
"Streaming 2.0" ist da! … Was zur Hölle ist "Streaming 2.0"? – Quartalsbericht 1/2025
Nach Spotify ist nun auch Amazon Music einen Deal mit der Universal Music Group eingegangen, um dem Publikum in Zukunft "Streaming 2.0" zu bieten. Was verbirgt sich aber hinter dem Begriff? Das analysiert Kristoffer Cornils in einer neuen Ausgabe seiner Kolumne Quartalsbericht.
Wer die Zahlenspiele der Musikindustrie verstehen will, sollte sich mit ihrer Sprache auseinandersetzen. Das Buzzword von heute soll schließlich die wirtschaftliche eierlegende Wollmilchsau von morgen sein. Nachdem zuletzt mit Begriffen wie "artist-centric" und "Superfans" hantiert wurde, ist die nunmehr immer häufiger von "Streaming 2.0" zu hören. Stichwortgeber ist wie so oft Lucian Grainge, CEO der Universal Music Group (UMG), dem größten Musikkonzern der Welt – zuletzt etwa in seinem internen Memo an die eigene Belegschaft zum Jahresbeginn.
Grainge hatte zuvor den Begriff "artist-centric" für ein mittlerweile von Deezer und Spotify (sowie, dazu später, Amazon Music) adaptiertes Ausschüttungsmodell geprägt und die Stichworte für die Debatte über "Superfans" in der weiteren Musikwelt geliefert. Seit Monaten redet er noch lieber von "Streaming 2.0". Wie immer wird höchstens vage erklärt, was das eigentlich heißen soll. Auch das hat Tradition, ist doch schon der Begriff "artist-centric" mindestens irreführend: Am meisten profitieren von diesem System die Major-Labels. Des Weiteren kann weiterhin niemand so genau sagen, was echte "Superfans" ausmacht.
Soviel ist sicher: Um eine neue Wiedergabetechnologie handelt es sich nicht. Tatsächlich ist "Streaming 2.0" eine Art Synthese von "artistic-centric"-Modell und "Superfans"-Spekulation: Die Streaming-Welt soll neu ausgerichtet werden, um noch mehr Fans noch mehr Geld abzunehmen und es zunehmend in die Kassen von UMG zu leiten – wovon auch die Plattformen etwas haben.
Wie Universal mit Spotify gemeinsame Sache macht
Der Grundstein für die "Streaming 2.0"-Ära wurde bereits gelegt, als noch niemand diesen Begriff verwendete. Im März letzten Jahres kündigten UMG und Spotify die Vertiefung ihrer "strategischen Partnerschaft" an. UMG-Künstler:innen erhielten dank dieser "neue Promotion- und Social-Features", die bei der "Erhöhung der Interaktion" mit dem Zielpublikum behilflich sein sollen. Als Beispiel wurden Teaser-Funktionen genannt, mittels derer UMG-Artists "Fan-Engagement und Pre-Save-Aktivität" in die Höhe schnellen lassen können.
UMG erkaufte sich also einen Wettbewerbsvorteil in puncto Sichtbarkeit. Ebenso tat das Spotify – und zwar buchstäblich gesprochen. Der Service erhielt nämlich von UMG im Gegenzug die Lizenz, in den USA die Musikvideos von UMG auf der eigenen Plattform ausspielen zu dürfen. Hintergrund ist, dass der schwedische Konzern derzeit massiv den Aufbau seines Videoangebots vorantreibt. Die Streaming-Plattform tritt mit Taylor-Swift-Videos und audiovisuellen Podcasts zunehmend mit YouTube und anderen Plattformen in Konkurrenz. UMG hilft dabei.
Wie Spotify immer mehr zur One-Stop-Shop-Solution wird
Es ist nicht die einzige expansionistische Maßnahme, die Spotify Anfang 2024 ergriff. Zusätzlich zu der seit langem bestehenden Kooperation mit dem E-Commerce-Anbieter Shopify, die Fans den bequemen Kauf von Tonträgern und Merchandising über die App erlaubt, hat die Plattform auch die Integration von Bandsintown vorangetrieben. Das ermöglicht es Hörer:innen, auf dem neuesten Stand zu bleiben, was Konzerte und Festivalauftritte ihrer Lieblingsacts anbelangt – und natürlich können sie dann auch gleich die Tickets kaufen.
