Die Gerüchte, dass Vestax pleite sei, kursieren ja schon seit einigen Wochen im Netz herum und nach aktuellen Angaben aus den japanischen Medien ist dies mit der nun veröffentlichten Insolvenzanmeldung bestätigt. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich diesen Braten nicht schon früher gerochen hätte. Da ich als ehemaliger Produktmanager unter anderem auch für Vestax (bzw. dem deutschen Vertrieb) tätig war ist das jetzige Aus nicht ganz überraschend. Da mir und Chicken über die Jahre die Marke und die Mitarbeiter sehr ans Herz gewachsen sind, möchte ich hiermit noch mal ein paar persönliche Worte und Bilder los werden, die vielleicht dem ein oder anderen einen tieferen Einblick in das gewähren, was hinter der Marke Vestax steht.
Es steht außer Frage, dass Vestax mit seinen Produkten die DJ-Szene wie kaum eine andere Marke geprägt hat. Als ich mit dem Auflegen angefangen habe, waren Vestax Mixer für mich immer das Symbol für erstrebenswertes hochwertiges DJ-Equipment, dass leider aufgrund der hohen Preise zwar immer auf dem Wunschzettel stand, aber letztendlich nie vom Weihnachtsmann unter den Baum gelegt wurde. Vielleicht war ich aber auch einfach nur nicht artig genug 🙂
Die hohe Innovationskraft der Marke brachte neben den bekannten Mixern der PMC-Serie und der PDX-Plattenspieler auch immer wieder Missgeburten auf die Welt, bei der man sich fragte, was man damit eigentlich anfangen sollte. Ich kann mich in meinen ersten Jahren als Produktmanager gut erinnern, welches emotionales Chaos mich durchfuhr, wenn ich eine japanische Version des Vestax-Produktkataloges durchblätterte. Im Grunde genommen ein Auf und Ab von "Ober Geil" bis "WTF???????".
Aber so ist das nun mal, wenn man Ideen freien Lauf lässt. Manche sind dann halt mal nicht bis zum Ende gedacht worden und jemand ist dann aus Versehen mit dem Ärmel auf den "make product-button" gekommen, so dass dem Marketing nichts anderes übrig blieb, als aus Bugs, Features zu machen. Aber gerade dieser Freigeist war auch verantwortlich für die VCI-Controller-Serie, die einen Meilenstein im digitalen Auflegen gesetzt hat und bis heute von vielen Firmen kopiert wurde.
Die Vestaxianer
Mit dem Erscheinen des VCI-100 began für mich persönlich nicht nur das Umdenken im Bezug aufs Auflegen, sondern auch eine Zeit, in der ich mehr in die Produktentwicklung involviert wurde. Dies hatte zur Folge, dass ich regelmäßig zu Productmeetings eingeladen wurde, um meinen Senf zur Entwicklung zukünftiger Produkte beizusteuern. Von heute auf morgen war ich ein Traktor Experte. Und ich muss zugeben, dass mir diese Sache lag. Ein wunderbarer Nebeneffekt bei diesen Reisen ins entfernte Japan war nicht nur die Vestaxianer mal Live kennenzulernen, sondern auch das Verhalten, Gebräuche und ein wenig die Kultur der Japaner zu verstehen, die trotz aller Moderne so stark an Traditionen gebunden sind.
Die Vestax Productmeetings haben nicht nur weltweite Stimmen von DJs, Händlern, Vertriebe und anderen Experten an einen Ort geholt, sondern auch ein internationales Team gebildet, dass eine Eigendynamik entwickelte und jede Menge Input produzierte. Hinzu kam, dass man so Einblicke in die Märkte anderer Länder bekam, in denen Produkte erfolgreicher waren, als in den USA oder Europa.
Ich kann an dieser Stelle nur sagen, dass es für mich eine absolut tolle Erfahrung gewesen ist mit allen Vestaxianern auf Augenhöhe in einem Team gearbeitet zu haben. Ich habe in meinem Leben nur selten die Erfahrung gemacht in so einer familiären Atmosphäre an Projekten zu arbeiten, die mit so viel Herzblut erfüllt waren und aus denen zukunftweisende Produkte hervor gingen. Die Worte Stolz und Ehre bekamen, gepaart mit einer unglaublichen Gastfreundlichkeit, eine Bedeutung, die sich im Vergleich zum Wortgebrauch hierzulande irgendwie unbelastet anfühlte. Einfach eine Wahnsinns-Erfahrung!
