihren Alben ist das prinzipiell nicht anders. Mit dem Debütnachfolger definiert sich Jayda nun aber deutlicher über Gesang, versteht sich eher als Songwriterin denn als DJ. Als Rahmung für die Erzählung dienen Bild- und Tonaufnahmen ihres Vaters, William Richard Guy. Es sind Erzählungen eines Schwarzen in Amerika, eines Vietnam-Veterans und eines Familienvaters. Jayda ist erst zehn, als sie ihn an kurzer schwerer Krankheit verliert.

Von Beginn an surrt und spult ein Band, suchend nach der Identität eines Mannes. Immer wieder tauchen Passagen aus den Mitschnitten auf und unterbrechen den eigentlich recht genügsamen Verlauf der Platte. Nach einer Grammy-Nominierung für das ohrwurmige 'Both Of Us' und Remixe für Dua Lipa und Taylor Swift, scheint die Tür zur Weltbühne weit aufgerissen. Zwar muss das eine nicht zwingend etwas mit dem anderen zu tun haben aber erstaunlich konventionell sind die Songstrukturen hier schon. Selten bricht ein Stück aus der goldenen 3-Minuten-Regel aus, der einstige Deep-House-Appeal scheint verflogen. Umso klarer wird: Hier wurde auf Pop getrimmt.

Obwohl die Songs aus tiefen Gefühlen der Liebe und des Respekts entstanden sein müssen, fühlen sich Tracks wie 'Blue Lights' oder 'Scars' seltsam ausdruckslos und glatt an. In 'Lonely Back In O' erzählt Jayda von der Einberufung ihres Vaters in den Vietnamkrieg als frisch verheirateter 18-Jähriger. Als er zurückkehrt, hat ihn seine Frau verlassen. Die theoretische Tragik dahinter steht völlig widersprüchlich zu dem weird-heiteren Song. Das ist bereits das ganze Problem des Albums.

Selten finden thematische Tiefe und Atmosphäre zueinander. Immer mal wieder schweift das hörende Ohr ab. Zu Teilen liegt das auch an den manch dumpf-dünnen Vocal-Performances. Kapierbar ist das alles zwar schon: Trotz all der Intimität lässt Jayda keine Schwere zu. Die Stücke sollen gut und leicht reingehen. Das Ziel ist Empowerment. Im Closer ’15 Foot’ geht es um Abschied und Trauer, wirkt auf rein klanglicher Ebene aber eher schnulzig. Jayda hat hier hauptsächlich ein Album für sich selbst geschrieben. Das ist richtig und wichtig. Nicht aber für ihr Publikum. Es fühlt sich an, als blättere man im Fotoalbum einer fremden Familie.

’Guy’ ist am 09.06.2023 auf Ninja Tune erschienen.

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