So wird die Plattform immer mehr zu einer One-Stop-Shop-Solution für alle Bedürfnisse von Musikfans. Das bringt Spotify einerseits mehr Geld, weil es nach dem Affiliate-Prinzip an allen getätigten Verkäufen mitverdient, und macht den Service andererseits für die Musikindustrie noch wichtiger als schon zuvor: Indem er sein Angebot verbreitert, bindet er immer mehr Konsument:innen mit tiefen Taschen an sich. In die will ein Unternehmen wie UMG natürlich ebenso hineingreifen und versucht deshalb, seinen eigenen Künstler:innen – und somit sich selbst – einen Vorteil zu verschaffen. Beides gibt einander Aufwind.
Wie beide noch mehr Fans noch tiefer in die Tasche greifen wollen
Auch geografisch wird der Einzugsbereich erweitert. Plattformen wie Spotify und Musikkonzerne wie UMG wollen zunehmend ihre Marktpositionen festigen beziehungsweise sich neue Märkte erschließen. Zwar gibt es auf kleiner wie auf größerer Ebene einige regionalspezifische Angebote – Deezer ist relativ klein und doch Marktführer im Heimatland Frankreich, die Plattform Anghami bedient den arabischen Raum, in Indien dominiert Gaana usw. –, aber denen soll zunehmend Konkurrenz gemacht werden. Das logische Ziel: mehr Menschen an sich binden. Und aber auch alle mehr zur Kasse bitten.
Ein derzeit oft im Kontext von "Streaming 2.0" fallendes Akronym lautet ARPU: Average Revenue Per User. Der durchschnittliche Umsatz pro Nutzer:in soll erhöht werden, weil potenziell sowohl die Plattformen als auch die Musikkonzerne davon profitieren können. Abopreise sind dafür das wirksamste Werkzeug. Denn ihre Erhöhung vergrößert den sprichwörtlichen Kuchen, aus dem Gelder nach dem Pro-Rata-System anteilig an Rechteinhaber:innen ausgeschüttet werden – allen voran UMG und seinen Künstler:innen, die dank "artist-centric"-Mechanik sowieso schon mehr verdienen als zuvor.
Neue Abomodelle, exklusive Inhalte?
Um den ARPU noch weiter in die Höhe zu treiben, könnten bald sogar neue Abomodelle eingeführt werden. Boyd Muir von UMG stellte im November ein "Super-Premium"-Modell in Aussicht. Das dürfte dem entsprechen, was Spotify-CEO Daniel Ek bereits im Sommer 2024 angeteasert hatte: Für einen höheren Preis bekämen Abonnent:innen "viel mehr Kontrolle, eine noch bessere Qualität in allen Bereichen und ein paar andere Dinge, über die ich noch nicht sprechen kann", versprach er. Das klingt vage, mutmaßlich könnte es neben besserer Wiedergabequalität auch exklusive Inhalte einschließen.
In diesem Sinne ist vielleicht ein ausschließlich über Spotify einsehbarer Konzertfilm von UMG-Künstler The Weeknd als erster Testballon für das "Streaming 2.0"-Prinzip zu verstehen. Der Popstar hatte für seine "Top-Hörer:innen" ein Konzert gegeben, das sich zu Teilen aus seinen Songs aus dem "Billionaire Club" von Spotify zusammensetzte – Stücken, die dort über eine Milliarde Mal gestreamt wurden. Ein Konzert für "Superfans", das in seiner Konzeption die Marktmacht von Spotify offensichtlich unter Beweis stellen soll und im Anschluss exklusiv auf der Plattform abrufbar ist – sieht so "Streaming 2.0" aus?
