Längst vorbei sind die Zeiten von DIY-Punk, 'Jalapeno Rock' und Def-Leppard-Geschepper. Sheldon Thompson ist angekommen. Angekommen in seiner neuen Heimat Berlin, angekommen in seinem unverwüstlich eigenen Trademark-Sound, angekommen ist er aber vor allem bei sich. Bereits seit über 15 Jahren veröffentlicht Thompson unter dem Pseudonym Sid Le Rock, selten auch als Gringo Grinder und zuletzt 2008 als Pan/Tone. Wirklich warm wurde er dabei aber nur mit dem Le-Rock-Pseudonym, eine Anlehnung an seine musikalischen Frühversuche. Das nun fünfte Studioalbum 'Scenic Route', sein erstes innerhalb von sechs Jahren, reflektiert den eigenen kreativen Zugang zur Musik und die Vorliebe, nicht wie der übrige Rest klingen zu wollen.
Nicht unbedingt eigenbrötlerisch, aber 2019 ein Indietronica-Album herauszubringen ohne dabei an die 1990er erinnern zu müssen, ist schon mutig. Klar, das Ganze geschieht unter moderat verdeckenden House- und Minimal-Gerüsten. Aber selbst damit widersetzt sich der gebürtige Kanadier dem Zeitgeist wiederkehrender Drum ’n’ Bass Hektik. Wann wurden zuletzt so unaufgeregt, fast schon genügsam-passiv minimalistische Soundstrukturen bemüht? Thompson fährt hier unbeirrt sein eigenes Rennen. Selbst, so sagt er, ist das Album Produkt aus innerer Überzeugungen und als Abkehr schnelllebiger Trends zu verstehen. Wie konsequent ist dieser Ansatz?
Bereits mit der ersten Single 'Slowpoke' bremst Thompson das Tempo und entschleunigt den Dancefloor. Kaum 110 bpm Fahrt nimmt Le Rock mit einem simplen aber drückenden Backbeat auf. Hypnotisch verhallte Vocals pendeln dabei nervös zwischen Vorder- und Hintergrund und bauen eine kaum deutbare Atmosphäre aus Bedrohung und Energie auf. Auch auf der zweiten Single 'Hiraeth' spielt Le Rock mit emotionalen Tiefen. Als zentrales Element wächst eine melodiebildende Synth-Fläche heran, die sich als veritable Sonnenuntergangs-Hymne aufstellt. Interessant ist, wie subtil Thompson immer wieder leichte New-Wave-Rhythmen anklingen lässt, ohne sie wirklich zu benötigen.
Zügiger geht es auf dem Stück 'Morgenfrisk' zu. Für fast zweieinhalb Minuten reaktiviert eine tickende Hi-Hat müde Afterhour-Tanzbeine, um sich sodann für fünf weitere Minuten als Go-To-Floorfiller zu empfehlen. Auch der Track 'Kismet' zieht vergleichsweise etwas an. Dieser Enthusiasmus findet sich aber nicht an allen Ecken des Albums wieder. Häufig scheint sich Le Rock mit weniger als 120 bpm zufriedenzugeben und darin aufzugehen. Stücke wie 'Drummer Girl' und 'Mud Puppy' scheinen nahezu in sich selbst zu versinken. Besonders bei Letzterem läuft ein kaum variierender Beat in unbeeindruckter Ruhe durch, der nur von vereinzelten Synthesizern durchbrochen wird.
Lediglich in wenigen Momenten riskiert Thompson aus der Rolle des stoischen Bären herauszufallen. Sei es das humorvolle Mittelfinger-Gebet 'Fukitall', die 80er-Synthwave-Dauerwelle 'First Kiss (Vanilla Edit)' oder der Track 'Waldeinsamkeit', dessen Spur sich irgendwo zwischen Ambient und Twin Peaks zu verlieren scheint. Besonders an diesen Stellen geben sich interessante Konzeptideen zu erkennen, die es zukünftig zu ergründen gilt. Gerade dann, wenn Le Rock seine eigene Komfortzone zu verlassen scheint, wird es lebendiger. Ein bisschen mehr Tempo hätte dem Album gut gestanden, gleichzeitig liegt darin aber auch dessen Charme. Als Gesamtpaket scheint 'Scenic Route' aber in erster Linie für einen geschrieben worden zu sein: Thompson selbst.
’Scenic Route' erscheint am 26. April auf hafendisko.
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