Review: Soela – Genuine Silk [Dial]

Review: Soela – Genuine Silk [Dial]

Features. 25. April 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Bei allen Gesprächen, die man zur aktuellen Lage des Kultursektors führt, fällt immer wieder auch eine grundnervöse Ungewissheit auf. "Wie soll es weitergehen?" ist da eine legitime Frage. Spannend wäre dabei das falsche Wort, denn die Gedanken an die kurz- und mittelfristige Zukunft aller sind hochemotional. So ist es aber um so schöner, über Releases wie 'Genuine Silk' zu stolpern. Das Debütalbum der in Berlin lebenden Russin Elina Shorokhova aka Soela wirkt beruhigend und lässt tief durchatmen. In diesem Album kulminiert gut sichtbar die Entwicklung einer jungen Musikerin.

Mit ihren Tätigkeiten als Fotojournalistin, Pianistin und Deep-House-DJ arbeitet Shorokhova – vorwiegend mehrgleisig – an verschiedenen kreativen Outputs. Mit der jetzt vorliegenden Platte scheint sich aber auch ihre Arbeit als Produzentin zu festigen. Mit einem guten halben Dutzend 12-Inch-EPs über u. a. Subspiele, Fauxpas Musik und Kompakt konnte Shorokhova sich international, zuletzt vor allem aber im deutschsprachigen Raum einen Namen machen. Jetzt ist ihr Debüt auf Dial erschienen; entsprechend dem Arbeitsethos des vom Trio Carsten Jost, Turner und Lawrence geführten Labels ist das Album zum kleinen Kunstwerk mutiert. Vom Artwork bis hin zur Art, wie einzelne Tracks ineinander fließen, scheint das Album rein konzeptuell rund, durch- und zu Ende gedacht.

Die Konsistenz von 'Genuine Silk' wechselt oft zwischen plätschernd bis fließend und sirupartig bis zäh, verändert aber nie den Anspruch, als Ganzes wahrgenommen werden zu wollen. Selbst, so sagt Shorokhova, geht es ihr in der Musik hauptsächlich um Aufrichtigkeit. Genau das transportiert ihr Album. Noch im Opener 'Prologue' fächert sie ihr musikalisches Spektrum auf, lässt knappe Piano-Keys hinter housigen Snaps und Claps atmosphärisch verhallen. Nach 'Shadows On The Wall’ wird schnell klar: Die Platte funktioniert sowohl am heimischen Plattendeck als auch im Clubkontext. Das resoniert für ihr Publikum vermutlich auch deshalb so gut, weil Shorokhova recht leichtfüßig zwischen diversen Spielarten manövrieren und wechseln kann.

Aus der zu Anfang leicht dronigen Christopher-Ledger-Kollabo 'Inconcistency' entwickelt sich ein zu gleichen Teilen euphorischer wie experimenteller Track. Das Stück ist stets kurz davor, in einen Dubstep-Break abzurutschen, verirrt sich aber in den eigens formulierten Korridoren. Die hauchzarten Vocals im Hintergrund, die bruchstückartigen Drumpattern und dieser unweigerlich traumartige Schwebezustand erinnern an die frühesten Tri-Angle-Releases. Dass das alles trotzdem so tief gefühlt und auf emotionale Triggerpunkte abzielend wirkt, sorgt dafür, dass die Stücke manchmal tragend und schwer wirken.

Auf 'Lullaby' (besser hätte der Track nicht heißen können) verschmelzen Shorokhovas Lieblingselemente: Gebrochener, fast Garage-artiger Ambient wird in das Spannungsfeld zwischen luftiger Leichtigkeit und Melancholie versetzt. Das ist, sofern man sich drauf einlässt, eben so gedanklich komplex, weil Shorokhova verschiedene Perspektiven zulässt. Einen tollen vaporwavigen 2814-Moment erreicht sie bei dem Abendregen-Sample auf 'The Same Things, The Same Thoughts', der als Bruch zwischen der ersten und zweiten Hälfte des Albums dient.

Vor allem in 'Power Of Mind' findet statt, was Dial ausmacht: Klassischer Signature-Deep-House im tiefsten Low-Pass-Bereich, der durch diese besondere Dämpfung seine Introvertiertheit auflädt. Im Titeltrack wird das zunehmend deutlich. Satt-elegante Kicks, knappe Pianoklänge und umherschwirrende Vocal-Schnipsel finden so harmonisch zusammen, dass diese seidige Vorankündigung des Titels dann doch Sinn ergibt. Je weiter man sich in den Strudel der Platte hineinbegibt, desto greifbarer wird, was der Begriff Deep House eigentlich versucht zu beschreiben: Tiefe.

Müsste man 'Genuine Silk' auf ein Wort herunterbrechen, dann wäre es am ehesten 'geschmackvoll'. Was auch immer das für jeden einzelnen bedeuten mag, 'Genuine Silk' ist trotz der schon fast aggressiven Entspanntheit so vielschichtig, dass es in diversen Setups als guter Begleiter wirken kann. So orakeln wir mal kurz: Soela sollte man spätestens jetzt im Auge behalten. Die kommenden Spielzeiten könnten ihre werden.

’Genuine Silk' erschien am 14. April auf Dial.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Spotify. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Bandcamp Inc.. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Album , Dial , Genuine Silk , review , Soela

Deine
Meinung:
Review: Soela – Genuine Silk [Dial]

Wie findest Du den Artikel?

ø: