In diesem Jahr kamen nun auch die letzten nicht drumherum. Die Schlagzeilen über das Clubsterben dominierten nicht nur die News der Szene, sondern schwappten auch über die Bubble-eigenen Medien hinaus. Während also so einige Clubs ihre Pforten in diesem Jahr endgültig schließen mussten und werden, sind es Veranstaltungen wie die der diesjährigen Festivalwoche der Berliner Clubcommission, die die Bedeutung der Clubkultur hervorheben. Unter dem Motto "Beyond Tomorrow: Remaining Hopeful in Chaos" fand die fünfte Ausgabe zum Tag der Clubkultur statt. Es ging darum, die Relevanz des Nachtlebens zu beleuchten, deren Einfluss, ihre Perspektiven und vor allen Dingen zwischen all dem Chaos etwas Kraft und Hoffnung zu schöpfen.
Es ist der Tag der Deutschen Einheit, den das Land am dritten Oktober feiert. Und nicht nur das. Auch die Festivalwoche ging an diesem Donnerstag in die Eröffnungsphase. Während also tagsüber im Maaya der Auftakt des TdCs gefeiert wurde, lud noch am selben Abend die Groove zur Fundraiser Party in den Tresor ein. Auch sie kämpft ums Überleben, seit sie als unabhängiges Medium agiert. Keine drei Wochen zuvor kündigte das Watergate die Schließung an, ähnlich wie die Renate es in diesem Jahr tat. Es scheint also gerade eher ums Überleben zu gehen. Darum, zwischen Inflation, steigenden Kosten, mangelnder finanzieller Förderungen und schwindender Freiräume kleine Momente der Hoffnung zu erhaschen. Und diese kleinen Momente kreierten vom 3. bis 10. Oktober etliche Clubs und Kollektive und verteilten sie an den unterschiedlichsten Orten der Hauptstadt. Von Spandau bis Köpenick, von Lichtenberg bis Steglitz.
Bereits die Eröffnungsveranstaltung im Maaya, das die Räumlichkeiten des ehemaligen Haubentauchers beherbergt, lässt zu erkennen geben, dass es aus gegebenen Anlässen derzeit wichtiger denn je erscheint, Gemeinschaft zu kreieren und Perspektiven zu entwickeln. Und so lockte die Eröffnungsveranstaltung an diesem Tag nicht mit Häppchen, Sekt und Smalltalk-Gedöns, sondern zum Networken. Wie können wir die Entwicklung notwendiger struktureller Veränderungen fördern und langlebige clubkulturelle Räume schaffen? Und wie kann in Anbetracht der vielen wachsenden Herausforderungen die Clubkultur gestärkt und vor allen Dingen erhalten bleiben? Diese Fragen galt es, sich zu stellen und so lud die Clubcommission Menschen verschiedener Generationen und aus den unterschiedlichsten Bereichen dazu ein, gemeinsam zu denken, um Erfahrungen, Wissen und Lösungsansätze zu teilen und nachhaltige Strategien für die Zukunft der Szene zu entwickeln.
Ein Siegeslauf der Preisgewinner:innen
Bevor wir uns nun dem Programm der Festivalwoche widmen, müssen wir nochmal einen Monat zurückspulen, denn im September fand bereits im Festsaal Kreuzberg die Preisverleihung zum Tag der Clubkultur statt. Ausgezeichnet wurden Berliner Clubs und Kollektive für ihr besonderes Engagement und ihre kulturelle Arbeit mit Preisgeldern in Höhe von 10.000 oder 5.000 Euro. Aus über 185 Bewerbungen wählte das Kuratorium schließlich 40 Gewinner:innen. Jene Geehrten, aber auch viele weitere Kollektive und Clubs, präsentierten nun im Rahmen der Festivalwoche ein interdisziplinäres Programm aus unterschiedlichen Veranstaltungsformen – darunter Talks, Netzwerktreffen, Workshops, Konzerte, Drag Shows, Clubnächte, Lesungen und Ausstellungen. Es sind insbesondere intersektionale Communitys, die hierbei in den Fokus der Veranstaltungen gebracht wurden.
Klickt man sich durch das Programm der Veranstaltungswoche, so fällt auf, dass viele der angebotenen Events vermehrt zum Reden, Denken und Diskutieren einluden. Hier und da untermalten DJ-Set die Veranstaltungen, doch blieb das Tanzen eher im Hintergrund – eine Begleiterscheinung, die natürlich irgendwie dazugehört, wenn die Clubcommission zum Tag der Clubkultur einlädt, aber deren Praxis als solche nicht im Mittelpunkt stand. Vielmehr ging es darum, das Tanzen in Clubs zu bewahren, die Räume zu erhalten, in denen getanzt wird, um eben auch noch nach dem TdC dieselben Venues zum Feiern besuchen zu können, auf deren Floors und Barstühlen in dieser Woche vermehrt Panels und Dialoge stattfanden.