Der Untergang
Die bisherige Berichterstattung sucht die Gründe für die Vestax Insolvenz in einer Kombination aus der immer stärker wachsenden Konkurrenz von chinesischen Billigproduktionen, den sinkenden Exportumsätzen aufgrund des starken Yens, dem Erdbeben von Fukushima und der aktuell anhaltenden japanischen Rezession. Das sind natürlich alles Gründe von äußeren Auswirkungen auf eine Firma, die sich auf eine Nische spezialisiert hat und anders als andere Major DJ-Technik Hersteller, kein zweites oder drittes Standbein besaß, um auftretende Risiken besser zu verdauen. Hinzu dürfte kommen, dass der Markt immer stärker von Software Herstellern dominiert wird, der Hardware Hersteller in eine Gewisse Abhängigkeit drängt. Aber ähnlich wie nach einer gescheiterten Beziehung sollte man die Gründe nicht nur auf der anderen Seite suchen, sondern sich vielleicht auch mal an die eigene Nase fassen. In diesem Bezug bin ich immer wieder auf seltsame Weise auf das Wirken von Traditionen und einem altertümlichen Hierarchiedenken gestoßen, dass, meiner Meinung nach, die Produktivität und die Förderung von Talenten einschränkte und sich wie ein Bremsklotz in einer Phase, in der das Motto Beschleunigung hieß, anfühlte. Diese selbst erzeugte Lähmung mag vielleicht nur ein Bruchteil von dem sein, was zum Scheitern führte, jedoch war es ein wesentlicher Bestandteil davon, die Überholspur für andere frei zu geben. Dieser Kritikpunkt ist aber nicht als persönlicher Angriff gegen Vestax zu verstehen, sondern eher als eine Feststellung, die ich als fundamentales Problem der japanischen Gesellschaft sehe.
Der Anfang vom Ende kristallisierte sich für mich nach der Entwicklung des VCI-400 heraus. Obwohl die Idee und das Konzept für einen derartigen Controller schon sehr früh abgegeben wurden, schenkte man erst ca. 2 Jahre später dem Ganzen Aufmerksamkeit.
In meinen Augen eine verlorene Zeit, in der Native Instruments und Pioneer zum Überholvorgang ansetzten, während man in Japan mit Serato nicht über 4-Deck Lösungen sprach, sondern Überzeugungsarbeit leisten musste, dass Serato Itch, als Controller-Software, Effekte benötigt. Der VCI-400 war eigentlich als Traktor Pro Controller konzipiert und sollte mit einem entsprechenden Traktor LE Bundle auf den Markt kommen. Dazu kam es aber nie, da Native Instruments zur gleichen Zeit bereits eigene Hardware in Form des Traktor Kontrol S4 in den Startlöchern hatte und keine Traktor LE Lizenzen mehr verkaufte. Zahlreiche Hardware Hersteller werden diesen Zeitpunkt nur all zu gut in Erinnerung haben, denn dieser Schachzug warf diverse Produktpläne über den Haufen sorgte für ordentlich Aufregung in der Herstellerszene. Ohne Software-Bundle hat ein Controller am Markt kaum eine Überlebenschance und so blieb für den VCI-400 erst ein mal nur die Notlösung namens Virtual DJ LE übrig. Mit dieser Tatsache fuhr der VCI-400 an seiner eigentlichen Zielgruppe vorbei und konnte auch nach der verspäteten Beigabe der Serato DJ Vollversion den Fehlstart nie wieder wettmachen. Serato hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls mit dem Switch von Itch auf Serato DJ sehr lange getrödelt und war ab dem Launch von Serato DJ dem Flirt mit Pioneer und Numark verfallen. Nachdem Pioneer dann in den letzten Jahren sein Controller-Sortiment komplettiert hatte, war der Markt bereits so gesättigt, dass auch ein VCI-380 oder das Ausweichen mit einem Spin auf den Consumer-Markt, nur noch eine Verzögerung des Endes herbeiführen konnte. Der VCI-400 ist eigentlich ein gutes Beispiel dafür, dass allein ein gutes Produkt kein Garant für Erfolg ist, denn es gehören wesentlich mehr strategische Faktoren dazu, um Lorbeeren ernten zu dürfen. Alles, was wir jetzt sehen ist die natürliche Bereinigung eines Marktes, der überfüttert wurde. Und das wird vermutlich noch weitere Firmen treffen. Ob man Vestax hätte retten können? Ich weiß es nicht. Aber es ist definitiv ein Thema, dass mich nachdenklich stimmt.
