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The Third Room: Veranstalter Ahmet Sisman über die Absage des neuen Festivals
© Sander van den Ven

The Third Room: Veranstalter Ahmet Sisman über die Absage des neuen Festivals

Features. 26. August 2024 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Die Festivalkrise fordert weitere Opfer. Das Meeresrauschen und das Melt fanden in diesem Jahr zum letzten Mal statt, andere Festivals sagten kurzfristig ab. Ende Juli kündigte Ahmet Sisman gemeinsam mit dem Veranstaltungsteam von The Third Room an, dass nach einer weiteren geglückten Ausgabe des Festivals Stone Techno die kurz darauf geplante, erste Ausgabe des The Third Room Festivals in der Hattinger Henrichshütte doch nicht stattfinden würde. Im Interview gibt sich der Veranstalter diesbezüglich selbstkritisch. 

DJ LAB: Als Hauptgrund eurer Absage des The Third Room Festivals nennt ihr den schleppenden Vorverkauf. Was bedeutet das? 

Ahmet Sisman: Wir haben im Vorverkauf nur 55 Prozent der Tickets verkauft, um das Festival wirtschaftlich tragen zu können. Wir haben mit einem Post-Stone-Techno-Festival-Effekt gerechnet, der die Verkäufe in die Höhe treibt. Das ist zwar auch eingetreten, nur hat es am trotzdem Ende nicht gereicht. Laut der wirtschaftlichen Prognose hätte uns die Durchführung der Veranstaltung das Dreifache gekostet, als das Festival abzusagen.

Wie erklärt ihr euch, dass die Nachfrage unter euren Erwartungen lag?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Wenn es um die Faktoren geht, die in meiner Hand liegen, dann sind das vor allem zwei: Zum einen haben wir die Strahlkraft der Marke The Third Room überschätzt, zum anderen ist die erfolgreiche Projektumsetzung in einer strukturschwachen Region wie in Hattingen nicht einfach zu bewerkstelligen. Die Jahre davor waren unsere Tagesveranstaltungen in der Henrichshütte immer ein Verlustgeschäft. Die Vision war, ein zweites Festival aufzubauen, das genau wie das Stone Techno ein überregionales Publikum anspricht. Die Infrastruktur der Region ist allerdings dafür nicht ausreichend beziehungsweise attraktiv genug. 

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Wie lief das Stone Techno im Vergleich?

Es war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg. Darauf haben wir jahrelang hingearbeitet. Viele Künstler:innen und Gäste haben uns zum besten Techno-Festival Europas gekürt. Das bedeutet schon was und zeigt auch, dass man seiner eigenen Vision treu bleiben sollte. Der immense Erfolg des Stone Techno, der sogar meine eigenen Erwartungen übertroffen hatte, hat aber die nüchterne Einschätzung der The Third Room Festivals getrübt. Das sind zwei extreme Hochs und Tiefs gewesen. Solch eine Divergenz habe ich mit meiner langjährigen Erfahrung noch nicht erlebt. Am Ende liegt es in meiner Verantwortung, das Erfolgspotential eines Projektes besser antizipieren zu können. Ich bin ein Typ, der jedes Jahr besser werden will und insbesondere aus seinen Misserfolgen lernt. Den Prozess des 'Scheiterns' ins Positive zu wenden und für sich zu nutzen, spornt mich an. Der Erfolg fällt nicht einfach aus dem Himmel, das ist ein sehr langer und schwieriger Weg. Dementsprechend muss man sich über die Jahre ein dickes Fell aneignen.

Eure Absage ist nicht die erste und bleibt womöglich nicht die letzte der Saison. Zugleich melden Unternehmen wie Live Nation und CTS Eventim mit ihrem breiten Portfolio für Festivals mit Fokus auf den Mainstream-Geschmack Rekordumsätze. Wie nehmt ihr die Gesamtsituation wahr – vollzieht sich aktuell unter mittelgroßen und kleinen Festivals die 'Marktbereinigung', die in den letzten Jahren prophezeit wurde? Klafft die Schere zwischen den Branchenriesen und Festivals wie eurem weiter auseinander?

