Überraschung: Sven Väth erstes Soloalbum seit fast 20 Jahren sei der Tanzfläche gewidmet. Nicht der Kleingärtnerei, dem Flechthandwerk oder der deutschen Brotkultur. Sondern der Tanzfläche! Vor lauter Schreck wirft man glatt die falschen Pillen ein. Doch keine Angst: „No dancing, no paradise“, sagt der Babba und schreibt ein Manifest. Davor will er feiern und hat das während der Coronazeit auch getan. Weil es hier nicht um Plague Raves mit Superstar-DJs, sondern um Catharsis geht, tut das nichts zur Seuchensache. Für einen, der sich in seiner Trackauswahl mit Gott vergleicht, versprühen wir höchstens drei Spritzer schlechtes Karma.
Schließlich haben sich die Gigs in Gefahrengebieten gelohnt. „Dank meiner weltweiten Touren sind mir viele Dinge bewusst geworden“, sagt Väth über seine neue Platte. „Der Beat ist eine universelle Sprache, die die Menschen verbindet.“ Sapperlot und Sappradi, wir scheißen auf Esperanto, Gras und Nebelschwadenbilder. Wirklich verbunden fühlt man sich nur, wenn die Basstrommel im Rhythmus des Kiefers schiebt. Das weiß der Cocoon-Chef. Und alle, die schon mal verstrahlt um halb acht aus der Dunkelkammer ausgebrochen sind. Dass es Väth mit seinen 57 Lenzen noch immer tuschen lässt, hört man – die obligatorische Ambient-Tschick-Pause ausgenommen – jedem der Tracks an. Wenn irgendwo ein Beat bummst, ist Väth mit breitem Grinsen und seinem Plattenköfferchen nicht weit.
Leider ist Catharsis eine Schablonen-Show für Malen-nach-Zahlen-Menschen. Eine, die Väth mit Gregor Tresher produziert hat – und die deswegen auch so klingt. Das ist Techno, der so wirkt, als hätten zwei Herren im besten Alter die Sample-Bibliothek von Drumcode geplündert, bei Loopmasters 50-Prozent-Gutscheine eingelöst und die letzte musikalische Erleuchtung zu einer Zeit erfahren, als die erste Zigarette noch näher schien als die letzte Kukidenttablette. Klar, der Babba muss keinen 160-Bpm-Hardcore zocken oder sich den vergoldeten Arsch mit Eurotrash abwischen, um wieder frisch wie mit 18 durch die Nacht zu kommen. Aber so zu tun, als sei 2004 und die Welt ein Kokon, kommt so spannend wie ein DJ-Set von Richie Hawtin. Man schunkelt aus Verlegenheit und hasst die Leute, die ihre E-Mails am Dancefloor checken.
Keine Frage: Die Hand Gottes – das Offenbacher Robert Johnson hat nicht umsonst eine Skulptur von Väths gottgleichen Griffel in Bronze gegossen – bringt ihre Finger seltener in Ableton-Live-Projekten als auf dem Plattenteller ein. Das ist keine Schande. Wer 30 Stunden auflegt, ohne einen Beat zu verpassen, ist technisch gesehen natürlich ein DJ – überirdische Aura inklusive. Außerdem kann man sich vor der wohlverdienten Rente durchaus an den letzten Sonnenbrand im Pascha zurücksehnen und die gealterte Fanblase mit der Vergangenheit pleasen. Ein bisserl mehr Mühe, als „What I Used To Play“ auf „Soundwaves became my DNA“ zu reimen, wäre dennoch drinnen gewesen.
Shakespeare wird selbst aus Sven Väth keiner mehr. Dafür hat er auf ‘The Worm’ mit akuten Magenverstimmungen zu kämpfen. Wer bei dem Beat und dem Synthesizer nicht an feuchte Flatulenzen im Schneegestöber denkt, war noch nie im Skiurlaub. Stattdessen verbringt man die Wintermonate in der Südsee, belegt drei Trommelkurse unterm Palmenhain und knüpft sich regenbogenfarbene Strähnchen ins Haupthaar. Wie sonst sollte man „spirituelle Erfahrungen“ sammeln, für die andere ins Schamanencamp nach Amsterdam easyjetten?
Apropos Easyjet. Alle wollen wieder feiern. Der Resi zuckt das linke Knie, der Michel labert von nichts anderem – mit gesundem Moralverständnis steckt man trotzdem zurück und unterdrückt den Impuls, sich mal eben über der Grenze das schnelle Glück zu besorgen. Irgendwann wird’s schon wieder gehen, dass man die heilige Dancefloor-Dreifaltigkeit aus „spüren, schwitzen und sich berühren“ erleben kann. Derweil ist trotzdem alles zu. Da kann man noch so lange drüber meditieren. ‘Feiern’ ist deshalb die kitschigste Versuchung, seit Till Lindemann und Westbam beim Deichkind-Konzert ein Impulsreferat als Supportgig vorbereitet haben.
Über den Nagelbrett-Ambient aus dem Baukasten für Montessori-Schulen müssen wir kein Wort verlieren. ‘Butoh’, der Peng-Peng-Bänger der Platte, hat Ibiza noch nie bei Tag gesehen. Und mit ‘Silvi’s Dream’ könnte der Babba mit ein bisschen gutem Willen auch in der Morning Show von Bayern 1 rotieren. Dort würde Väth endlich auf die altersgerechte Zielgruppe seiner Technoeskapaden treffen. Wird ihm egal sein. Schließlich ist das Ding nicht nur Album, sondern eine „musikalische Autobiografie“. Vielleicht kommt der Gute trotzdem auf die Idee, das Ding nachträglich in einfacher Sprache aufzuschreiben.
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2 Kommentare zu "Review: Sven Väth – Catharsis [Cocoon Recordings]"
Beste Rezension, die ich seit langem gelesen habe und trifft den Nagel sowas von auf den Kopf.
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Großartige Rezension! Über den Inhalt und Geschmack allgemein (blabla) lässt sich immer nicht doch gerne oft streiten.
Aber extrem unterhaltsam geschrieben. Darüber würde der Blabla - dem es ja ohnehin egal ist - himself lachen.
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