Selbstausbeutung in der Subkultur: „Kannst du mal eben..?“

Selbstausbeutung in der Subkultur: „Kannst du mal eben..?“

Features. 29. Dezember 2019 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Unsere Autorin Antoinette Blume schreibt seit Jahren ehrenamtlich, also kostenlos, für den Leipziger Blog frohfroh. Wieso sie das tut? Für die Subkultur, sagt sie. Warum es trotzdem ungesund ist, schreibt sie hier in ihrem Kommentar.

In medias res: Das System

Viele meiner DJ- und Live-Act-FreundInnen spielen teilweise bezahlt, noch öfter aber unbezahlt in Clubs oder auf Open Airs. Die Gagen liegen eher im unteren als im oberen dreistelligen Bereich, auf das Geld müssen sie auch mal bis zu drei Monate warten. VeranstalterInnen geben zu, dass ohne Selbstausbeutung und ehrenamtlich Helfende viele Veranstaltungen im Clubbetrieb nicht möglich wären.

Mein Kommentar soll nicht als Nörgeln, Jammern oder erhaben-erhobener Zeigefinger verstanden werden – vielmehr soll ein Bewusstsein für die ehrenamtliche Arbeit hinter den unzähligen Veranstaltungen geschaffen werden. Es ist an der Zeit, sich dem Thema (Selbst-)Ausbeutung in der Clubkultur zu widmen.

Kommerziell oder kredibel

Vor ein paar Monaten titelte eine Zeitung, dass in Leipzig die niedrigsten DJ-Gagen im Vergleich zu anderen deutschen Städten gezahlt werden. Mein erster Gedanke dazu war: Wenn Gage gezahlt wird. Denn Subkultur (nicht nur in Leipzig) bedeutet nicht selten, auf einen Lohn (bewusst) zu verzichten. „Kommerziell“ scheint das Gegenteil von „kredibel“ zu sein, auch wenn durchaus kommerzielle Veranstaltungen im kollektiv-krediblen Gewand daherkommen und KünstlerInnen und HelferInnen (einvernehmlich) nur wenig oder gar nicht bezahlt werden. 

Ich gehe aber noch ein Schrittchen weiter und behaupte: Es ist ein System. Nicht überall, nicht immer, aber doch, ich würde es wagen, es als systematisch zu bezeichnen, Kulturschaffende im Preis zu drücken oder aufgrund des geringen Budgets feilschen zu müssen, zu spät oder eben gar nicht zu bezahlen. Spoiler: Es sei denn, es ist von großen DJ-Headlinern die Rede. 

Warum ist das so? Welche Gründe gibt es für DJs, Live-Acts und andere auf ihre Bezahlung zu verzichten? Und wenn die Arbeit ihnen doch solchen Spaß macht, wie es bei vielen kreativ arbeitenden Menschen der Fall ist, sollte diese Arbeit dann überhaupt bezahlt werden? Zu letzterer Frage: Ja! 

Soli-Partys für einen guten Zweck

Die Art einer Veranstaltung sollte man bei all diesen Fragen natürlich mitdenken. Es gibt sogenannte Soli-Partys, bei denen die Gäste mit ihrem bezahlten Eintritt ein Projekt oder einen guten Zweck unterstützen. 

Ein Beispiel für klassische Soli-Partys sind die Partys für ‘Ciocia Basia’. Das Projekt, das die MacherInnen der Party mit den Einnahmen ihrer Veranstaltungen finanziell-solidarisch und regelmäßig unterstützt, ist eine Berliner AktivistInnengruppe (Ciocia Basia), die sichere Abtreibungen für Menschen in Polen organisiert. „Der gute Zweck ist für uns der Grund uns zu engagieren“, sagt Sassi, die die Party mitorganisiert, eine Hälfte des DJ-Duos Monsoon Traxx ausmacht und beim feministischen Kollektiv Vir.go aktiv ist.

Ihre Soli-Veranstaltungen und Screenings dürfen die VeranstalterInnen u. a. in der Kulturlounge durchführen; wegen des Soli-Ansatzes ist nur eine kleine Miete für die Location fällig. Der Eintritt für die Gäste bei diesen Partys ist auf Spendenbasis. Soli-Partys gehen also mit der bewussten Entscheidung gegen eine Bezahlung der KünstlerInnen einher; der gesamte Gewinn bzw. große Teile davon fließen in das Projekt, das unterstützt werden soll. Wenn Acts außerhalb des eigenen Kollektivs bei ihren Soli-Partys spielen, bekommen diese DJs Fahrtkosten und eine kleine Aufwandsentschädigung ausbezahlt. Selbst zahlen sich die Kollektivmitglieder bei den Ciocia-Basia-Soli-Partys nicht aus. 

