SoundCloud: Der Aufstieg und Fall und Aufstieg und Fall und Aufstieg einer Plattform

SoundCloud: Der Aufstieg und Fall und Aufstieg und Fall und Aufstieg einer Plattform

Features. 11. August 2024 | 4,9 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Zur einen Hälfte soziales Netzwerk, zur anderen Streamingplattform, dient SoundCloud seit 16 Jahren als Umschlagplatz für neue (Club-)Sounds und als Keimzelle ganzer Genres. Wirtschaftlich ging es dennoch ständig auf und ab. Noch in diesem Jahr soll das Berliner Unternehmen für eine Milliarde Euro verkauft werden. Kristoffer Cornils verfolgt die turbulente Geschichte von SoundCloud nach.

Als im Sommer 2007 die Weltfinanzkrise ihren Auftakt nahm und damit eine bis heute wirkende wirtschaftlich-politische Kettenreaktion lostrat, herrschte anderswo ungebrochener Optimismus. Plattformen wie MySpace, last.fm, YouTube, Facebook oder dessen deutscher Abklatsch StudiVZ versprachen einem rapide wachsenden Publikum Zugriff auf eine schier unbegrenzte Welt: Ständiger Austausch, konstante Verfügbarkeit wurden durch das sogenannte Web 2.0 ermöglicht.

Aus dieser Situation heraus gründeten die zwei Schweden Alexander Ljung und Eric Wahlforss in Berlin die Plattform SoundCloud, die zweierlei zusammenbrachte: Einerseits ließen sich darauf wie auf YouTube Medieninhalte anderen verfügbar machen und andererseits geschah dies nach den sozialen Prinzipien, die der Erfolg von MySpace und Facebook zum neuen Paradigma des Internets gemacht hatte. SoundCloud setzte allerdings noch deutlicher auf einen kollaborativen Ansatz als andere Plattformen es taten.

Ljung und Wahlforss hatten wie auch die Gründer der im Folgejahr gelaunchten Services Spotify und Bandcamp einen Hintergrund als Musiker, kannten also die Bedürfnisse ihres Publikums und das Potenzial der von ihnen entwickelten Plattform. Was Flickr und Vimeo für andere Kunstformen waren, das sollte SoundCloud ab seinem offiziellen Launch im Oktober 2008 darstellen: Ein Cloud-basiertes, spezifisches Werkzeug für Kulturschaffende, das in erster Linie bei der Produktion von Musik und deren gemeinschaftlicher Verfeinerung behilflich sein sollte. 

Es blieb nicht dabei.

2008–2012: Die ersten Erfolge… 

Der digitale Kapitalismus definierte Erfolg anders als zuvor. In ihm ist die Profitabilität eines Unternehmens weniger wichtig als laufend Investitionen ins Boot zu holen und dieses mit konstantem Wachstum in Richtung Ziel zu steuern. Dass dieses wiederum "mehr Wachstum" lautet, ist der grundsätzliche Widerspruch derlei Unternehmungen. In der Anfangsphase von Start-ups wie SoundCloud am Ende der Nullerjahre macht sich darüber jedoch niemand Gedanken. Hauptsache, die Sache lief! Und das tat sie.

Kaum ein halbes Jahr nach dem Launch von SoundCloud erhielt das Unternehmen stattliche Investitionen und konnte schon nach anderthalb Jahren vermelden, mit einer Million registrierten Nutzer:innen einen Meilenstein geknackt zu haben. Das rief umso mehr Investitionen auf den Plan und sorgte für Schneeballeffekte: Im Juni 2011 waren es bereits fünf, im Januar 2012 dann zehn Millionen Menschen, die sich bei SoundCloud einen Account zugelegt hatten. Der ebenfalls 2008 lancierte Konkurrent Mixcloud konnte zur selben Zeit nur etwa drei Millionen Besucher:innen pro Monat verzeichnen. 

Dass sich SoundCloud im Wettstreit mit der prinzipiell ähnlichen Plattform durchsetzen konnte, lag an seiner funktionellen Überlegenheit. Zum einen legte SoundCloud einen größeren gestalterischen Fokus auf die soziale Komponente der Plattform, was zur Bildung kleiner Communitys bis hin zu ganzen musikalischen Genres wie ab Mitte der Zehnerjahre Mumble beziehungsweise Cloud Rap führte. Musiker:innen und DJs konnten nicht nur miteinander, sondern auch direkt mit ihren Fans in Kontakt treten und sich so zwar keine Einnahmen, dafür aber Aufmerksamkeit verschaffen.

