Yu Su ist im Dazwischen zu Hause. Die in Kanada lebende Chinesin gehört zu einer Generation von Produzent*innen, die sich musikalisch gerne in der Welt verlaufen und manchmal weit von ihr entfernt scheinen. Ihr Album ‘Yellow River Blue’ entstand im Transit und formuliert Track für Track eine Ästhetik, die von ihren Kontrasten lebt.
Yu Su ist noch nicht lange, dafür aber mit beeindruckendem Fleiß aktiv. Die im kanadischen Vancouver lebende Musikerin debütierte im Jahr 2016 gemeinsam mit Scott Johnson Gailey unter dem Namen You’re Me auf dem Label 1080p mit verrauschten Klängen und abstrakten Beats, veröffentlichte parallel dazu aber schon das Tape-Release 'AI YE 艾葉' das als lose Track-Sammlung zwischen stolprigem Hip Hop, kratzigem Lo-Fi-House und wohligem Downbeat navigierte. Zwei der Tracks wurden im Folgejahr von Peoples Potential Unlimited neu aufgelegt, es folgten Releases auf Arcane, dem Ninja-Tune-Sublabel Technicolour und schließlich Second Circle, einem Ableger von Music From Memory, wo nun ihr so gesehen zweites Debütalbum ‘Yellow River Blue’ in Kollaboration mit ihrem eigenen Imprint bié Records erscheint. Ziemlich viel Musik innerhalb von recht wenigen Jahren also, und das dürfte erst der Anfang sein.
Zwischen den New-Age- und Fourth-World-inspirierten Releases auf Music From Memory passen sich die acht Tracks von ‘Yellow River Blue’ bestens ein. Allem voran ihrer Klangsprache wegen, aber auch weil ihre Urheberin sie zwischen Sommer 2019 und Vor-Lockdown-Phase Anfang 2020 auf verschiedenen Kontinenten schrieb. Musik aus dem Transit also, in deren innerer Bauart dementsprechend viele Eindrücke aus der sich wandelnden Außenwelt mitschwingen. Sie selbst verwies schon in der Vergangenheit nicht ohne Grund auf die ‘Sightseeing Music’ eines Haruomi Hosono als mögliche Vergleichsebene für ihre eigene Arbeitsweise.
Allerdings bezieht sich das Album nicht nur auf verschiedene musikalische Traditionen, sondern genauso auf einen konkreten Ort. Schon der Titel verweist einerseits auf die geografische Heimat der gebürtigen Chinesin, die in Kaifeng am Gelben Fluss zur Welt kam, und spielt andererseits aber womöglich mit dem Zusatz ‘Blue’ auf eine große Gemeinsamkeit zwischen chinesischer Musik und dem Blues an: die beiden Musiktraditionen zugrunde liegende Pentatonik, die vom ersten Track an das Klangbild maßgeblich mitprägt. Ähnlichkeiten und Differenzen sind auch so etwas wie das Hauptthema dieser Platte, die Mal und Mal mit der kulturellen Vorprägung ihres Publikums spielt.
Der Opener ‘Xiu’ beginnt mit zitherähnlichen Sounds, säuseligem Gesang und einem verhaltenen Beat, der lediglich das Vorspiel für das Kommende darstellt – und sich gehörig Zeit lässt. Erst nach anderthalb Minuten wandelt sich der Track und nimmt dank einer pulsierenden Bassline Fahrt auf. Organische Sounds, die entfernt an die Klangqualitäten der Guzheng erinnern, treffen auf eine digitale Ästhetik: Das gibt eine programmatische Richtung vor, die Yu Su schon häufiger eingeschlagen hat, Vierte-Welt-Klischees werden in der Kombination von traditionellen Elementen und zeitgenössischem Sounddesign aufgerufen und aber nicht affirmiert, sondern in aller Konsequenz vorgeführt. Schon der Folgetrack ‘Futuro’ ändert dementsprechend abrupt den Duktus: Ein steriler Stepper, der gleichzeitig an UK-Bass-Abstrakte auf Livity Sound und Co. erinnert, wie er das Tempo wieder herunterzieht.
So geht es weiter durch die verschiedenen Kontraste und Schattierungen auf Yu Sus beeindruckend weit ausdifferenzierten Palette. Euphorie und Melancholie, wohlige Sound-Klangwolken und straighte Geständnisse an den Dancefloor in den frühen Morgenstunden, aufgekratzte und kunterbunt schillernde Synthie-Melodien und ebenso sumpfiger wie monochromer SloMo-Trip-Hop geben sich ohne Vorwarnung die Klinke in die Hand.
Tempi, Stimmungen, Klangsprache: All das ändert sich ohne Vorwarnung im Minutentakt und spielt auch gerne, wie etwa im Falle des ohrwürmelnden Stücks ‘Melaleuca’, mit mehreren Klischees zugleich. Achtziger-Soundästhetik trifft auf funkige Bassline trifft auf klassischen House-Beat trifft auf Reggaetón-Anleihen trifft auf pentatonische Melodien, die sehr deutlich die Klischees chinesischer Musik aufrufen, wie sie im Westen beispielsweise durch das oriental riff kanonisiert wurden – und das in kaum fünfeinhalb Minuten. Eine krude und eigentlich überbordende Mischung, die Yu Su aber gekonnt in einen übergroßen Hit integriert, der als Abschluss des Albums als entschlackte Balearic-Version erneut aufgegriffen wird.
Von diesem Spiegeleffekt abgesehen verläuft kein erkennbarer roter Faden durch ‘Yellow River Blue’, zumindest nicht auf musikalischer Ebene. Immerhin aber in konzeptioneller Hinsicht. Yu Su vertuscht die vermeintlichen Unterschiede und Widersprüche ihrer Musik nicht, sondern hebt sie stattdessen hervor. Das Ergebnis ist ein Album, das weder als transkulturelles Vermittlungsangebot noch als utopische Vision zu verstehen sein sollte – aber wunderbar selbstbewusst zwischen allen Stühlen sitzt.
‘Yellow Blue River’ erschien am 22.01.2021 via Second Circle und bié Records.
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