Mit Verlaub: Die britische House- und Techno-Ikone Colin McBean als Fremdling zu bezeichnen, wäre doch ein wenig aus der Luft gegriffen. Seit mehr als zwei Dekaden formt, verbiegt, inspiriert und beeinflusst der in Derby geborene DJ und Produzent als Mr. G die Clubszene weltweit. Möchte man über Authentizität und Nonkonformismus in der elektronischen Musik reden, käme man wohl am wenigsten an McBean vorbei. So scheint es aber auch einigermaßen verwunderlich, dass gerade eben jener im Frühling 2019 erstmals einen Termin in den USA gespielt hat. Die Erfahrungen dieser Tour hat er in das nunmehr achte Album einfließen lassen.
Angefangen als Stagehand und Plattenkurator in Clubbetrieben zog es McBean von Derby aus nach London um Modedesign zu studieren. Dort formte sich das Trio KCC, bestehend aus Keith Franklin (Bang The Party), Cisco Ferreira und McBean. Ab Mitte der 1990er Jahre löste sich die Formation und Ferreira und McBean veröffentlichten weiter als The Advent. Kurz vor der Jahrtausendwende wurde aus der Kollaboration mit Ferreira das Projekt G Flame & Mr. G. Bevor sich dann das Soloprojekt Mr. G verselbstständigte, experimentierte McBean noch mit verschiedensten Einflüssen und Pseudonymen, darunter Reggae und Dub als Mango Boy. Noch immer, so sagt er, zählen diese Einflüsse zu den elementarsten seiner Karriere. Mittlerweile geht McBean allmählich auf die 60 zu und kann auf einen Release-Katalog von weit über 100 veröffentlichten Platten blicken.
Am 26. Mai des vergangenen Jahres spielte McBean erstmals einen US-Gig auf dem Gather Outdoors in Monticello, New York. Eine Premiere, denn lukrative Angebote aus den Staaten hatte McBean bis dahin stets abgelehnt. Um Geld ging es ihm selten. Mit dem vermehrten Aufkommen neuer Underground-Sounds am US-Markt sei jedoch mit dem vergangenen Jahr ein passender Zeitpunkt da gewesen. Als selbsternanntes 'Alien With Extraordinary Abilities' spielte McBean standesgemäß mit seinem Signature-Kit, unter anderem einem AKAI MPC Sequencer, ein Set für die Geschichtsbücher. Nach einer längeren Pause im Studio kehrte McBean dann zurück und lies die Eindrücke in sechs neue Tracks fließen. Jeder einzelne soll eine bestimmte Erinnerung darstellen.
Das Stück 'Late Nite @ Montecello' baut sich um einen Kickdrum-Loop auf, der wie in einer verstaubten leeren Lagerhalle aufgenommen scheint. Ein hochgepitchtes Vocalsample fadet wiederholt ein und aus, während eine radarsucherartige Synthline gegensteuert. Ähnliche Synthesizer-Signale strömen aus dem Closer der A-Seite ('LDBPT3') heraus. Auf dem Stück 'The Made' geben scheppernde Crashes und Hi-Hats den eiligen Takt vor. Das wirkt hier und da stellenweise monoton und uninspiriert, mag aber gerade live geradlinig und zielführend sein.
Mit der B-Seite wird McBean deutlich kerniger und vermittelt dem Publikum eine persönliche Eindrücklichkeit. Das Stück 'Gathering NYC' soll an ein Aufeinandertreffen mit Danny Tenaglia erinnern. Darin arbeitet sich ein düsteres Tribal-House-Gerüst durch eine schlecht beleuchtete Venue vor, wird von trichterförmigen Warp-Sounds getragen und kulminiert in statischer Hypnose. Man mag hierbei wohl eine Zusammenarbeit zwischen den beiden vermuten, McBean soll Tenaglias Schaffen aber bereits häufiger bewundernd nachgeeifert haben.
Auf der Position B2 findet sich mit dem Track 'Embassy' das Highlight der Platte. Ein typisch zittriger 2-Step-Breakbeat, der direkt aus den Londoner 90ern stammen könnte. Zu Recht, denn das in den Track eingelassene Vocal-Sample entstammt dem UK-Hardcore-Track 'Come My Selecta' von DJ Peekays erster 12-Inch aus dem Jahr 1993. McBean reflektiert in dem Stück das Gespräch zur Visa-Bewerbung in der Londoner US-Botschaft. Die Platte endet auf dem Track 'SoundBath @ The Loft', einem kleinen Ambient-Skit ähnlich zu dem der A-Seite.
Tatsächlich wirkt 'Alien With Extraordinary Abilities' eher wie eine EP als ein Konzeptalbum. Wohl lässt sich hier aber eine gewisse Tagebuchästhetik herauslesen. In jedem Fall unterstreicht McBean auf dieser Platte sein Potenzial, verschiedenste Spielarten von House und Artverwandtem beherrschen und steuern zu können. Zudem zeigt sich hier seine Fähigkeit, Ideen aus dem Moment heraus in ein ausgereiftes Stadium zu überführen. Am ehesten lässt sich dieses Werk als kompakter Sampler für die Stile und Stimmungen des Mr. G verstehen.
’The Alien With Extraordinary Abilities' erschien am 24. Januar auf Phoenix G.
0 Kommentare zu "Review: Mr. G – The Alien With Extraordinary Abilities [Phoenix G.]"