Chance the Rapper gilt weiterhin als Paradebeispiel eines frühen SoundCloud-Stars, der seine Musik umsonst ins Netz stellte und seinen Ruhm dann auf anderem Wege in hartes Cash ummünzte. Das Narrativ vom Selfmade-Streaming-Millionär ist zwar in diesem wie auch jedem anderen Fall wohl zu schön, um wirklich vollumfänglich wahr zu sein. Es drückte aber damals das Versprechen von SoundCloud aus: Hier kannst du zwar kein Geld verdienen, aber mit der Kraft der Community berühmt werden. Die Kohle kommt dann schon nach.

Zum anderen erlegte SoundCloud anders als Mixcloud den Uploader:innen jenseits von zeitlichen kaum andere Beschränkungen auf: Ob nun ein voller DJ-Mix, einzelne Tracks, wahnwitzige Mash-ups oder Gesprächs-Podcasts: Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt, weil alles erlaubt war. Zumindest fast alles.

2013:… und die ersten Dämpfer

Die frühen Zehnerjahre waren die Ära der rechtlich-wirtschaftlichen Konsolidierung des Streaming-Geschäfts. Nach harten Kämpfen um die Lizenzierung von Musikaufnahmen und urheberrechtlich geschützten Materialien auf YouTube sowie Vereinbarungen zwischen den großen Playern der Musikindustrie mit Spotify und anderen Streaming-Services wurde der quasi-anarchistischen Upload-Politik der Nullerjahre sukzessive ein Ende bereitet. Das hatte auch Auswirkungen auf SoundCloud, wo jede Menge geschütztes Material in Form von Einzel-Uploads oder als Teil von DJ-Mixen hochgeladen wurde. 

Im Sommer 2013 vermeldete SoundCloud 40 Millionen registrierte Nutzer:innen der zwischenzeitlich redesignten Plattform, im Gesamten wurde die Plattform zu diesem Zeitpunkt von angeblich 200 Millionen Menschen pro Monat angesteuert. Profitabel war das Unternehmen fünf Jahre nach dem Launch der Plattform allerdings nicht und musste sich auch erstmals mit den Fallstricken des nahezu exponentiellen Wachstums auseinandersetzen. Circa zwölf Stunden Musik wurden zu dieser Zeit pro Minute hochgeladen, vieles davon legal – manches aber nicht. 

Das bereitete SoundCloud zunehmend Probleme. Die großen Erfolge hinsichtlich Nutzerzahlen und Investitionen – im Sommer 2013 wurde von etwa 45 (inflationsbereinigt nach heutigem Stand etwa 60) Millionen US-Dollar Investitionen ausgegangen – erhöhten den Druck auf das Unternehmen, einerseits weiter zu wachsen und andererseits alles in geregelte Bahnen zu lenken, um nicht den Zorn und die Anwaltskanzleien der Musikindustrie auf sich zu lenken. SoundCloud musste sich stärker um die Eindämmung von Urheberrechtsverletzungen kümmern.

Der Unmut der Nutzerbasis war jedoch ebenso gewachsen. Die oftmals als "YouTube für Musik" bezeichnete Plattform bezog ihren Wert zwar aus nutzergenerierten Inhalten wie nach DIY-Prinzip produzierter Musik und DJ-Sets sowie natürlich dem sozialen Austausch auf der Plattform. Während sie wuchs, fremdelte der harte Kern zunehmend: Je weiter sich SoundCloud dem Mainstream öffnete, desto mehr verlor es an Reiz für die hochspezifische Zielgruppe, für welche die Plattform einst gegründet wurde. Eben jene Menschen hatten das Gefühl, dass SoundCloud ihnen zunehmend Steine in den Weg legte.