Bei solchen Veranstaltungen liegt es auf der Hand, wer, wann, wieso auf Gage verzichtet. Ähnlich verhält es sich bei illegalen Open Airs, die meistens ganz ohne Eintritt und mit hohem Risiko für die Beteiligten stattfinden. Wenn es gut läuft, decken die Getränkespenden die Ausgaben für Transporter, Anlage, Generator und ggf. Deko. Beim Clubbing ohne Soli-Spende, dafür mit Eintritt, sieht die Sache allerdings dann etwas anders aus.

Gagengefälle von Headliner zu Local

Dagegen nämlich der übliche Betrieb: 12 Euro Eintrittsgeld ist in deutschen Clubs recht normal. Für dieses Geld erwarten viele RaverInnen ein ausgedehntes Line-Up mit wenigstens einem bekannteren DJ, der möglichst international gebucht oder Resident im Berghain ist. Das ist zumindest mein Eindruck. 

Headliner verdienen ein Vielfaches von dem, was lokale DJs oder Live-Acts in Clubs oder bei Festivals aufrufen können. Möglicherweise auch aus dem Grund, weil der oder die DJ mit dem großen Namen auf dem Plakat bereits viel des Budgets verschlingt. Gerade diese etablierten Acts machen Veranstaltungen jedoch interessant und locken das Publikum an – nicht ohne Grund werden sie gefeiert und bewundert. Über Verhältnismäßigkeit lässt sich streiten, aber das starke Gefälle der Gagen zwischen Headlinern und Nicht-Headlinern löst wohl schon ab und an mal Unmut unter Artists aus. Ganz verrückt wird es, meiner Meinung nach, wenn lokale KünstlerInnen bei solchen Veranstaltungen gar nicht bezahlt werden. Ein Headliner wird vom Publikum verlangt, die Bereitschaft mehr als 12 Euro für den Eintritt einer Veranstaltung hinzulegen, würde ich allerdings mit einem Fragezeichen versehen. 

Einerseits ordnet man sich mit solchen Veranstaltungen, wie sie generell am häufigsten vorzukommen scheinen, den herrschenden Logiken des Musikbusiness (Headliner = teuer = muss aber sein) unter, gleichzeitig wird mit den Gesetzen eines auf kommerziellen Regeln basierenden Marktes dann aber auch wieder gebrochen, dann nämlich, wenn lokale KünstlerInnen kostenlos oder (besonders im Verhältnis zum Main Act) für sehr wenig Gage auftreten sollen. 

Wie wird das begründet? Es wäre ja fürs Feeling, für die Party, für die Subkultur. Auch für den Spaß, denn, ja, ein Auftritt in einem Club ist aufregend und besonders, gar keine Frage. Aber das ist für mich kein Argument, diese Arbeit nicht finanziell wertzuschätzen. Vielmehr: wertschätzen zu wollen. 

Nur weil mir etwas Spaß macht, zum Beispiel das Koordinieren einer Veranstaltung, das Dekorieren des Tanz-Floors, das DJing, das Produzieren, Visuals, Videos und Plakate kreieren, Texten – befreit mich und meine Arbeit nicht automatisch und auf alle Zeiten von finanzieller Wertschätzung. Und genau das ist Bezahlung: Wertschätzung. Dazu ist es so, dass die Nacht im Club, der Auftritt, der Workshop oder das Panel, wo ‚alles‘ passieren zu scheint, nur einen klitzekleinen Teil von dem zeigt und ausmacht, was an Workload drumherum mitschwingt. Nämlich: Vorbereitung, Listen schreiben, Auto laden, üben, löten, schleppen, abbauen, putzen …

Bullshit-Bingo für die Kassenschicht

Und dabei haben es auch die VeranstalterInnen und Clubbetreibenden nicht leicht, im Gegenteil. Nicht selten läuft auch deren eigene Selbstausbeutungsmaschine auf Hochtouren, um Artists und Mitarbeitende zu bezahlen und damit Veranstaltungen zu ermöglichen. Mitunter ist hier auch das Publikum ein Faktor - denn Eintrittspreise sollen einerseits im Sinne der sozialen Teilhabe nicht überzogen sein, andererseits will man sich hier nicht vom üblichen Club-Durchschnitt abheben, um das Publikum nicht zu verschrecken (außer es ist eben das Berghain, das seit kurzem auch den Re-Entry mit 5 Euro bepreist).