Kunst und Aktivismus, Aktivismus und Kunst
So feierte zum Beispiel das jüdische Drag-Queen-Kollektiv eine kunterbunte Cabaret Show in der queeren Berliner Bar Tipsy Bear Berlin. Das 2018 von den jüdisch-amerikanischen Künstler:innen Lolita Va Voom und Nana Schewitz gegründete Kabarett feiert jüdische Feiertage und Traditionen auf neue und alte Weise. Auch auf der Bühne der kleinen queeren Berliner-Kneipe ließen JEWS! JEWS! JEWS! an diesem Abend eine Show voller Drag und Burlesque entstehen, deren Message und Output mit Glitzer, Musik und Gesang verziert war.
Die Kreuzberger OYA Bar, die vom gleichnamigen queer-feministsichen Kollektiv geführt wird, lud im Rahmen des TdCs zur "CELEBRATE EVERY BODY NIGHT" ein. Körper und Identitäten, insbesondere deren Schönheit und Vielfalt, führten das Programm des Abends an. Mit politisch- und gesellschaftskritischen Beiträgen, denen es nie an Ironie und Humor fehlte, brachte das OYA Kollektiv ein vielfältiges Programm hervor, das den Abend mit Film-Screenings, DJ-Sets, Performances und Talks füllte. Dabei ging es um die Gefühle von Gemeinschaft, Freude und Hoffnung, diese zu verbreiten und einen Safe Space zu kreieren, der sich vor allem in clubkulturellen Kontexten etablierte und den es heute dringender als je zuvor zu bewahren gilt.
Auch das Black Sex Worker Kollektiv ließ im Berliner Veranstaltungsraum 90Mil Kunst und Aktivismus aufeinandertreffen. Mit der künstlerischen Darbietung Blach H'or Futurism brachte das Kollektiv den Kampf um Gleichberechtigung schwarzer Sexarbeiterinnen auf die Bühne. Auf performative Weise und in Form von Traumfragmenten einer schlafenden, schwarzen Sexarbeiterin wurden die Widerstandsfähigkeit, Diskriminierungserfahrungen, die Verdrängung und Rückgewinnung weiblicher, schwarzer Körper sowie Ungleichheiten thematisiert. Darüber hinaus setzt sich das Kollektiv auch außerhalb von schauspielerischem Aktivismus für die Entkriminalisierung schwarzer Diaspora und für die Sichtbarkeit und Vision der Black Sex Worker ein.
Des Weiteren konnten Besucher:innen im LARK einen Workshop zur Technik rund um Clubnächte besuchen, sich in der Paloma Bar das Auflegen mit Vinyl beibringen lassen oder auf dem vom ehemaligen Loophole kuratierten Punk-Konzert im 90mil tanzen. Im Aeden fand eine Sober-Party statt und im Archiv der Jugendkulturen ließen historische Zeugnisse aus den letzten 60 Jahren der Berliner Clubkultur Besucher:innen in die Vergangenheit reisen.
Der Austausch von Wissen, die Erinnerung an die Geschichte und die Auseinandersetzung mit Herausforderungen zogen sich durch die gesamte Woche des diesjährigen TdCs. Dabei ging es aber vor allem auch darum, den Input und Output einer bedrohten Clubkultur sowie deren Perspektiven und Erhalt auch an jene Menschen außerhalb der eigenen Bubble zu tragen. Dass etwas hinter Türsteher:innen und dicken Kellerwänden in der Hauptstadt zu wummernden Bässen geschieht, wurde durch das Programm der Festivalwoche greifbarer und zugänglicher. Die meisten Veranstaltungen waren kostenfrei, erstreckten sich über ganz Berlin und schufen Kontakt und Berührungspunkte für eine breite und generationsübergreifende Gesellschaft.
Bis wir erfahren, inwieweit die Nachwehen dieser Festivalwoche auch künftig spürbar sein werden, ob die Perspektiven und etlichen Diskussionen auch außerhalb der Venues erhört werden und wie wir den Herausforderungen unserer Clubkultur begegnen, wird wohl noch etwas Zeit verstreichen müssen. Fakt ist jedoch, dass es Projekte und Veranstaltungen wie diese braucht, um im Heute zu feiern, Morgen zu sichern und dabei Gestern nicht zu vergessen.
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