Vor allem DJs werden sich noch gut daran erinnern, dass der Upload von Mixen bisweilen einer Partie Topfschlagen im Minenfeld gleichkam: Gelingt es oder gibt es einen der berüchtigten "Strikes"? War letzteres der Fall, wurde es kritisch: Drei solcher Strikes hatten die Schließung des Accounts zur Konsequenz. Keine schönen Aussichten, insbesondere für all jene, die eines der Premium-Abos von SoundCloud abgeschlossen hatten, um sechs Stunden oder mehr an Material hochladen zu können. Dazu gehörten Labels und DJs, aber auch Bands und Produzent:innen.

Es musste also eine Lösung her, die sowohl die Musikindustrie als auch die Nutzer:innen zufriedenstellte. Sie bestand in der Lizenzierung großer Kataloge.

2014–2015: Gute Werte, schlechte Zeiten

In dieser Hinsicht stellte es einen Coup dar, dass SoundCloud im Januar 2014 verkündete, mit der Musikindustrie Lizenzverhandlungen aufgenommen zu haben und zugleich 60 Millionen US-Dollar (entspricht heutzutage fast 80 Millionen) in neuerlichen Investitionen einfuhr, die zu diesem Zwecke als Finanzmittel eingesetzt werden sollten. Seine Bewertung von 700 (heute fast 930) Millionen US-Dollar machte das kleine Start-up aus Berlin weniger als sieben Jahre nach Gründung beinahe zu einem sogenannten Unicorn. Im Folgejahr ging sogar das Gerücht herum, Twitter wolle SoundCloud für zwei (entspricht heute ca. 2,65) Milliarden US-Dollar aufkaufen.

Das passierte aber nicht und auch die Lizenzvereinbarungen schleppten sich hin. Statt in ein neues Zeitalter der Prosperität und der Liberalität einzutreten, ging das weiterhin defizitäre Unternehmen merklich auf dem Zahnfleisch. Die Situation hinsichtlich urheberrechtlicher Verstöße auf der Plattform verschärfte sich. Zunehmend wurden reihenweise Accounts eingefroren, darunter etwa der des DJs Mr Brainz. Als er sich an die Plattform wandte, um sich über die Gründe zu informieren, erlebte er eine Überraschung: Es war nicht SoundCloud, sondern die Universal Music Group (UMG) gewesen, die ihm die entscheidenden Strikes gegeben hatte.

Die Nachricht sorgte für ebenso viel Bestürzung wie Wut. Dass SoundCloud auf Geheiß der großen Musikkonzerne gegen urheberrechtliche Verstöße vorging, wäre das eine gewesen. Den Konzernen selbst aber die Verfügungsgewalt zu geben und ohne Wissen der Plattform schalten zu lassen – das war ein Skandal. Denn DJs gaben einer Plattform Geld, die davon nichts an die Produzent:innen der von ihnen primär gespielten Musik ausschüttete und sie obendrein der Willkür der Musikindustrie auslieferte. Vielen kam das einem Verrat gleich.

Vermutlich ging SoundCloud diesen Schritt in einem Akt des vorauseilenden Gehorsams, um die Lizenzverhandlungen zu beschleunigen. Mit dem Rollout der Initiative On SoundCloud im Sommer 2014, in deren Rahmen in den USA wie bei YouTube Werbung ausgespielt wurde, an deren Einnahmen Rechteinhaber:innen beteiligt werden sollten, bemühte sich die Plattform um Monetarisierungsmöglichkeiten. Bis Ende des Jahres schlossen sich mit der Warner Music Group (WMG) und Sony Music Entertainment (SME) auch zwei der drei großen Musikkonzerne als sogenannte Premier-Partner an.

Wenige Monate später aber, im Mai 2015, zog die SME all ihre Musik wieder von SoundCloud ab, weil das Modell nicht genug abwarf. Zwei Millionen US-Dollar seien bis dahin insgesamt aus den Werbeeinnahmen ausgeschüttet worden, hieß es. Im Vergleich zum Geschäft mit den regulären Streamingplattformen stellte das kaum mehr als Peanuts dar. Das britische GEMA-Pendant PRS For Music verklagte SoundCloud im Sommer 2015 sogar wegen ausbleibender Tantiemenzahlungen. 