Schon jetzt kommt es vor, das ganz ernsthaft an der Tür über Eintrittspreise diskutiert wird. Erst vor ein paar Tagen habe ich bei einer Bekannten, die eine Veranstaltung organisiert, ein Bullshit-Bingo für die Leute am Einlass gesehen, das sie bei Facebook gepostet hat - da standen so Sätze wie: “Was?! 5 Euro?” oder “Ich will nur ein Getränk” (und deshalb keinen Eintritt zahlen?). Ergänzt wurde das Bingo noch mit der Frage “Bekomme ich mein Geld zurück?” - na ja. Genau so viele oder sogar noch viele Gäste mehr zahlen ohne zu diskutieren, das möchte ich hier nicht unterschlagen.

Aber so ein echtes Bewusstsein, dass hiervon alle KünstlerInnen und GEMA (und noch viel mehr) bezahlt werden und das oft genug mit Schweißperlen auf der Stirn bis zum Break-Even und mit wenig Bezahlung für Kulturschaffende an allen Ecken und Enden einhergeht, herrscht - vermute ich - nicht. 

„Wegen Subkultur“

Fragt euch nur mal eine Sekunde lang, ob ihr euren Dealer oder eure Dealerin auch fragen würdet, euch dieses oder jenes Pülverchen für einen Freundschaftspreis mitzugeben. Oder umsonst. Wegen Subkultur. Fürs Feeling und für die Party. Ich bezweifle irgendwie, ohne es nachgeprüft zu haben, dass sich das irgendwer erdreisten würde. Wenn es aber um eine Dienstleistung wie „schnell mal einen Flyer machen“ oder um „zwei-drei Stunden Auflegen“ geht, ist das völlig normal. Und hey, versteht mich nicht falsch: Wer es sich leisten kann, möchte oder muss, auf Gage im Kontext kommerzieller Veranstaltungen aus welchen Gründen auch immer, zu verzichten – das ist ok. Nur es nicht einmal zu hinterfragen, ist nicht nachhaltig, finde ich. 

Was nichts kostet, ist nichts wert?

Die Selbstverständlichkeit, Kunst- und Kulturarbeit mit einer (bestenfalls sogar noch irgendwie angemessenen) finanziellen Wertschätzung zu entlohnen bzw. entlohnen zu wollen oder vielleicht sogar zu müssen, muss offenbar erst noch entstehen – in Kollektiv- und Netzwerkstrukturen, beim Publikum und bei FörderInnen. 

Damit verbunden ist auch das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Denn ohne deren Arbeit und ehrenamtliches Engagement gäbe es viel seltener Workshops, experimentelle Clubnächte, Festivals oder Panels. Die Szene wäre um einiges ärmer und nicht annähernd so, wie sie heute ist. Das Ganze läuft nicht optimal. Viel eher suboptimal. 

PS:

Und nun der letzte Twist: Ich selbst schreibe, wie übrigens alle AutorInnen, unbezahlt für frohfroh. Warum eigentlich? Weil ich es nicht lassen kann. Erstens müssen so ziemlich alle KünstlerInnen mit dem, was sie machen, in die Öffentlichkeit, um gesehen zu werden. Damit meine Texte gelesen werden, muss ich dafür sorgen, dass sie mit einer gewissen Reichweite erscheinen. Sich selbst in der eigenen Arbeit sehen und das als angenehm zu empfinden, ist auch ein Punkt. Und zweitens, wenn es keine engagierten AutorInnen mehr gäbe, die ohne Bezahlung für frohfroh schreiben, Fotos machen, Platten besprechen, DJs interviewen, Clubs im Auf- und in letzter Zeit leider immer öfter beim Abbau begleiten, dann verschwinden solche Blogs und Magazine. Und mit ihnen ein Teil der elektronischen Musikkultur.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Antoinette Blume , dj , Elektronische Musik , frohfroh , Gage , Kommentar , Kulturbranche , Selbstausbeutung

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