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Review: The Paradox (Jean-Phi Dary/Jeff Mills) – Counter Active [Axis]

Review: The Paradox (Jean-Phi Dary/Jeff Mills) – Counter Active [Axis]

Features. 30. Januar 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Es gibt Dinge, die passen nicht zusammen. TikTok und Techno zum Beispiel, oder Camp-David-tragende Mittfünfziger, die ihren Hobbykeller in einen drogeninduzierten Wachtraum verwandeln, um ihre DJ-Karriere im besten Modellbaualter mit Happy-Hardcore-Sets in die Twitch-Welt zu streamen. Alles keine Schande, in Zeiten wie diesen kann einem vor lauter Langeweile schon mal ein Schranz-Remix von Placebo rausrutschen. Insgesamt ist das Ergebnis aber so anschlussfähig wie zwei ausgenudelte Cinch-Kabel. Wer das Licht am Ende des Tunnels noch nicht sieht, keine Angst. Niemand sieht es. Man darf sich – entgegen aller Wird-schon-wieder-Essays in postbürgerlichen Qualitätszeitschriften – auch einfach mal scheiße fühlen, sich einen Tee kochen und zu Hause auf der Couch rumlümmeln. Um Dinge zu finden, die zusammenpassen.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die alte Kanone Jeff Mills dafür sorgt, dass man nach drei Schlucken aus dem Mate-Chai hochfährt und wie wild durchs Wohnzimmer wackelt? Nicht, weil 'The Bells' aus dem Frühstücksfernsehen gebimmelt hätte. Sondern weil der Mann eine neue Platte auf den Teller legt. Nach über 170 Releases unter eigenem Namen haut das zwar niemanden mehr vom DJ-Pult (außer er klaut fremde Tracks, dann ist das was anderes), aber: Nachdem sich der Underground-Resistance-Mitgründer vor zwei Jahren mit dem Afrobeat-Wundertrommler Tony Allen in einem Pariser Studio getroffen hatte, um mit 'Tomorrow Comes The Harvest' ein verjazztes Techno-Album aufzunehmen, entstand nicht nur ein "futuristisches Statement", wie Mills einst über elektronische Musik zu sagen pflegte. Es wurde auch ordentlich unter dem Mischpult gefüßelt, während Allen hinterm Schlagzeug saß.

Aber von vorn: Tony Allens Keyboarder Jean-Phi Dary sollte für die Allen-Mills-Platte auf die schwarzen Tasten hauen, begann aber vor der Session am Fender Rhodes zu jammen. Mills stieg darauf ein und ließ die 909 wummern. Der Rest war "pure Chemie", wie beide schnell verstanden. Ein Moment des Zufalls, glückliche Fügung, Schicksal – egal wie man es nennt, wenn man im Gegenüber einen Geistesverwandten erkennt und auf einer Wellenlänge reitet, man sollte sich diese Person merken, sie umarmen und, wie im Falle von Mills und Dary, nicht mehr ausstöpseln lassen. Während Dary an den Keys zwischen Wayne-Snow-Grooves und Larry-Heard-Funk die Finger dehnt, klopft Mills auf seinem Drum Computer rum, als wäre er gerade das erste Mal "fully electric" gegangen. Dafür holen die beiden nicht nur die Freude aus dem Keller, sondern versprühen das Zeug in Fünf-Liter-Fässern an alle, die für den elitären Jazz-Zirkel zu arm und für Drei-Tage-Nacht-Aktionen im Club zu alt sind.

'Counter Active' ist für Jeff Mills wie 'Bitches Brew' für Miles Davis – eine neue Welt, eine eigene Sprache zweier Typen, die zwischen Beats aus der 909 und schmalzigen Jazz-Akkorden in die Sonntagspanier des Opas schlüpfen, um die Hüften kreiseln zu lassen. Sexy times für zwei Hexenmeister ihres eigenen Metiers, das sie auf 'Counter Active' zu einer Brühe aufköcheln, für die man sogar Johann Lafer einen Michelin-Stern umhängen würde. Als The Paradox, wie sich Dary und Mills nennen, verplempert man aber keine Zeit in der Bordküche, sondern nimmt den transeuropäischen Expresszug, jettet rüber nach Detroit und holt sich zum Abschluss einen Sonnenstich an der Copacabana. Zwischen angetauchtem Bossa-Nova-Geschunkel ('Twilight') und dem besten Technotrack, den Mills seit seiner 'Purpose Maker'-EP fabriziert hat ('Residence') kümmert sich niemand um Nebensächlichkeiten. Hauptsache das Teil groovt!

'Counter Active' erschien am 29.01.2021 digital und am 19.02.2021 auf Vinyl via Axis.

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