Dass ungefähr zeitgleich ein Deal mit dem Merlin Network als Agentur zur Verwertung der digitalen Rechte vieler Indie-Labels zustande kam, schien da ein kleiner Hoffnungsschimmer. Auch eine Einigung mit PRS For Music Ende 2015 änderte nichts daran, dass sich Fragen aufdrängen: War das Premier-Programm gescheitert? Und selbst wenn nicht, würde es sich für die Musikindustrie und also auch für Künstler:innen rentieren? Was könnte all das an diesem kritischen Punkt für die Zukunft von SoundCloud bedeuten?

In der Gegenwart kam es jedenfalls zu immer mehr Account-Löschungen wegen Urheberrechtsverstößen. Unter anderem musste der des Kulturmagazins Dummy auf Geheiß der SME daran glauben. Der Unmut wuchs beständig. Doch machte sich bald wieder Hoffnung breit. 

2016: Das kleine Umbruchsjahr

Nach einem turbulenten Jahr 2015 konnte SoundCloud das darauffolgende mit zwei guten Nachrichten beginnen: Im Januar und März 2016 konnte es Lizenzdeals mit UMG und erneut SME abschließen. Für Aufmerksamkeit sorgte die Bemerkung eines UMG-Mitarbeiters, dass der Musikkonzern in Zukunft damit experimentieren könne, bestimmte Inhalte nur einem zahlenden Publikum zur Verfügung zu stellen. Sollte das etwa heißen, dass SoundCloud nach acht Jahren als für die Nutzer:innen kostenfreier Service bald ein Bezahlabo einführen würde?

Genau das hieß es. SoundCloud Go wurde in den USA im März und in Deutschland im Dezember 2016 gelauncht. Mitbegründer Eric Wahlforss gab zu diesem Anlass Interviews, wie sie das Unternehmen in der Vergangenheit sonst eher gescheut hatte. Im Gespräch mit GROOVE-Chefredakteur Heiko Hoffmann ließ er wie nebenbei die Bemerkung fallen, dass "man DJ-Mixe jetzt legal und problemlos auf SoundCloud stellen" könne, weil die Plattform auch einen Deal mit der GEMA geschlossen habe. 

Mit sowohl den großen Musikkonzernen als auch der Verwertungsgesellschaft im Rücken schien der Weg frei in eine bessere Zukunft – und zwar für alle. Denn nicht nur konnte das rege DJ-Mix- und Mash-up-Treiben auf der Plattform wieder weitgehend ungestört aufgenommen werden, auch sollte es in Zukunft für die Beteiligten Geld geben. Mit den Einnahmen aus Werbeeinblendungen für Nutzer:innen mit kostenfreiem Account sowie aus Aboeinnahmen sollten Ausschüttungen an Labels, Verlage und natürlich auch Künstler:innen ermöglicht werden. Ende gut, alles gut? 

Natürlich nicht. Denn so rosig die Zeiten von außen aussahen, so rot sahen am Ende des Jahres die Zahlen aus: SoundCloud hatte sich bis zu diesem Punkt von Investition zu Investition herübergerettet, ohne je auf einen grünen Zweig beziehungsweise in die schwarzen Zahlen zu kommen. Das Unternehmen versuchte zugleich händeringend, weiter zu wachsen und Einsparungen vorzunehmen. Das zog paradoxe Konsequenzen nach sich.

2017: Das große Umbruchsjahr

Mitte der Zehnerjahre war SoundCloud so beliebt wie noch nie. Trotz mannigfaltiger Konkurrenz war es nach wie vor die erste Präferenz in der Clubmusikszene, die ihrerseits einen veritablen Hype erlebte. Auch Cloud Rap zog ein großes Publikum auf die Seite. Zu den ungewöhnlichsten Erfolgsgeschichten gehörte die von Rory Fresco, einem Teenager, dessen Song "Lowkey" vom SoundCloud-Algorithmus direkt nach der Vorab-Single zu Kanye Wests Album 'Life of Pablo' abspielte und der auf diesem Kollateralerfolg eine ganze Karriere aufbauen konnte.

SoundCloud bot zu diesem Zeitpunkt angefangen mit dem Pop-Edit für die Peak-Time über das Mumblecore-Demo bis hin zur Interview-Podcast-Folge in Überlänge über 150 Millionen verschiedene Titel. Doch die Millionen von Musikstücken und Milliarden von Streams, Reposts und Kommentaren ließen sich vom Unternehmen nicht ohne Weiteres in Geld ummünzen. Es setzte deshalb im Sommer 2017 drastisch die Schere an, schloss seine Büros in London und San Francisco und entließ auf einen Schlag 173 Angestellte – mehr als ein Drittel der Gesamtbelegschaft.

