Review: Paloma Vs. Virus 005 [Paloma]
© Artwork von Alex Solman

Review: Paloma Vs. Virus 005 [Paloma]

Features. 22. August 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Überm Kotti geht die Sonne auf, Berlin glänzt. Die Paloma Bar bringt einen neuen Sampler raus. 28 Produzent:innen, DJs und Labelbetreiber:innen schrubben den Taubenschlag mit Bi-ba-butze-Beats. Von Erobique bis Laura BCR, von LeCiel, Jonzon über Route 8 bis Eluize – viele packen an, noch mehr machen mit, wenn das Kurator-Duo Finn Johannsen und Tom Haefele Brotkrümel ausstreut. Schließlich haben Clubs noch immer zu. Die Paloma konnte – Krautcash sei dank – den Kreisverkehr bei der vorletzten Ausfahrt verlassen und bleibt. 26.000 Euro brachte eine Startnext-Kampagne. Davon wird man nicht ewig zehren, vorerst reicht’s jedoch. Also züchtet das Paloma neue Täubchen. Für die fünfte Veröffentlichung gurren Freund:innen des Clubs von den Dächern der Welt. Und scheißen den Viren auf den Schädel.

'Paloma Vs. Virus 005' schleppt einen durch den Tag, um für die Nacht zu leben. Freund:innen treffen, Späti checken, vorm Club stehen. Erinnerungen, die verblassen, aber bleiben. Man muss sie nur triggern – mit Gerüchen, Bildern, Klängen. Schon werden sie wahr, schleichen sich in die Gegenwart, beamen einen von der Couch in den Club. Zwischen Eluizes 'Mirage' und Mandel Turners 'Only You' liegen 26 Bruchstücke der eigenen Vergangenheit. Eine, in der längst keine Klarheit oder Ordnung mehr herrscht; kein Anfang und kein Ende auszumachen sind, sondern im Moment der rhythmischen Bewegung zur wummernden Klangkulisse eine maximale Ausfransung von Grenzen aller Art stattfindet.

Wenn Wände vibrieren und der Körper zur Resonanzfläche wird, verliert sich die Bewegung im Schein der Unkenntlichkeit, geht unter, steigt ab in ein Zwielicht, das uns die Eindeutigkeit des Alltags nimmt. Man geht aus sich heraus, vertraut auf die eigenen Sinne, verliert sich in ihnen, bis das Licht angeht und die Übriggebliebenen, die willigen und flüchtigen Bekannten applaudieren, um sich für eine Reise zu bedanken. Schließlich ist der Paloma-Sampler genau das: eine Reise. Im Kopf. Ohne Maske. Zu Hause. Eine, von der man glaubt, sie schon tausend Mal begangen zu haben, die sich aber doch jedes Mal als Entdeckungstour entpuppt.

Mit dem Paloma-Sampler jettet man mit Bio-Fußabdruck. Die Welt wird zum Selbstversorger-Bauernhof in Gedanken. 'Chord Bomb' von RR glitzert auf der Regenbogenstrecke, Xyla verteilt drei Gramm 'Soma' für eine dunkle Ewigkeit am Mond. Eva Be klopft sich mit 'The One Shot Feat. Dr. Needles' fünf Ampullen Astra in den Oberarm. Wieso dieser Song nicht in allen Impfzentren dieser Welt in Dauerschleife aus den Lautsprechern blubbert, weiß nur der liebe Gott. Und vielleicht Karl Lauterbach. Apropos lauter. Meggy zwirbelt an der 303, Stefan Goldmann betreibt Macro-Analysen von Chords, die head high von der Decke baumeln. Und SVN linst mit Plinker-Plänker-Richtung Sueden (sic!), während sich Bakläxa und TONI&MASH zu Pophymnen auf Luftmatratzen mit Stracciatella-Eis von Everybody’s Darling Erobique übergießen.

Schließlich schmeißt sich der Paloma-Sampler an einen ran, als gäbe es kein Morgen. Bengalos lodern im Herzen. Neonfarben leuchten im Gesicht. Man bekommt Bock auf den Sommer, der für 28 Tracks so endlos scheint wie der verzweifelte Versuch, an der eigenen Steuererklärung herumzutüfteln. ‘Paloma Vs. Virus 005’ ist der never-ending All-Inclusive-Urlaub, den man sich nach Hamsterrad und Selbstaufopferung in die Ohren prügeln sollte. Eine Hommage an Nächte, die mit den ersten Sonnenstrahlen zerbrechen – aber noch lange nicht in Scherben liegen, weil alle bleiben und niemand geht. Der Moment wird zum Kapital. Der Kater zum Desaster. Trotzdem sagen alle: Das war’s wert. Hoffentlich bald wieder!

'Paloma Vs. Virus 005' erschien am 18.08.2021 via Paloma.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Berlin , Compilation , Finn Johannsen , Paloma , Paloma Bar , review , Tom Haefele

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