Und Amazon mischt auch schon mit
In einer Doppelbewegung verbreitert Spotify im Rahmen von "Streaming 2.0" also Radius und Angebot und versucht dadurch, den Fans tiefer in die Taschen zu greifen. Es ließe sich vielleicht von einer Amazonisierung des Streaming-Geschäfts sprechen: So wie Jeff Bezos‘ Unternehmen einst mit dem Verkauf von Büchern begann und nunmehr als "Everything Store" gilt, verwendete Spotify ursprünglich Musik als Lockmittel, um Konsument:innen (und deren Daten) an Werbetreibende heranzuführen, baut nun aber zunehmend die Produktpalette aus – mit Podcasts und Hörbüchern, Merch und Tickets sowie Videoinhalten.
Die Zeichen stehen auf Konsolidierung – vielleicht gar Monopolisierung? Wohl nicht, denn die Konkurrenz schläft nicht. Ausgerechnet Amazon Music kündigte kurz vor den Dezemberfeiertagen ebenfalls an, die Zusammenarbeit mit UMG zu intensivieren. Auch dieser Deal verspricht UMG-Künstler:innen neben "artist-centric"-Modalitäten zugleich mehr Sichtbarkeit. Für den Musikkonzern schließt die Kollaboration mit der einen Plattform nicht die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz aus. Das könnte für das Publikum Konsequenzen haben.
Ein neues Zeitalter der Exclusives?
Die Älteren werden sich vielleicht noch an die Veröffentlichung von Beyoncés Album "Lemonade" im Jahr 2016 erinnern – ein sogenannter Surprise-Drop, der exklusiv über den Dienst TIDAL erfolgte, an der die Sängerin und Ehegatte Jay-Z beteiligt waren. Die Veröffentlichung sollte ihrer Plattform einen Boost geben. Mitte der Zehnerjahre waren solche "Exclusives" in der Breite nicht ungewöhnlich, wurden dann aber von der Musikindustrie aufgegeben: Auf einer Plattform mehr Einnahmen zu generieren, lohnte sich offensichtlich doch nicht so sehr, wie gleichzeitig durch alle Services Gelder zu generieren.
Sollte "Streaming 2.0" allerdings zukünftig mehr auf Angebote wie den The-Weeknd-Konzertfilm zurückgreifen, um kaufkräftiges Publikum noch fester an sich zu binden, könnte das vergleichbare Effekte nach sich ziehen. Die Plattformen würden wieder stärker miteinander in Konkurrenz treten. Den regulären Musikkatalog wird das nicht betreffen, wohl aber könnten auf Superfans-Bedürfnisse zugeschnittene Angebote miteinander konkurrieren: Hier der The-Weeknd-Film auf Spotify, dort das Billie-Eilish-Konzert auf Amazon Music.
Welche Perspektiven bietet "Streaming 2.0"?
Hinsichtlich bestimmter UMG-Stars könnte dies zumindest in einem gewissen Umfang ähnliche Effekte nach sich ziehen, wie sie seit geraumer Zeit auf dem Video-Streaming-Markt zu beobachten sind. Wer Netflix-Shows will, muss zu Netflix, wer Disney-Filme gucken möchte, muss schon in Disney+ investieren. In die Röhre schauen dürfte das Publikum, das den ARPU durch die Kombination verschiedener Streaming-Abos deutlich erhöhen müsste. Ob das allerdings wirklich im Sinne von UMG oder auch den Plattformen, die sich selbst damit mehr Druck aufbauen würden, wäre?
Sicher ist bisher zumindest, dass im Selbstvertrieb veröffentlichte Künstler:innen und der Mittelstand der Musikwelt von alledem nur wenig haben werden. Durch die Deals von UMG mit Spotify und Amazon Music erhöht sich mit der Sichtbarkeit der Universal-Artists auch der Konkurrenzdruck auf die Kleinen. Die sind dann umso mehr gezwungen, von Features wie Discovery Mode oder Marquee Gebrauch zu machen – also entweder auf Tantiemen zu verzichten oder der Plattform direkt Geld zu schicken –, um weiterhin präsent zu bleiben. In diesem Sinne ist "Streaming 2.0" dann nur die neueste Iteration des alten Sprichworts: Am Ende gewinnt immer die Bank.
