ANZEIGE
Review: Luke Slater - Berghain Fünfzehn [Ostgut Ton]
© Ostgut Ton

Review: Luke Slater - Berghain Fünfzehn [Ostgut Ton]

Features. 20. April 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Besondere Zeiten verlangen nach besonderen Maßnahmen. Am 18. Dezember 2004 öffnete das Berghain erstmals offiziell nach einer Rekonzeptualisierung und Umbenennung seine massiven Stahlpforten wortwörtlich wie im übertragenen Sinne. 15 Jahre später hatte man ein heiteres vorweihnachtliches Jubiläum feiern können, nachdem die Einführung eines clubphilosophisch relativ 'umstrittenen' entgeltlichen Re-Entrys nur für verhaltene Scheißestürme gesorgt hatte. Wenige Monate später ist aber bereits alles anders und verzweifelte YouTuber wälzen sich vor verschlossener Einlassschleuse über den schmutzbedeckten Boden. Die COVID-19-Pandemie grassiert noch immer und die kleinen vermeintlich nervigen Performances des Alltags wie dem obligatorischen Schlangestehen fehlen am Ende des Tages. So zehrt man noch immer vom fünfzehnjährigen Jubiläum mit einem Mix der ein wenig mehr ist als das bloße Abfeuern eines Best-Ofs. 15 Jahre Berghain-Geschichte bedeuten auch 15 Jahre Vermächtnis.

Natürlich ist diese Abkulterei immer auch ein wenig mit Vorsicht zu genießen. Das Wirken des Clubs als kultureller Seismograph ist unumstritten, fußt aber nicht zuletzt auch auf der Vorleistung des Vorgängers Ostgut. Längst ist aber auch das Berghain zum Dreh- und Angelpunkt für die deutsche Club- und Technoszene im Allgemeinen geworden und erweitert sich dort aus sich selbst. Für den britischen DJ-Veteran Luke Slater bestand nun die Aufgabe nicht nur einen einfachen Jubiläums-Mix sondern ein Gesamtkonzept zu schaffen, das die musikalische Sprengkraft des Clubs als Ort honoriert und idealerweise nicht nur aufwärmt sondern neu schafft.

Herausgekommen ist ein Sample-Experiment, das Slater als 'rip the cut' bezeichnet. Als Ausgangsmaterial diente ihm dafür der gesamte Back-Katalog der Ostgut-Ton-Diskografie. Slaters Idee war es, das Material chirurgisch zu 'sezieren, zerschneiden und zu verarbeiten’. Das Ziel: Neue Kompositionen schaffen, die sich wiederum nach traditionellen Vorgaben mischen lassen. Digitales Upcycling sozusagen. So ganz neu ist diese Technik natürlich nicht, schafft gegenüber bloßem Re-Editing aber einen wesentlicheren Mehrwert. Das ist wohl auch für Slater eine große Chance gewesen, sich frei von Copyright-Sorgen an Fremdspuren austoben zu dürfen. Selbst agiert Slater seit Mitte der 1980er aktiv in der Szene und gestaltete vornehmlich Parties im altehrwürdigen Londoner Club Heaven mit.

Die vorliegende Auswahl an sieben Stücken ist die Essenz eines kostenfreien zweistündigen Mixes und dient der Auskopplung auf Doppelvinyl. Hier de- und rekonstruiert Slater den Ostgut-Ton-Katalog, bewegt sich dabei häufig zwischen Techno und Breakbeat. Auf 'O-Ton Reassambled 1' setzt er auf Marcel Fenglers 'Break Through' Loopschleifen aus Answer Code Request, L.B. Dub Corp und Nick Höppner. Es wirkt interessant, wie offen nachvollziehbar hier gesamplet wurde. Dass das alles so gut zusammengeht fällt deshalb auf, weil Slater für seine Zitate ausschließlich Stücke auswählt, die aus dem gleichen Zeitraum stammen.

'O-Ton Reassambled 2' fällt dabei ein wenig aus der Arbeitsweise der Tracks heraus. Bei nur knapp 5 Minuten Laufzeit endet das Stück noch bevor die nervöse Schwebe fertig aufgebaut ist. Einen ersten Höhepunkt erreicht Slater auf dem Track 'O-Ton Reassambled 3'. Gerade hier lässt er sich viel Zeit, leitet die erste Aufmerksamkeit auf Vocals aus den letzten Momenten von Steffi und Virginias 'Internal Bleeding' um danach minutenlange Spiralen aufzufächern. Wenn man dieses inflationär gebrauchte Wort 'hypnotisch' denn noch verwenden sollte, dann doch am ehesten hier. Die perkussiven Elemente aus Barkers 'Maximum Utility' wollen und wollen nicht enden, saugen brutal in den Loop hinein. In der digitalen Variante gibt es den Track noch im knapp zwölfminütigen Extended Cut.

In 'O-Ton Reassambled 5' übt sich Slater in klassischem UK-Breakbeat. Kein Wunder, immerhin bietet Ex-Brainfeeder Martyns Perspektive auf UK Garage und Drum ’N Bass genügend Potenzial noch etwas schnellere, fast Footwork-artige Strukturen zu kreieren. Im folgenden sechsten Stück 'O-Ton Reassambled 6' spinnt Slater diese Idee noch ein wenig weiter, baut hier zerbrochene Versatzelemente über nervös-zittrige Shed-Samples. Einen zweiten und finalen Höhepunkt erreicht Slater auf 'O-Ton Reassambled 7'. Wenn da zu Beginn die kompromisslosesten Kicks in Marcel Dettmanns Störgeräusch-Version von Terence Fixmer reinfahren, wird pure Energie frei.

Natürlich sind die Stimmungen dieser Stücke maßgeschneidert für das Berghain selbst. Slater hat sich vermutlich nicht nur mit der Sichtung des Materials enorm viel Arbeit gemacht, sondern es leichtfüßig aussehend wieder zusammengefügt. In den Texturen dieses Projekts steckt enorm viel Tiefe, die sich mit jedem Hören weiter aufschließt. Jubiläum hin oder her, das macht dann doch enorme Lust auf die nächsten Clubabende. Bessere Eigenwerbung hätte Ostgut Ton nicht betreiben können.

'Berghain Fünfzehn' erschien am 17. April auf Ostgut Ton.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Spotify. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Album , Berghain Fünfzehn , Luke Slater , Ostgut Ton , review

Deine
Meinung:
Review: Luke Slater - Berghain Fünfzehn [Ostgut Ton]

Wie findest Du den Artikel?

ø: