Die ungewöhnliche Liebesbeziehung zwischen Techno und Jazz ist eine, die sich für Außenstehende zunächst oft nicht erschließt. Auf der einen Seite statisch entmenschlichte Maschinenbeats, die im ewigen Paukenschlag des Four-to-the-Floor-Diktats unnachgiebig voranmarschieren. Auf der anderen Seite polyrhythmische Grooves, frei improvisiert von MusikerInnen, die mit ihrem Instrument zu einer körperlichen Einheit zu verschmelzen scheinen. Geht man jedoch an die Ursprünge des Techno zurück, findet man bei den Detroiter Gründervätern zahlreiche Querverweise: 'Jazz is the Teacher' von Modell 500 aka Juan Atkins, 'Hi-Tech Jazz' von Galaxy 2 Galaxy aka Mike Banks und nicht zuletzt Jeff Mills’ Zusammenarbeit mit dem kürzlich verstorbenen, legendären Jazz-Schlagzeuger Tony Allen machen deutlich, dass Techno und Jazz neben ihren jeweiligen Ursprüngen in der marginalisierten, afroamerikanischen Subkultur auch musikalisch weit mehr verbindet, als es auf den ersten Blick scheint.
Ebenjene besondere Verbindung nennt Yotam Avni als hauptsächliche Inspiration für sein Album 'Was Here'. „Ich wollte auf eine Art Detroit Techno meets ECM ausprobieren“, lässt sich der in Tel Aviv lebende DJ und Produzent im Pressetext zitieren. Ziemlich große Fußstapfen für ein Debütalbum, schließlich gilt das 1969 gegründete, unabhängige Plattenlabel ECM Records in den Teilbereichen zeitgenössischer Jazz und zeitgenössische Klassik als führend. Und auch was das Artwork betrifft geizt Avni nicht mit großen Referenzen: In einer als Buchseite gesetzten Auflistung seiner Tracktitel sind die Worte „yotam“, „avni“, „was“ und „here“ rot hervorgehoben – ein Zitat der Coverart des 1955 erschienen Albums 'Concorde' von The Modern Jazz Quartet.
Trotz seines Albumdebüts, das nun fast zehn Jahre nach seinem ersten Release erscheint, ist Avni wahrlich kein Neuling in der Szene: Wie das Duo Red Axes gehört er zur vielfältigen Tel Aviver Szene, wo er die Techno-Partyreihe Avadon gründete. Neben Releases auf Hotflush, Stroboscopic Artefacts und Innervisions ist er zudem nicht erst seit seinem Beitrag zur Speicher-Reihe 2019 auf dem Radar von Kompakt, wo jetzt auch 'Was Here' erscheint. Das passt, steht das Kölner Label mit seinem Sound of Cologne doch seit jeher für die Verbindung von Minimal Techno und subtiler Popaffinität. Yotam Avni übersetzt diesen melodieverliebten Zugang zu Techno in seinen eigenen kulturellen Sprachraum.
'Beyond The Dance' eröffnet mit einem lyrisch gesungenen Melisma, welches das durch westliche Skalen geprägte Ohr stereotyp wohl als „orientalisch“ klassifizieren würde. Ein treibender Groove schiebt sich unter der mystisch flirrenden Klangfläche hervor, mündet in ein repetitives, cembaloartiges Synth-Motiv, schwillt an, hält kurz inne, um das Synth-Motiv in ein synkopiertes Pattern wechseln zu lassen. Soll das jetzt schon Jazz sein? So richtig grooven will es nicht, auch wenn die Shaker ihr Bestes geben. Und auch wenn sich 'It Was What It Was' redlich bemüht mit der melancholischen Melodielinie der gedämpften Trompete jazzaffine 808-State-Vibes heraufzubeschwören, es überträgt sich nicht so richtig. Zu statisch peitschen die klar am Dancefloor orientierten Beats nach vorne, zu funktional sind die Tracks in ihrem formelhaften Aufbau.
Das kontemplative 'Free Darius Now' wird zur ersten erfreulichen Zäsur, wagt sich der um einen herzschlagähnlichen Beat oszillierende Track mit dem frei improvisierten Bläsermotiv doch erstmals wirklich aus dem starren Korsett des Tanzdiktats hinaus. Der Track wird zur Verschnaufpause für freies künstlerisches Assoziieren, das darauf folgende zurückgelehnte 'Nature of Dreams' zum Beweis für Avnis kompositorisches Geschick und die Fähigkeit ohne Worte spannungsgeladene, szenische Geschichten zu erzählen, die unweigerlich Bilder im Kopf erzeugen. Doch dann folgt bereits die nächste Referenz: Mit 'Just Another Day' huldigt Avni Carl Craig und seiner gleichnamigen, 2004 erschienen EP, die ihn neben 'Keys, Strings, Tambourines' von Kenny Larkin als Schüler sehr geprägt haben soll.
Für 'Just Another Day' holt sich Yotam Avni Support von Jazztrompeter Greg Paulus und dem französischen Duo dOp, deren Vocals jedoch unweigerlich an die eher schlechteren Tage von Minimal House in den Nullerjahren erinnern. 'Was Here' wird somit zum Flickenteppich musikhistorischer Referenzen, der mit einem unrealistischen Anspruch auf Vollständigkeit leider den eigenen künstlerischen Bogen überspannt. Ähnlich wie Besuchende in Kunstausstellungen auf dem Weg nach draußen ihren Namen und ein eilig hingekritzeltes „was here“ im Gästebuch hinterlassen, verkommen die Besuche der musikalischen Größen, deren Vermächtnis hier gefeiert werden soll, zur oberflächlichen Stippvisite ohne tiefergehende Ausgestaltung. Mit dem konzeptuellen Überbau von 'Was Here' hat sich Yotam Avni vielleicht ein bisschen zu viel aufgebürdet. Schade – hat er es bei seinen eigenen musikalischen Fähigkeiten doch eigentlich gar nicht nötig, sich hinter seinen VorgängerInnen zu verstecken.
'Was Here' erschien am 29. Mai auf Kompakt.
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1 Kommentare zu "Review: Yotam Avni – Was Here [Kompakt]"
Sehr geehrte Frau Aha,
ich verstehe WAS HERE ganz anders. Es wäre daher nett, wenn Sie die Belege für ihre Annahmen kundtun würden. Denn belegfreie Phrasen reichen nicht, wenn frau belehrend daherkommt und offenbar mehr leisten will, als 1 bis 5 Sterne zu vergeben. Mir würde das im Falle von Plattenbesprechungen übrigens grundsätzlich ausreichen.
Zum Beispiel: Was ist der "kulturelle Sprachraum“ von Yotam Avni? Was ist überhaupt ein "kultureller Sprachraum“? Irgendwas von: Sprache beeinflusst Kultur und viceversa? Wenn "Ja“, was hat diese Banalität hier verloren? Namedropping? Google offenbart, dass diese Begriffsschöpfung sich aus gutem Grund bislang nicht wirklich durchgesetzt hat.
Und, liegt es an meiner schlechten musikalischen Ausbildung, oder warum erkenne ich nicht, dass "'It Was What It Was' redlich (sich) bemüht, mit der melancholischen Melodielinie der gedämpften Trompete jazzaffine 808-State-Vibes heraufzubeschwören“? Vielleicht wollte Avni sich ja um etwas ganz anderes redlich bemühen und sieht sein Ziel erreicht.
Dann die wohl rhetorisch gemeinte Frage: "Soll das jetzt schon Jazz sein?“ Soll es? Ist das wichtig? Wen interessiert es? Musik als Spielplatz von Möchtegernintellektuellen auf dem sie zeigen, dass sie auch ‘ne Riesenfelge schlagen können? Wer braucht das? Wer braucht vor allem das Gönnerhafte: "Avni könnte es eigentlich viel besser.“ (sinngemäß). Was heißt überhaupt "besser“? Ist eine solche Skala sinnvoll bzw. begründbar? Ich brauche die Benotungen nur, um nach dem dritten oder vierten Mal zu wissen, ob ich noch einer weiteren Empfehlung von dieser Person folge.
Besonders frech ist die Aussage, "'Beyond The Dance' eröffnet mit einem lyrisch gesungenen Melisma, welches das durch westliche Skalen geprägte Ohr stereotyp wohl als 'orientalisch' klassifizieren würde.“ Hier zeigt sich, Lesen und Reisen bildet. Denn Sie wüssten dann erstens, dass Avni nicht "in Tel Aviv lebt“, sondern ein in Tel Aviv geborener - und lebender – israelischer Staatsbürger ist. (Schon komisch, diese bei Journalisten sich ständig wiederfindende Formulierung, wenn es um jüdische Israelis geht. Als ob Juden dort nur vorübergehende Gäste wären.)
Sie wüssten zweitens, dass Israelis exakt mit dieser Mischung aus westlichen und orientalischen Klängen, überhaupt in einer ständigen Melange aus westlicher und orientalischer Kultur aufwachsen. Daher stellen die entsprechenden Interpretationen von Avni auch keine Stereotype, sondern die Verarbeitung realer Klangwelten seines Kulturraums dar.
Ich verachte bereits seit 40 Jahren Musikjournalisten, die dem Leser nicht einfach mitteilen: "Nö, gefällt mir nicht", sondern versuchen, ihre Ab- und Zuneigung zu objektivieren. Wenn sich diese humorbefreite, nur scheinbar intellektuelle Schule à la Diederichsen noch mit einer gönnerhaften Attitüde zusammentut, gilt es mal wieder, den Pudding (i.e. Wahrheit) an die Wand zu nageln.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Gruhdmann
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