Was sonst noch wichtig war:
Ampwall ist eine neue Plattform, die die Funktionen von Bandcamp mit dem Geschäftsmodell von SoundCloud zusammenbringt: Sie ermöglicht den Verkauf digitaler Musik und basale Streaming-Funktionen. Zur Finanzierung des Dienstes setzt dieser auf Abonnements von Bands und Labels, die wie auf SoundCloud also die Plattform tragen und mit ihrem Beitrag mindestens fünf Stunden Upload-Zeit erwerben. Die Argumentation: Das Geschäft durch solche regelmäßigen Beiträge am Laufen zu halten, würde Ampwall von den reinen Verkäufen unabhängig machen, die auf Bandcamp einige ungute Dynamiken losgetreten haben. Die Musiker:innen profitieren im Gegenzug von vergleichsweise moderaten Verkaufsgebühren. Hinter Ampwall steht eine sogenannte Delaware Public Benefit Corporation, in den Grundzügen vergleichbar mit einer gGmbH.
Bandwagon hingegen setzt als App für Musikentdeckungen auf die offenen Strukturen des Fediversums, um den zentralisierten Streaming-Services Konkurrenz zu machen. Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen, aber für Künstler:innen ist der Zugang derzeit noch umsonst und einige Funktionen sollen es dauerhaft auch bleiben. Die Idee, dem Publikum einen zentralisierten Zugang zu voneinander unabhängig verwalteten und doch miteinander verknüpften Instanzen zu geben, hat meiner Meinung nach viel Potenzial.
Berlin und zu gewissen Teilen auch Köln und München wird knapper haushalten. Das trifft die Kultur: 130 Millionen Euro weniger werden dafür in der Hauptstadt zur Verfügung stehen. Allein das unter anderem für die Förderung lokaler Künstler:innen und Veranstalter:innen zuständige Musicboard verliert 300.000 Euro und damit ein Zehntel seines Budgets, was eventuell auch die von der GmbH mitgetragene Clubcommission treffen könnte. Dazu werden Musikfestivals im kommenden Jahr mit 600.000 Euro weniger gefördert. Dies betrifft konkret das Atonal, XJAZZ sowie die Modellfläche TXL. Neben der kompletten Streichung des Diversitätsfonds wird auch die Förderung von Arbeitsräumen dezimiert, was letztlich in der Abschaffung der Kulturraum Berlin gGmbH münden wird. Allein das sendet in einer Stadt, in der Raum knappes Gut und Spekulationsobjekt zugleich ist, ein fatalistisches Signal. Zwar war der Kulturetat zuletzt höher als je zuvor, angesichts einer dreijährigen Inflationsspirale handelte es sich bei den Aufstockungen um nicht mehr als einen Ausgleich. So richtig es sein mag, dass gespart werden muss, und so verständlich es wirkt, dass die Kultur mit größeren Einschnitten rechnen muss als Sozialleistungen, auf die sehr viele Menschen angewiesen sind: Entgegnen ließe sich dem, dass die Unterstützung von und sogar Investitionen in die Kulturlandschaft auf lange Sicht wirtschaftlich lohnenswert sein könnte. Niemand kommt in diese Stadt, um sich den Amazon Tower anschauen, für die Clubszene und das breite kulturelle Angebot aber sehr wohl. Willkommen in der Ära "arm und unsexy".
Boiler Room wurde – schon wieder – verkauft. Nachdem der Mediendienst im Jahr 2021 von DICE übernommen wurde, hat nun Superstruct dem Ticketing-Service die Marke für eine ungenannte Summe abgenommen. Superstruct richtet Festivals wie unter anderem die der DGTL-Marke und Wacken aus und wurde selbst vor Kurzem durch die Investment-Firma KKR aufgekauft. Finanzkapitalismus ist schon was Wildes.
Chora ist eine neue Plattform, die … Ja, das ist (noch) schwer zu sagen. Laut Selbstbeschreibung handelt es sich um "first social marketplace for music, built by and for musicians and music lovers", was ebenso flashy wie vage klingt. Dahinter steht laut Impressum eine Firma namens Memory Bureau, LLC, die allerdings in den gängigen Datenbanken nicht gelistet ist. Laut diversen Posts auf dem Instagram-Kanal von Chora scheint allerdings der Produzent Telefon Tel Aviv involviert zu sein. Die Voranmeldung für den Service ist bereits möglich.