Dem vorausgegangen war eine wirtschaftliche Krisensituation. Seit dem Sommer 2016 hatte SoundCloud vergeblich versucht, 100 Millionen US-Dollar Investitionsgelder aufzutreiben. Nachdem nur wenige Monate zuvor Gerüchten zufolge Spotify eine Übernahme der (Quasi-)Konkurrenz in Betracht gezogen hatte, drohte SoundCloud im Frühjahr 2017 verramscht zu werden: Die wenige Jahre zuvor mit 700 Millionen US-Dollar bewertete Firma war anscheinend offen für alle Gebote, die über die in der Summe angesammelten Investitionen von 250 Millionen US-Dollar hinausgingen.

So weit kam es nicht. Mittels des drastischen Downsizings konnte sich SoundCloud Zeit kaufen – buchstäblich gesprochen. Kurz nach der großen Entlassungswelle butterten die Investmentbank The Raine Group und die dem singapurischen Staat gehörende Firma Temasek knapp 170 Millionen US-Dollar in SoundCloud und sicherten sich damit Mehrheitsanteile an dem defizitären Unternehmen. Dessen Gründer traten einen Schritt zurück: Alexander Ljung und Eric Wahlforss übergaben an Kerry Trainor als CEO und Michael Weissman als COO – beide leiteten zuvor beim SoundCloud-Vorbild Vimeo die Geschäfte.

Es sollten nicht die einzigen personellen Veränderungen sein, die unter der Führung der Raine Group und Temasek vorgenommen wurden. Immer mehr Posten wurden geräumt und neu besetzt. Das vorausgehende Umbruchsjahr war also ein kleines gewesen, die wirklich signifikanten Umwälzungen ergaben sich 2017: Der Krise wurde mit rabiaten Methoden begegnet, die Strategie neu aufgesetzt. Denn SoundCloud war es schlicht nicht gelungen, sein  massives kulturelles Kapital in finanzielles umzuwandeln, die leidenschaftliche Zielgruppe zur zahlungsfreudigen Kundschaft zu machen. Das musste sich schnellstmöglich ändern.

Nach der Neuaufstellung drehte sich unter der neuen Führung der Wind. Das ging aber langsam und fast unbemerkt vonstatten.

2018–2019: Der große Leerlauf und die Rückbesinnung

Die Jahre nach dem großen Beinahe-Crash von SoundCloud waren von einer sonderbaren Quasi-Stagnation geprägt. Sukzessive rollte die Plattform immer mehr Features aus, kollaborierte mit anderen Unternehmen, experimentierte mit mehr Abomodellen und unternahm immer mehr, um einerseits zu wachsen und andererseits die konstant roten Zahlen zumindest in Richtung der Kostendeckung zu führen. Das Unternehmen wandelte sich weiter. Anfang 2019 trat Eric Wahlforss als Chief Product Officer zurück und zog sich in eine beratende Rolle zurück, während Mitbegründer Alexander Ljund weiterhin als Vorstandsvorsitzender dem Unternehmen diente. 

Es gelang dem neuen Team zwar, die Einnahmen zu vergrößern und Verluste von SoundCloud zu schmälern. Große Neuigkeiten waren das in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch nicht. Die Plattform existierte scheinbar vor sich hin. Ein rettender Einfall war der Einstieg ins Vertriebsgeschäft. Während Spotify sein Experiment mit der Möglichkeit des Direkt-Uploads durch Künstler:innen wie auch ein daran geknüpftes Vertriebsmodell schnell wieder einstellte, bediente SoundCloud ab Anfang 2019 exakt dieses Bedürfnis. Die rundumerneute Firma bewies, die eigentliche Zielgruppe der Plattform endlich (wieder) verstanden zu haben. 

