Review: Legowelt – Unconditional Contours [-OUS]

Review: Legowelt – Unconditional Contours [-OUS]

Features. 9. Oktober 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Synthesizers? Synthesizers, Synthesizers! Danny Wolfers durfte sich Anfang 2019 durch den Bestand des Schweizer Museums für elektronische Musikinstrumente (SMEM) wühlen. Die Ergebnisse seiner dortigen Residency – der ersten ihrer Art – wurden innerhalb von nur vier Tagen aufgenommen und zuerst letzten Herbst in limitierter Auflage auf -OUS als Auftaktrelease der neuen Serie smem+ous unter seinem (Haupt-)Pseudonym Legowelt veröffentlicht. Nun ist ‘Unconditional Contours’ auch als reguläre LP-Version erschienen.

In einer Kolumne des britischen Magazins Wire schrieb Danny Wolfers vor Kurzem über seine musikalische Frühsozialisation und wie nicht anders zu erwarten fand diese nicht etwa links vorne auf dem Dancefloor unter Stroboskoplicht, sondern im stillen Kämmerlein vor einem matt leuchtenden Bildschirm statt. Der Niederländer zog sich ein gecracktes Computerspiel nach dem nächsten auf den Commodore und spielte sich mit variierender Begeisterungsfähigkeit durch grelle 2D-Welten, war vor allem aber von einem angefixt: Den Soundtracks, die seine Reisen durch virtuelle Welten begleiteten. ‘Die elektronische Musik von heute wirkt verglichen mit diesen mittlerweile obskuren Meisterwerken wie einfallslose, amateurhafte Fanfiction’, urteilte er.

In dieser autobiografischen – oder, wer weiß das schon, vielleicht doch autofiktionalen – Geschichte steckt schon alles drin, was den Mythos Legowelt ausmacht: technologischer und ästhetischer Futurismus, alternative Lebens- und Erfahrungswelten, ein scharf umrissenes Verständnis vom Guten und Wahren. Wobei sich schon bei den ersten, elegischen Tönen vom beatlosen Opener ‘Unconditional Contours Memory Moog’ intervenieren ließe: Ist das nicht die von Vangelis mit ‘Blade Runner’ etablierte und also ziemlich altbackene Formel, der Sound von kosmischer Musik und die Ästhetik von Zukunftsvisionen, die in den vergangenen Jahrzehnten gehörig Staub angesetzt haben? Wenn ja: Welche Visionen werden von den langgezogenen Melodielinien getragen, welche Alternativen von den Dubitatio-Basslines angeboten?

Vielleicht aber ist es eben grundfalsch, nach der Aktualität und Zukunftsfähigkeit von Wolfers’ Musik zu fragen, solange sich der Produzent selbst wider die Gegenwart positioniert. Und eins zumindest ist nach den knapp vier Minuten von ‘Unconditional Contours Memory Moog’ am Beginn dieses Albums mehr als deutlich: Seit Vangelis hat es kaum jemand besser gemacht, obwohl es viele versucht haben. Zumal das Stück auch gleich einem spielerischen Electro-Beat weicht, der mit seinen gebrochenen Rhythmen das Fundament für eine Verzahnung von harmonischen und melodischen Elementen gibt, die hinsichtlich Komplexität und Dichte ihresgleichen suchen, bevor das Stück zu einem wuchtigen Techno-Stampfer heranwächst. Das schließlich ist der Kern der Magie, die Legowelt ausmacht: Naive Euphorie und musikalischer Abwechslungsreichtum finden bei ihm ihre perfekte, na ja, Synthese.

So scheint es denn auch fast weitgehend egal, auf welchen obskuren und längst vergessenen Instrumenten aus dem mühsam zusammengetragenen Archiv des SMEM sich Wolfers austobt: Zum einen sind die Ergebnisse von kompositorischer Dichte, zum anderen spaßig anzuhören. Allemal auch auf Langstrecke. Selbst die noch am ehesten nach Test-Demo klingenden, kurzen Stücke wie ‘Swiss Fairytale’ oder ‘Little Music With a Big Synth’ nehmen eine sinnvolle Funktion in der Sequenzierung des Albums ein, welches verschiedene Klangschattierungen durchläuft, hier mit warmen Beats und Basslines den Ruhepuls anhebt (‘Prophet Vector Synth Dazzling in the Sun’), dort mit den Tropen des Horror-Soundtracks in der Tradition von John Carpenter spielt (‘These Phenomena Are Not Well Understood’) und auch mal in wunderbar albernen Techno ausbricht (‘SMEM23 Digital Clap Trap Promars Prophets’).

‘Unconditional Colours’ endet auf ‘FBT Synther 2000’, einem nicht einmal zweiminütigen Stück, das von allen am kuriosesten scheint. Seinen Auftakt nimmt es mit tastenden Tönen, als würde Wolfers zum allerersten Mal das Keyboard anrühren, sich mit dem Instrument vertraut machen wollen. Dann entdeckt er die Pitchbending-Funktion, spielt ein wenig damit herum, legt Effekte drauf und lässt plötzlich eine klirrende Sequenz aus dem Mix emportreten, für eine Weile frei umher irrlichtern und dann nüchtern ausfaden. Auch das nimmt sich wie eine Kurzgeschichte aus, die von der Neugier und Leidenschaft an Sounds erzählt, die Erkundungstrips in andere Welten begleiten. Vielleicht braucht es also keinen zeitgenössischen Sound, um eine zeitlose Haltung zu vermitteln. Womöglich sind die Beweggründe für Wolfers‘ unermüdliche Klangforschung zukunftsweisender als sein Instrumentarium.

Unconditional Contours erschien am 06.10.2020 auf -OUS.

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