Die Clubkrise verschärft sich zunehmend. Die zuletzt von LiveKomm und der Berliner Clubcommission veröffentlichten Umfragewerte sind gelinde gesagt katastrophal, Besserung aktuell nicht in Sicht – und der Winter gilt als harte Saison. Der Tresor.West in Dortmund, der Geheimclub in Magdeburg und das erst kürzlich in Leipzig als mjut-Nachfolge gestartete DUQO haben mittlerweile um Hilfe gerufen. Die Kollegin Vahid-Moghtada hatte zuletzt für den Jahresrückblick im DJ LAB die Gesamtsituation aufgearbeitet. Da hilft es erstmal wenig, dass irgendein Start-up-Heini die Räumlichkeiten des Instituts fuer Zukunft neu bespielen will.
DistroKid hat 37 Angestellten und damit etwa einem Viertel seiner Belegschaft gekündigt. Der Digitalvertrieb ist Marktführer, doch mit dem zunehmenden Erfolg von Believes TuneCore und dem zunehmenden Aufkauf von Vertrieben wie [PIAS] und CD Baby durch UMG setzt das Unternehmen wohl auf "cut to grow". Wer die eigene Musik über DistroKid vertreibt, darf wohl von dessen Kundenservice in Zukunft nur noch wenig erwarten. Pikant auch: Die Kündigungen betrafen ausschließlich Angestellte, die sich gewerkschaftlich organisiert hatten.
Der EMIL_ ist ein neuer, vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT) zusammen mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth verliehener Preis für herausragende Schallplattenfachgeschäfte. Klingt erstmal egal, ist es aber nicht: Auch Plattenläden steuern wegen der steigenden Vinylpreise auf eine handfeste Krise zu. Statt bloßer Anerkennung wird durch den EMIL_ hartes Cash verteilt. Unter anderem Institutionen wie Optimal in München, Sound Metaphors in Berlin und Groove City Records in Hamburg erhielten jeweils 15.000 Euro, an das VARY in Leipzig sowie Fatplastics in Jena gingen sogar 25.000 Euro.
Die GEMA geht vor Gericht und verklagt OpenAI mit der Begründung, "geschützte Songtexte von deutschen Urheberinnen und Urhebern wiederzugeben, ohne dafür Lizenzen erworben beziehungsweise die Urheberinnen und Urheber der genutzten Werke vergütet zu haben". Kurz darauf legte die Verwertungsgesellschaft mit einer ähnlich gelagerten Klage gegen Suno nach, diesmal geht es direkt um die Musik. Das wird spannend.
Hamburg hat seine Förderung für Clubs und Live-Spielstätten für die kommenden zwei Jahre fast verdreifacht. Nachdem zuletzt aus der Stadt diesbezüglich einige Hiobsbotschaften aus der Szene zu hören waren, setzt das ein starkes Signal – auch Richtung Berlin (s. o.). Der Senat will darüber hinaus bürokratische Hürden minimieren und erwägt weitere Aufstockungen in Zukunft. Das ist durchaus auch wirtschaftsstrategisch klug von der Hansestadt: Ein regeres Kulturleben könnte den Tourismus ankurbeln und damit der Haushaltskasse langfristig zugutekommen.
Mirlo ist ein genossenschaftlich betriebener Marktplatz à la Bandcamp, der sich meiner Auffassung nach immer weiter mausert und unbedingt Unterstützung verdient hat – allein schon, weil die Gewinnmargen höher sind als bei der Konkurrenz. Im Oktober kündigte das Team an, bald Funktionen zum Verkauf von Merchandising beziehungsweise Tonträgern auszurollen.
Nina ist ein ursprünglich als NFT-Plattform gelaunchter Marktplatz für digitale Musik (ja, ja, wie Bandcamp), der nunmehr auch als iOS-App zu haben ist.
SoundCloud wurde doch nicht, wie zuvor gemunkelt, bis zum Jahresende verkauft. Stattdessen wurden unter anderem neue KI-Tools für Künstler:innen ausgerollt und ein neues Abo-Modell für ebenjene eingeführt, durch welches sie recht kostengünstig ihre Musik vertreiben können. In Zeiten zunehmender Konsolidierung des Vertriebsmarktes die Konkurrenz zu unterbieten ist natürlich nicht unklug. Vor Kurzem habe ich im DJ LAB die wilde Berg- und Talfahrt dieses Unternehmens seit seiner Gründung niedergeschrieben.