Diese bestand nämlich weniger nur rein aus den Hörer:innen und vielmehr noch aus sehr vielen Musiker:innen, die die Plattform in ihrer ursprünglichen Funktion nutzten: Sie wollten darüber ihre Musik schnell und unkompliziert, das heißt weitestgehend ohne allzu viele Zwischeninstanzen in die Welt bringen. Das an bestimmte Abomodelle gekoppelte Vertriebssystem ermöglicht es ihnen, genau das in einem noch viel breiteren Umfang zu tun und sich damit Kosten und Mühen zu sparen. 

Freilich kam auch diese Innovation etwas spät. Patreon und andere, noch genauer auf die spezifischen Bedürfnisse jenseits der tradierten Strukturen der Musikindustrie agierenden Künstler:innen zugeschnittene Plattformen wussten das Geschäft mit der "Creator Economy" um einiges besser zu lenken oder zumindest für sich zu nutzen. Und dass SoundCloud für mehr Sichtbarkeit im mittlerweile auf gut 200 Millionen Titel angewachsenen Katalog mehr Geld verlangte, stieß vielen zusätzlich sauer auf. Solcherlei Features waren eigentlich nur von Spotify bekannt.

All diese Maßnahmen und ein ultrasparsames Wirtschaften ermöglichten es SoundCloud indes, die Verluste der Firma immer erfolgreicher zu minimieren und simultan die Einnahmen in die Höhe zu treiben. Die Zahlen blieben zwar rot, verdunkelten sich aber zunehmend. Bis sie eines Tages schwarz wurden.

2020–2021: Ein bisschen Profit und viel Innovation

Das Jahr 2020 begann für SoundCloud mit einer erneuten Finanzspritze, wie sie das weiterhin defizitäre Unternehmen seit nunmehr über einem Jahrzehnt immer wieder vor dem Ruin bewahrt hatte. SiriusXM, zu dem der Streamingdienst Pandora gehört, investierte 75 Millionen US-Dollar in die Berliner Firma. Die ging damit gerüstet in die Pandemie, die der Plattform einen Wachstumsschub besorgte: 50 Prozent mehr Uploads von "Creators" wurden dort verzeichnet. Diese Creators erhielten großzügige Unterstützung: 10 Millionen US-Dollar stellte das Unternehmen bereit, um einzelne von ihnen zu unterstützen. 

Zeitgleich wurde das zuvor an Premier gekoppelte Vertriebsgeschäft separat unter dem Namen Repost (heute: SoundCloud for Artists) aufgestellt und ein Mastering-Feature ausgerollt. SoundCloud reagierte damit ebenso schnell wie innovativ auf die sich durch die Pandemie verschärfte Wertschöpfungskrise von Musiker:innen, denen wegen der Pandemie zusätzliche Einnahmen weggebrochen waren. So konnte es sein Image aufpolieren. Die Nachricht, dass das Unternehmen im dritten Quartal 2020 zum ersten Mal profitabel war, kam – auch weil im ersten Pandemiejahr das Streaming-Geschäft insgesamt brummte – kaum überraschend.

Dass jedoch der erst drei Jahre zuvor neu eingesetzte Kerry Trainor seinen Posten als CEO dem einst als COO dazugestoßenen Mike Weissman übergeben würde, schon eher. Trainors Bilanz fiel allerdings positiv aus: Er hatte aus einem ruinösen Unternehmen ein – zumindest kurzzeitig – profitables gemacht. Weissman übernahm Anfang 2021 das Heft und führte damit eine Firma an, die lange dem Zeitgeist hinterhergehinkt war, jetzt aber wieder innovative Akzente setzte: Im März 2021 verkündete SoundCloud, als erster Streaming-Service ein sogenanntes nutzerzentriertes Ausschüttungssystem einzuführen.

Die von SoundCloud als "fan-powered royalties" bezeichneten Modalitäten waren simpel und passten ideal zu einer Plattform, die in ihren Anfangstagen die Grenzen zwischen Fans und Musiker:innen so konsequent verwischte wie keine andere: Statt wie anderswo die Gelder anteilig in Hinsicht auf das Streaming-Gesamtaufkommen auszuschütten, richten sie sich nach dem individuellen Hörverhalten der einzelnen Nutzer:innen. Wer über SoundCloud allein die Musik einer bestimmten Techno-Produzentin hörte, bezahlte also nicht Taylor Swift den Lebensunterhalt mit, sondern der eigentlichen Lieblingskünstlerin.