Aber...
mit der Insolvenz von Vestax sind die smarten Köpfe hinter den Kulissen ja nicht vom Erdboden verschluckt worden. Und ich habe noch vor meinem Weggang von Korg & More ein paar schöne Produkte gesehen, die es eigentlich wert wären auf den Markt zu kommen. Vielleicht findet sich ja ein Investor, der Vestax wiederbelebt oder einfach die Ideen umsetzt, um der DJ-Szene hochwertige Produkte zu liefern, die man ohne Scharm anhimmeln kann, so wie es mir vor vielen Jahren als junger DJ erging. Hier ist auf jeden Fall das letzte Wort noch nicht gesprochen worden!
Chicken und Ich möchten uns an dieser Stelle bei allen Vestaxianern für diese tolle Zeit bedanken, in der wir viele Erfahrungen aus der Produktentwicklung und der Vermarktung sammeln konnten.
Ein großes Dankeschön geht an:
Mr. Shiino, Toshi Nakama, Hideaki Aimi, Reishi Mizumoto, Takeharu Tsuchiya, Takao Suzuki, Takaki Tarama, Mike Trix, Jerome Henry, Daire O´Neill, Gerfried Fischer, Charles Akira Ono
4 Kommentare zu "RIP Vestax - Ein persönlicher Nachruf"
Aber war die Fokussierung auf Kinderzimmer-Controller nicht der eigentliche Fehlgriff? Was steht denn in den Clubs, Computergedöns oder CDJs/XDJs und Mixer?
Während alle anderen Standalone produzierten (und nur nebenher Controller) kam von Vestax nur noch das Spielzeug.
Was wäre die Stärke von Vestax gewesen? Mixer, Turntables und Digi Turntables/Mediaplayer. CDX-05 war damals die richtige Richtung. Die Tascam Röllekes (die Controller die die Plattendrehung abnahmen) waren DVS zum anfassen, ihrer Zeit so weit vorraus dass man die damals leider besser im Regal liess. Vestax hätte mit der Basis und dem Knowhow von Teac/Tascam ja vll. zum Nexus-Killer durchstarten können, stattdessen...Spielzeug, für Nerds die gern im Web über Mappings debattieren, Latenzen und anderen verkappten ITler-Schrott, dann aber unheimlich ausgefuchste Mixe hochladen die einen nach 2 seelenlosen ungroovigen Minuten so brutal langweilen dass einem 2h Latenz sinnvoll erscheinen.
Pioneer lacht sich kaputt, verdient sich eckig. Seit CDJ-1000 straight und ohne Einbruch, nicht erst seit Midi und Rekordbox. Im Gegenteil - die rückseitigen USB-Anschlüsse solcher Geräte im Pro-Bereich sind meist unbenutzt, CDRs und Sticks sind da das Mittel der Wahl. Weils läuft, und weil man nur ein Täschchen und seine Kopfhörer mitnehmen muss, statt Controller, Book, Kabel, "Kacke, Netzteil vergessen" und so unprofessionelle Ausfälle die neben der ständigen Umbauerei den Clubbetreibern in der Phase 2005-2010 die Stecker gezogen haben. Das hat nichts mit Marketing und parallelen Einnahmequellen des Konzerns zu tun. Es ist das einzig wahre Konzept des Standalone Geräts, der Blick in die Realität der nicht verloren ging. Seit zwei 1210ern und nem Stanford Mixer hat sich nie was an dem Prinzip geändert. Aus Gründen!
Turntablists, die wichtige Adresse für Vestax-Produkte, können mit dem Controller-Unrat noch weniger anfangen als Club-DJs. Home-DJs werden mit Spielzeug nie Club-DJs, der überwiegende Teil macht Abi, Studium oder Ausbildung und legt das Spielzeug zur Seite. Ist wie mit Gitarre, Klavier oder Saxophon, kann man alles machen oder lernen, die Zeit zum tot zum schlagen. Eigene Lieder komponieren, Jammen oder Bands daraus gründen werden die wenigsten. Keine echte Zielgruppe für enthusiastische Instrumentenbauer, für so ein Gewerbe zu viel Durchlauf und zu wenig Tiefe.