Spotify hat gezielt die Musik von sogenannten Fake beziehungsweise Ghost Artists in Playlists platziert, nachdem die Stücke von Gebrauchsmusikanbietern wie Firefly Entertainment und anderen Library-Music-Lieferant:innen für günstige Konditionen lizenziert wurden. Das interne Programm hört auf den unschönen Namen Perfect Fit Content ("passgenauer Inhalt"), wie Recherchen von Liz Pelly ergaben, die damit seit gut zehn Jahren zirkulierende Gerüchte bestätigten. Bei Pellys im Harper’s erschienenen Text "The Ghosts in the Machine" handelt es sich um ein Kapitel ihres Buchs Mood Machine: The Rise of Spotify and the Costs of the Perfect Playlist, das an dieser Stelle als jetzt schon bestes Musikbuch des Jahres empfohlen sei. Obgleich die Veröffentlichung von "The Ghosts in the Machine" dem PR-Team von Spotify die Feiertage versaut haben dürfte, geht es dem Unternehmen blendend: Sofern die bald zu erwartenden Zahlen für das vierte Quartal erneut grün sind, wird es 2024 als sein erstes profitables Jahr seit Gründung anno 2006 abschließen. Den Börsenkurs freut das, bisweilen knackte SPOT sogar die 500-Dollar-Marke. Grund genug für die Gründer Daniel Ek und Martin Lorentzon, mal ein paar Aktien abzustoßen und den Geldspeicher mit dreistelligen Millionenbeträgen zu fluten – ein kleines Polster für harte Zeiten, ihr wisst schon. Wer dank des Tantiemenrechners Unwrapped errechnen wollte, wie viel Geld eigentlich unabhängige Künstler:innen durch die Plattform verdienen können, hatte nicht lange die Gelegenheit: Spotify schickte seine Rechtsabteilung los und ließ die Website sperren. Auch übrigens spendete Spotify Geld für die Vereidigungszeremonie von Donald Trump und lud, wo man schonmal in Washington D.C. war, gleich ein paar rechte bis rechtsextreme Goblins zum Essen ein. Wetten, das hat mehr gekostet, als eure Lieblingsproduzentin über die Plattform je verdient hat? Ich freue mich schon auf den nächsten "Loud & Clear"-Bericht.
TIDAL hat Stellen abgebaut. Angeblich hundert Angestellte verloren ihren Job bei der Streaming-Plattform, die zu Jack Dorseys Firma Block gehört. Nach ersten Entlassungen Ende 2023 war dies die bereits zweite Kündigungswelle innerhalb eines Jahres. Tatsächlich depriorisiert Block den Service laut einem Rundschreiben an Investor:innen, um stattdessen mehr Aufmerksamkeit in … Bitcoing-Mining zu stecken. Es klingt fast so, als könnte die Plattform bald Geschichte sein.