Erneut zeigte sich, dass SoundCloud hin und wieder die eigene Zielgruppe zu verstehen wusste. Anders als Spotify und Co. setzte die Plattform seit jeher auf eine viel aktivere Einbindung des Publikums und übersetzte dies nun in finanzielle Anreize für Künstler:innen. Die wiederum wurden ebenso wie von dem Nutzen des Systems überzeugte Fans zur Kasse gebeten: Die "fan-powered royalties" wurden nur von Fans mit SoundCloud-Abo an Künstler:innen mit SoundCloud-Abo ausgeschüttet. Hinter der Einführung des Modells steckte also kein reiner Altruismus, sondern betriebswirtschaftliches Kalkül. 

Laut Angaben von SoundCloud selbst lohnt sich das System allerdings für seine Künstler:innen (Gegenteiliges zu vermelden wäre allerdings auch strategisch unklug). Für die Musiker:innen änderte sich damit die Bedeutung der Plattform für ihre Arbeit. War SoundCloud lange Zeit eine Art Karrieresprungbrett gewesen, hatte sie sich nunmehr dermaßen breit aufgestellt, dass sie zur One-Stop-Shop-Solution für zumindest die meisten ihrer Bedürfnisse werden konnte. Nachdem SoundCloud jahrelang keinen Cent abgedrückt hatte, empfahl es sich nun als Wertschöpfungsmöglichkeit. 

Damit trat die Plattform nach über einem Jahrzehnt als Außenseiter auf dem Markt als eine Art komplementäre Alternative zu den etablierten Streamingdiensten auf. Selbst die großen Musikkonzerne und die Indie-Vertretung Merlin Network ließen sich vom Prinzip der "fan-powered royalties" erweichen beziehungsweise nutzten zumindest teilweise die Gelegenheit, mit einem anderen Ausschüttungsmodell zu experimentieren, das sich eine ganz andere Zielgruppe als Berechnungsgrundlage hernahm als die etablierten, an ein Mainstream-Publikum gerichteten Dienste wie Spotify.

Es musste also konsequent bergauf gehen und das tat es auch: SoundCloud schwang sich zu neuen Höhen auf. Nur mussten dafür zuvor ein paar Altlasten abgeworfen werden.

2022–2023: Ein bisschen mehr Profit und noch mehr Stellenkürzungen

Der Einführung der "fan-powered royalties" und der positiven Resonanz darauf folgte eine Zeit des Optimismus. Chief Financial Officer Drew Wilson gab Ende 2021 stolz zu Protokoll, die Firma stehe kurz vor dem betriebswirtschaftlichen Break-even und prophezeite profitable Zeiten ab dem Jahr 2023. Noch liegen keine offiziellen Zahlen für dieses Geschäftsjahr vor, nach vorläufigen Berechnungen scheint das aber – wenngleich knapp – gelungen zu sein. So oder so ging es auch unter der Führung von Weissman weiterhin wirtschaftlich bergauf.

Die neuerlichen Gewinne wurden wie schon zuvor in der Geschichte von SoundCloud mit knallharten Einsparungen erkauft. Im Jahr 2022 entließ das Unternehmen satte 20 Prozent seiner weltweiten Belegschaft und legte Anfang 2023 nach, als es weitere acht Prozent der verbliebenen Stellen kürzte. Noch bevor in der gesamten Musikindustrie von "cut to grow" die Rede war, machte SoundCloud vor, wie genau das auszusehen hatte. Erneut kam es zu personellen Veränderungen: Auch Weissman räumte im Frühjahr 2023 den Platz als CEO und übergab den Staffelstab an Eliah Seton. 

Die Besatzung dieser Firma hat sich seit ihren Anfangstagen fast vollständig erneuert, 16 Jahre nach dem Launch handelt es sich bei der Plattform jedoch weiterhin um einen sonderbaren Hybrid. Sie ist ein Streamingdienst mit (so gut wie) allem, was dazugehört. Aber auch ein soziales Netzwerk, das einen sehr direkten Austausch zwischen Fans und Musiker:innen oder DJs erlaubt. Die Vertrieb- und Artist-Services für all jene anbietet, die darüber ihre Musik auf eigene Faust in die Welt bringen wollen. Und die die Musik von Popstars ebenso anbietet wie den dahinterstehenden Konzernen Verwertungsmöglichkeiten.