Das Zeug weswegen Pioneer die Features ihrer Standalones schon früh in seine Controller integriert hat Vestax nicht mehr vorangetrieben - Standalone Club- und Turntablist-Technik. Controller von denen man nicht in Club-Technik übersetzen kann sind wasted time, talent and money. Von einem PDX zum 1210 konnte man translaten, vom PCV-002 zum DJM-600 konnte man auch. In kleinen Clubs oder sekundären Areas standen auch mal die grossen Vestax Mixer. Das war universell, da kam man drüber.
Interfaces gehen klar. Sich an den Nuckel von Software-Anbietern zu hängen war aber zu keiner Zeit für irgendwen gut.
Aprospros teures Pioneer-Zeug: da hätte Vestax durchaus eine bessere Alternative besetzen können, denn was dem verbliebenen Konkurrenten Denon fehlt ist eben der intuitive Faktor, Denon versteht bis heute nur Rolf, den rollenden Hochzeits-DJ. Die SC-Reihe scheint mir zu spät, wird schwierig die ins Spiel zu bringen. Die Denon-Pioneer-Sonstnix Situation ist ja nun auch über Grundschulalter hinaus.
Da war ein Spielfeld mit zwei leeren Toren. Vestax hat aber die Schuhe ausgezogen und Fifa auffer Playsi gezockt.
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Hallo Rob,
danke für den tollen Artikel und die Insights. Ich habe erst letztes Jahr mit dem DJing angefangen (spätberufen allerdings) und habe hier nach vielen Versuchen einen VCI300 und 380 stehen, weil ich auch 8 Jahre nach Erscheinen dieser Geräte nichts gefunden hat, das eine so gute Mischung zwischen Klangqualität, Kompaktheit und Built-Quality hat. Ich bin großer Vestax Fan und hoffe sehr auf eine Wiederauflage. Dir alles Gute. Ich hoffe, es gibt bald wieder was zu berichten.
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Hallo,
ein ganz feiner Artikel, stimmt einen sehr nachdenklich. Es ist auch völlig klar, dass so ein Konzern jegliche Kritik von aussen mit einer gewissen Skepsis behandeln (sprich: ignorieren) wird. Ihr konntet ja schon von Glück sagen, dass es überhaupt ein internationales Entwickler-Team gab - das hat durchaus einen gewissen Seltenheitswert. Die Bandbreite in der Produktentwicklung - wieso kommt mir das ein bisserl bekannt vor??? ;-)
VG Melosine
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Danke für die Blumen ;-)
Skepsis ist OK. Das wäre eine völlig normale Reaktion. Aber Du hast recht. Productmeetings sind schon was seltenes in dieser Branche. Und sie sind nicht der Schlüssel zu allem, besonders wenn sie falsch geplant oder ausgewertet werden. Ich habe für mich daraus gelernt, dass man jegliche Kritik von außen ruhig Gehör schenken sollte, da sie einem möglicherweise die Chance bietet etwas dazu zu lernen.
Jaja die Bandbreite bei Produktentwicklungen, die kennt keine Grenzen. Dazu fällt mir das hier ein: https://www.youtube.com/watch?v=BKorP55Aqvg
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“In diesem Bezug bin ich immer wieder auf seltsame Weise auf das Wirken von Traditionen und einem altertümlichen Hierarchiedenken gestoßen, dass, meiner Meinung nach, die Produktivität und die Förderung von Talenten einschränkte und sich wie ein Bremsklotz in einer Phase, in der das Motto Beschleunigung hieß, anfühlte. Diese selbst erzeugte Lähmung mag vielleicht nur ein Bruchteil von dem sein, was zum Scheitern führte, jedoch war es ein wesentlicher Bestandteil davon, die Überholspur für andere frei zu geben. Dieser Kritikpunkt ist aber nicht als persönlicher Angriff gegen Vestax zu verstehen, sondern eher als eine Feststellung“...
Lag es somit nicht auch in deiner Verantwortung dies auf Produktmeetings anzusprechen???
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Ja das stimmt. Das Problem dabei ist nur, dass je nachhaltiger man dies anspricht desto eher wird es als Beleidigung empfunden. Da muss man ziemlich vorsichtig sein. Und dadurch, dass ein Angestellter in Japan so gut wie keine Kritik übt, hat man als jemand aus einem anderen Kulturkreis nur wenig Rückenwind. Und als damaliger Jungspund hat man für vieles auch nicht immer das Gehör bekommen, um etwas bewegen zu können. Das musste man sich erst mit der Zeit erarbeiten.
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