TikTok wurde vor die Wahl gestellt: Verbot oder Verkauf. Der Mutterkonzern ByteDance wollte schätzungsweise seine mächtigste Marke nicht einfach an ein paar dahergelaufene Milliardärsrotten abgeben, weshalb die App in der Nacht vom 18. auf den 19. Januarplötzlich Schwarz zeigte. Nur für ein paar Stunden allerdings: Donald Trump versprach nämlich, dem Verbot etwas entgegenzusetzen. Bisher kam es per Verfügung des US-Präsidenten zu einem Aufschub, der ByteDance mehr Zeit für einen Verkauf gibt, allerdings kann das Gerichtsurteil als solches nicht rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus haben Apple und Google die App dort nicht wieder in ihre Stores hinzugefügt, weshalb der App vermutlich wegen all der Unsicherheit gerade massenhaft Publikum abläuft. Heißt? TikTok ist in den USA vermutlich auf die eine oder andere Art bald Geschichte. Good riddance! Die Kurzvideoschleuder hatte sich in der Indie-Musikwelt zuvor keine Freund:innen gemacht: Nachdem TikTok vor der Katalogmacht von UMG einknickte und einen neuen Lizenzvertrag mit dem größten der Big Three verhandelte, ließ TikTok den des Merlin Networks – die Agentur für digitale Rechte von hunderten von Indie-Labels – schlicht auslaufen. Die Begründung ist dieselbe, auf die derzeit alle für alles vorschieben: Streaming-Manipulation! Stattdessen legte TikTok den von Merlin vertretenen Labels separate Verträge vor, natürlich mit schlechteren Konditionen. Das setzt selbstverständlich künstlichen Plays einen Riegel vor und ist nicht etwa als Sparmaßnahme und Machtdemonstration zugleich zu verstehen – trust me, bro! Nachdem TikTok außerdem seinen erst kürzlich lancierten Audio-Streaming-Dienst TikTok Music einstampfte, setzt es stattdessen zunehmend auf die Integration anderer Dienste wie zum Beispiel Apple Music. Um der Musikindustrie doch nicht allzu weit entgegenzukommen, zeigt die App mittels des Ausbaus seines Vertriebs SoundOn dann noch Ambitionen, zu einer Art Metalabel zu werden, wie Spotify es einst – vergeblich – versucht hatte. Nachdem im zurückliegenden Jahr 13 der 16 größten Billboard-Hits in den USA angeblich in Verbindung mit TikTok-Trends viral gingen (Quelle: TikTok selbst und daher potenziell zweifelhaft), könnte das ja ein einträgliches Geschäft werden. Außer in den USA dann wohl, dem größten Musikmarkt der Welt. Hm, tja.
Der Vinyl-Boom ist vorbei! Das zumindest meldeten einige internationale Outlets ausgehend von einer Nachricht des Branchenmagazines Billboard, das die Verkaufszahlen für 2024 aus den USA meldete. Es hatte nur niemand das Kleingedruckte gelesen: Das Marktforschungsunternehmen Luminate – gehört wie Billboard übrigens zur Penske Media Corporation – hatte vor einer Weile schon angekündigt, die Erhebungen unter Indie-Plattenläden drastisch einzuschränken, was viel Kritik nach sich zog und logischerweise in niedrigeren Zahlen resultiert. Allerseits wurde heftig zurückgerudert und am Ende hat sich doch niemand zu fragen getraut: Kann’s vielleicht sein, dass diese Zahlen vor allem die Verkäufe von unabhängigen Plattenläden noch nie adäquat abgebildet haben und am Palaver um den "Vinyl-Boom" nur auf Taylor-Swift-Ebene etwas dran war? Billboard hat die Erfassung von Vinyl- und CD-Verkäufen in seiner "Market Watch"-Sektion über das ganze Chaos zumindest ausgesetzt. Ein Vergleich mit Großbritannien deutet übrigens an, dass weiterhin immer mehr Geld für Schallplatten ausgegeben wird: Dort wurde im Vergleich zu 2023 im zurückliegenden Jahr zehn Prozent mehr Einnahmen mit Vinyl gemacht. Wie immer sind auch diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen: Am wahrscheinlichsten ist es, dass diese Gelder durch überteuerte Major-Label-Platten umgesetzt wurden.
Die Warner Music Group (WMG) hat Cloud 9 gekauft, die niederländische Label-Heimat von unter anderem Armin van Buuren, Scooter und Kylie Minogue, deren Verlag wiederum dem BEAT Music Fund von Armada gehört, dem Katalog-Investment-Vehikel von van Buuren also. Das seit 2017 zur WMG gehörende Label Spinnin’, das ab 1999 Großraum-Trance- und EDM-Stars wie Tiësto, Afrojack und Steve Aoki als Labelheimat diente, hat zwischenzeitlich seinen zweiten Mitbegründer verloren und ist nunmehr fest in WMG-Hand. Der Konzern verfestigt damit seinen direkten Einfluss auf Clubmusik im weiteren Sinne beziehungsweise auf breiterer Ebene. Der Erfolg gibt der von Robert Kyncl geleiteten Firma wohl recht, es geht steil aufwärts.
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