Beim Thema Techno und Inklusion gibt es immer viel Getröte. Festivals, Venues, Clubs und allgemein gesprochen ganze Szenen definieren sich häufig als inklusive Kulturangebote, geschaffen von allen für alle. Doch nicht selten weichen Soll und Ist voneinander ab: Sei es die zu enge Treppe runter in den Club, der Weg rauf aufs matschige Festivalgelände, das nicht zu erreichende Klo. Das sind oft rein organisatorische Herausforderungen, zu denen sich meist pragmatische Lösungen finden lassen. Echte gesellschaftliche Teilhabe hört aber nicht an einer Treppenrampe auf. Möchte der (elektronische) Kulturbetrieb weiter glaubhaft an seinem Image aus Diversität und Sichtbarkeit festhalten, müssen die Eintrittsschwellen deutlicher sinken. Inklusion, auch hinter dem Pult.
Konkret bedeutet das für Veranstalter:innen: Bucht mehr Künstler:innen mit Beeinträchtigungen! 'Ick Mach Welle' ist eins der noch viel zu seltenen inklusiven Musikförderungen. Das Berliner Workshop-Projekt ist als Mentoringprogramm angelegt. Es gibt Musiker:innen mit sichtbaren und unsichtbaren Beeinträchtigungen Hilfen beim Produzieren, Auflegen und Performen. Mittlerweile wird das ursprünglich durch Crowdfunding initiierte Garagenprojekt vom Familienentlastenden Dienst der Berliner Lebenshilfe begleitet. Daran angeschlossen ist das seit 2008 aktive Berliner Label 'KILLEKILL', das gut vernetztes Know-how an die Hand gibt.
Mit 'Superbrains' ist jetzt so etwas wie eine Werkschau aus diesen Sessions erschienen. Zehn Stücke an der Zahl, witzige und ironische, melancholische und bedrückende, experimentelle und harte. Gefeiert wird sich selbst und das Leben, verarbeitet und ausgedrückt werden Gefühle und Sehnsüchte. Die Zusammenstellung brettert los mit dem rotzigen Track 'Tierisch Verboten' von Wellen.Brecher. Es geht um »Emotionen, die jetzt raus müssen«, um Ausgrenzung und Wellemachen. Durchaus selbstironisch vorgetragen fliegen die Vocals wie durch ein Megafon gebrüllt durch Passagen, die nur von Rave-Breaks unterbrochen werden. Eine gewisse Punk-Attitüde ist dabei gewiss nicht zu leugnen, immerhin ist Hanni von der Band “Pisse” Teil jener Formation.
Quasi titelgebend erzeugt Franka auf 'Ick Mach Die Welle' quietschig-dubbige Atmosphären mit Katinka, einem einer Puppe ähnelnden Synthesizer. Pulsierend-stampfend geht es auf dem leicht dadaistischen Gewusel 'Wurstelknurstel' zu. Produzent Schrunzel denkt dabei außerhalb der allermeisten Genre-Konventionen, rutscht damit allenfalls nur implizit in hoch-bpm-igen Industrial hinein. Nicht alles ist aber per se so experimentig.
Bläck Dävil serviert mit 'Komischet Jedudel' veritablen Mainfloor-Techno. Der Track 'Catastrophe' von Kollege JP Toulouse reiht sich mittels hohem Tempo und schriller Sirene nahtlos durch ekstatischen Rave ein. Emotional wird es in 'Meerjungfrau', einer fast gesäuselten Liebeserklärung der Klavier- und Tanzkünstlerin Blauer Schmetterling an ihren DJ-Kollegen Schrunzel. Richtig rein geht der Hidden-Track 'Ich Will Glücklich Sein!', ein sehnsuchtsvoller Ruf nach Freiheit und Unabhängigkeit. Ohnehin fällt auf, die Compilation ist kein plumper Schrei nach Aufmerksamkeit. Es geht um das sehr nachvollziehbare Bedürfnis, ernst genommen zu werden. Als Künstler:in wie als Person. Zweifelsohne lässt sich feststellen, dass die Stücke etwas mit einem machen.
Am Ende stellt sich die Frage: Wie wollen wir als Szene ein wirklich inklusives Gesellschaftsbild nach außen tragen? Die immer wieder gleichen ollen Standard-Bookings müssen durchmischter werden. Beeinträchtigte Künstler:innen müssen stärker gefördert werden. Sie müssen hinter die Pults gelassen werden und beliebte Timeslots bekommen. Sie müssen auf den schick designten Line-Up-Plakaten weiter oben auftauchen und die größeren Bühnen spielen. Sie, die ungehörten Superbrains.
’Superbrains’ ist am 14.04.2023 auf KILLEKILL erschienen.
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