Das macht sie nach langen und beschwerlichen Jahren wieder als Investitionsziel attraktiv.

Heute und morgen: Der mutmaßliche Verkauf und die Zukunft danach

Diese Mischung kann so nur funktionieren, weil SoundCloud sich parallel zu anderen Angeboten in der Wachstumsphase des Web 2.0 entwickelt, zu gleichen Teilen auf ständigen Austausch und konstante Verfügbarkeit gesetzt hat. Der Ansatz mag aktueller denn je sein, bedient SoundCloud doch im Kern sowohl die Logik des regulären Streaming-Geschäfts als auch – und das in erster Linie – die der "Creator Economy" mit ihren sogenannten Superfans. Die stellen die nächste Goldgrube der Musikindustrie dar, weshalb auch jenseits der reinen Profitabilität der Marktwert der Plattform wächst.

Es ist daher ebenso verwunderlich wie einleuchtend, dass anscheinend ein Verkauf von SoundCloud ansteht. Im Januar dieses Jahres wurde gemeldet, dass die Raine Group und Temasek deswegen mit Investmentbanken im Gespräch seien. Schätzungen zufolge könnte der Preis ein stattlicher sein: eine Milliarde US-Dollar. Das ist weniger, als Twitter vor gut einem Jahrzehnt dafür bot, weitaus mehr aber als beim drohenden Verkauf im Jahr 2017. So oder so hätten die beiden Hauptinvestoren damit in nur sieben Jahren einen fetten Gewinn gemacht.

Die Frage ist nun allerdings, wer SoundCloud kaufen könnte und warum. Sowie nicht zuletzt, welche Auswirkungen das auf die Features und Funktionalitäten, also auch die Kultur der Plattform haben wird. Und ob das hart erkämpfte wirtschaftliche Wachstum zu halten oder gar auszubauen sein wird. Denn Geld mag reinkommen, doch woher? Über die Anzahl der Hörerabos etwa hüllt sich SoundCloud in Schweigen. Zuletzt wurde nur davon gesprochen, dass sich die Einnahmen aus solchen Abos in Kombination mit Werbeeinnahmen um 30 Prozent erhöht hätten. Das kann alles Mögliche bedeuten.

Es erscheint offenkundig, dass der langsame Aufstieg der mehrfach gefallenen Plattform darauf aufgebaut wurde, die Künstler:innen als die eigentlichen Kund:innen zu priorisieren. Sollten die allerdings im Laufe der Zeit bemerken, dass sich das Geschäft mit SoundCloud doch nicht so sehr lohnt wie zwischenzeitlich angenommen, und ihre Abos kündigen – würde SoundCloud dann in den freien Fall übergehen? Aktuell kann über solche oder optimistischere Perspektiven – vielleicht wechseln ja wirklich immer mehr Hörer:innen von den regulären Plattformen zu SoundCloud, wovon alle profitieren würden – nur spekuliert werden.

Sicher ist eins: Wer auch immer SoundCloud kauft, tut das in einem für die Plattform entscheidenden Moment. Dank ihres hybriden Charakters könnte sie wegweisend werden. Laut der kürzlich von MIDiA vorgestellten "Bifurcation Theory" untergliedert sich das Publikum zunehmend in einen eher passiv konsumierenden und einen sich aktiv einbringenden Teil. SoundCloud bietet potenziell beiden eine Anlaufstelle und damit Rechteinhaber:innen von der Techno-Produzentin bis hin zum Major-Label entsprechende Verwertungsmöglichkeiten. Die kürzlich angekündigte Kollaboration mit Resident Advisor deutet darauf hin, dass im Bereich der Clubmusik nun auch das Eventgeschäft angezapft werden soll.

Die alten Stärken SoundClouds wurden in den vergangenen Jahren so wieder zu neuen. Die Zeit wird zeigen, wie effektiv sie genutzt werden können, um die Plattform als ernsthafte Alternative auf dem Streaming-Markt zu etablieren.

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SoundCloud: Der Aufstieg und Fall und Aufstieg und Fall und Aufstieg einer Plattform

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