So leid es mir tut: Der Erfolg gibt einem Recht. Hier spielt meine persönliche Meinung als Kritiker des gesamten Systems der Musikindustrie nur eine untergeordnete Rolle. Der Markt bestimmt die Spielregeln, auch wenn diese zum Großteil nicht fair sind. Willkommen im wilden Kapitalismus. Man muss das System annehmen, es für sich nutzen und sich wortwörtlich eine Position in der Festivallandschaft erkämpfen. Das ist nichts für schwache Nerven. Leider ist unsere Szene nicht das hochgelobte Miteinander, wie man es gerne nach außen suggeriert. Ich beobachte seit Jahren die Entwicklung der Festivallandschaft und sie hat mit dem, was ich befürworte, nicht mehr viel zu tun. Es gibt einige Konzepte, die mich inspirieren – deren Erfolg beruht auf Authentizität und Geduld. Jedes Festival bekommt das Publikum, das es verdient. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Qualität am Ende durchsetzt, egal, wie schwierig die Marktbedingungen sind. Strategisches Agieren ist hier der Schlüssel.

Seit diesem Jahr soll der neu vom Bund aufgelegte und von der Initiative Musik umgesetzte Festivalförderfonds in Höhe von fünf Millionen Euro kleinen und mittelgroßen Festivals durch die Krise helfen. Hattet ihr euch beworben oder konntet ihr auf andere Förderungen zurückgreifen?

Ich habe mich mit Stone Techno für die Festivalförderung der Initiative Musik beworben und erst zehn Tage vor dem Festival eine Zusage bekommen. Ich freue mich über die Zusage. Nichtsdestotrotz hat die Bewilligung des Antrages knapp sieben Monate gedauert, obwohl die bürokratischen Hürden, verglichen mit den letzten Jahren, weniger geworden sind. Wir sind immer noch nicht an einem Punkt angekommen, wo der Staat die private Marktwirtschaft der Veranstaltungsindustrie wirklich verstanden hat und maßgeschneiderte Förderpakete anbieten kann. Hier braucht es einen engeren Austausch und eine neue, frische Herangehensweise. Die Veranstaltungsbranche ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor für Deutschland. Die Außenwahrnehmung ist dennoch eine andere. Leider setzen sich die Lobbys anderer Branchen besser durch, obwohl sie nicht die gleiche wirtschaftliche Bedeutung haben. Die gerechte Verteilung der Budgets innerhalb der Ministerien ist obendrein ein großes Thema.

Geht ihr aktuell davon aus, weitere Ausgaben von The Third Room und/oder Stone Techno ausrichten zu können?

Ich war eigentlich immer schon ein großer Kritiker der 'Bigger, Faster, Stronger'-Mentalität in unserer Musikindustrie. Zeitgleich muss ich zugeben, dass ich selbst in diese Turbo-Kapitalismus-Falle getappt bin. Ich bin aktuell der Meinung, dass weniger mehr ist. Es herrscht eine absolute Übersättigung des Marktes. Ich will eher Konzepte inhaltlich schützen und mich von diesen Trends emanzipieren. The Third Room ist ein Herzensprojekt und hier spielt das Verhältnis von Quantität zu Qualität eine entscheidende Rolle. Es geht einiges an Substanz verloren, wenn man in diesem wilden Markt exponentiell wachsen möchte. Neben einer neuen Ausgabe des Stone Techno wird es nächstes Jahr neue kleinere Projekte geben, aber kein zweites Festival. Das steht zurzeit nicht zur Debatte.

Welche Perspektiven seht ihr insgesamt für die Festivalbranche hierzulande?

Ich bin erst seit drei Jahren im Festivalgeschäft involviert und kann beim besten Willen keine Perspektive voraussagen. Dafür ist der Markt mit seiner darwinistischen Herangehensweise viel zu schnelllebig. Aber er muss sich neu kalibrieren. So, wie der Kapitalismus schon immer funktioniert hat, muss erst mal alles einstürzen und dann neu sortiert werden. Das ist der Fluch des exponentiellen Wachstums. Die Nachfrage nach Festivals und Tanzveranstaltungen wird es immer geben. Leute wollen zusammenkommen und eine schöne Zeit miteinander verbringen. Das Angebot wird sich dementsprechend anpassen müssen.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Ahmet Sisman , CTS Eventim , Festivalkrise , Henrichshütte , Initiative Musik , Live Nation , Stone Techno , Third Room

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