‘Fading’ ist das erste Pole-Album seit fünf Jahren. Dieses Mal geht es aber nicht in den Wald zurück. Stattdessen begibt sich Stefan Betke über acht Tracks hinweg auf die Suche nach der verlorenen Erinnerung. Ein Konzeptalbum? Nicht wirklich. Aber thematisch aufgeladen ist der dubbige Midtempo-Techno des Produzenten allemal. Es geht um Erinnerungen und Verlust, schlussendlich aber auch um Akzeptanz.
Stefan Betke ist ein Feingeist mit Sinn fürs Grobkörnige. In den Klangwolken, die seine behäbig mäandernden Beats umwehen, knistert und knackst es, flirren Partikel durch den offenen Raum. Und doch ist alles zu jeder Zeit dort, wo es hingehört, perfekt arrangiert. Nach einer großen Reissue-Offensive, in deren Rahmen seine ersten drei LPs unter dem Namen Pole als Boxset neu aufgelegt wurden, folgt mit ‘Fading’ nun sein erstes Album seit fünf Jahren. Passend zum Herbst, wie gemacht für lange Spaziergänge an der feinstaubarmen Frischluft von Naturschutzzonen. So weit, so Pole.
Doch entfernt sich die Platte inhaltlich von den Themen, die ihre Vorgänger dominierten: Die Auseinandersetzung mit dem Menschengemachten auf ‘Steingarten’ aus dem Jahr 2007 und der Flora und Fauna von Naherholungsgebieten auf ‘Wald’ von 2015 weicht einer persönlichen Note. Auf ‘Fading’ setzt sich Betke mit Fragen des Gedächtnisses und dessen Verlust auseinander. Der Grund dafür ist unschön, die Inspiration lieferte die Mutter, die wegen ihrer Demenzerkrankung graduell die Erinnerungen an über 90 gelebte Jahre verlor. Eine Geschichte, die Betke selbst allerdings positiv-hoffnungsvoll auslegt: “Als sie ihr Gedächtnis verlor, verwandelte sie sich in das, was sie wahrscheinlich am Anfang ihres Lebens war, als sie geboren wurde”, wird er im Begleitschreiben des Albums zitiert. “So etwas wie eine noch zu füllende Hülle.”
Die Befüllung und Entleerung dieser Hülle spielt nun also ‘Fading’ durch und muss sich dabei stilistisch gar nicht groß umorientieren. Denn der Name Pole fiel schon früher immer wieder, als es um das Phänomen der sogenannten Hauntology ging, verknisterte und knacksende Musik, die Nostalgie, Melancholie und Gedächtnis zu ihrem Hauptthema erhob. Darunter etwa Leyland Kirby, der im Vorjahr einen sechsteiligen Zyklus vollendete, der sich unter dem Titel ‘Everywhere At The End Of Time’ musikalisch mit, genau, dem Verlauf einer Demenzerkrankung auseinandersetzte. Das womöglich letzte Lebenszeichen seines Projektes The Caretaker. Während Kirby die Musik aber langsam ausfaden ließ, dreht Betke sie nun wieder dezent auf.
‘Fading’ wird mit elegischen, verwaschenen Synthie-Klängen eröffnet und von Percussion-Elementen ergänzt, die durch den Mix kullern, zueinander finden und nach gut drei Minuten von einem dubbigen Beat abgelöst werden. ‘Drifting’ buchstabiert behutsam die Kontraste aus, entlang derer sich ‘Fading’ bewegt und die immer wieder neu miteinander in Bewegung gesetzt werden. Wo die Rhythmuselemente in Kombination mit den winzigen Sound-Ereignissen, die Poles Schaffen seit jeher prägen, den stoisch-störrischen Gang des Lebens mimen, ist das Geschehen darum Ausdruck eines Verlusts. Dumpf klingen die melodischen und harmonischen Elemente, die Betke in die Grooves integriert oder sie manchmal behutsam daneben arrangiert – wie weit entfernte Erinnerungen, im Verblassen begriffen.
Nicht selten werden dezidierte Störelemente daraus, Fremdkörper im Bekannten. Meisterhaft spielt das ‘Erinnerung’ durch. Das Stück lässt Sounds wie aus einer unterkühlten Videospielhölle durch den Mix irrlichtern, nachdem es eigentlich mit spannungsvollen aber sanften Strings seinen Anfang genommen hatte. Bei ‘Tölpel’ greift die zunehmende Desorientierung dann schließlich aufs motorische System über. Der Beat zuckt, ruckelt, torkelt durch die Zeit, halt- und ziellos. Die reine Unwucht. Danach wäre Stille nicht verkehrt gewesen, doch fängt Betke die Musik vor dem großen Fall auf und lässt sie wieder laufen lernen. ‘Röschen’ tappst langsam vorwärts, findet Boden unter den Füßen. Doch zu früh gefreut: ‘Nebelkrähe’ schleppt sich kraftlos dahin, die Töne verschmieren sich im Raum, Erschöpfung wird spürbar.
Es ist die kongeniale Vorarbeit für eine faustdicke Überraschung am Ende des Albums. Der Titeltrack ‘Fading’ beschließt das Album nicht mit einem stillen Statement, sondern einer warmen Bassline und der Lust am (Über- und Weiter-)Leben. Nachdem die vorangegangenen sieben Tracks den Verlust zum Ausdruck bringen und somit die ersten vier Schritte des Kübler-Ross-Modells durchspielen, steckt in diesem Track Akzeptanz, wenn nicht sogar Dankbarkeit – für das Vorangegangene und Verlorene ebenso wie für das Verbliebene. “Man hinterlässt ein Gefühl oder ein Bild oder eine Atmosphäre. Jeder, der lebt, hinterlässt etwas auf dieser Erde”, formuliert der Urheber es selbst in Hinsicht auf das Stück. Erinnerungen an Erinnerungen, das Leben der anderen konserviert im eigenen. Das schließlich ist der Kern und zugleich Endpunkt jeder Trauerarbeit, von der ‘Fading’ im Gesamten ein monumentaler und doch intimer Ausdruck ist.
'Fading' erschien am 06. November via Mute.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Bandcamp Inc.. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
0 Kommentare zu "Review: Pole – Fading [Mute]"