Tripbericht: Balance Club Culture Festival 2021 in Leipzig
Das eintägige Event Re:Balance markierte die Rückkehr des Leipziger Balance / Club Culture Festivals, das sich als Schnittstelle von progressiver Clubkultur und Gesellschaftskritik versteht. Das Festival fand im UT Connewitz unter 2G+-Auflagen indoor, und ohne Masken und Abstand statt. Die Macher:innen fanden sich inmitten eines dankbaren Publikums wieder, das die vier Performances von Odete, Lotic, M¥SS KETA und Elle Fierce, Vanessa A. Opoku und AUCO feierte und die Künstler:innen auf der Bühne frenetisch bejubelte. Mir taten – ja, wirklich! – nicht nur die Füße nach dem Festivaltag weh, sondern auch die Hände vom Klatschen. Denn: Es. war. so. krass. Genau diese Worte beschreiben das, was an diesem Abend passiert ist, am besten. Und das lag nicht nur an der großen Sehnsucht nach Indoor-Veranstaltungen nach der Corona-Pause.
Workshop, Vortrag und Konzert
Das Balance Festival umfasst seit der ersten Ausgabe 2018 auch Veranstaltungen, zum Beispiel Workshops, Artist-Talks und Filmscreenings, die abseits von Club- oder Konzertnächten angesiedelt sind. In diesem Jahr wurden ein Workshop von Emotional Labor Queen mit dem Titel „How to be kind to ourselves“ und ein Vortrag von Anjali Prashar-Savoie zum Thema „Radical Nightlife – Club Culture as a Strategy of Community Building“ angeboten.
Der Vortrag war als Screening den Live-Performances vorgeschaltet und handelte von Community, also Gemeinschaft, der Reproduktion kapitalistischer und rassistischer Züge inmitten unserer in Teilen als progressiv gefeierten Kulturlandschaft und dem Spannungsverhältnis von Partizipation und Konsum(ieren).
Prashar-Savoie stellt zur Diskussion, ob das oft benutzte Wort Community zum sinnentleerten Buzzword wird und viel eher eine bloße Idee von Gemeinschaft von Clubs verkauft wird, ganz wörtlich gemeint. Geschlossen wurde mit dem Appell, dass wir, als diejenigen, die am Nachtleben teilnehmen, kritisch diskutieren sollten und uns den vielen Gesichtern von Clubkultur bewusst sein sollten.
Clubkultur kann als Fluchtort, Musik- und Kunststätte, Ort für Vergnügen, Hedonismus, Tanz ebenso wie als Arbeitsort, intersektional-feministischer Raum – der trotzdem Zwang und Schmerz bedeuten kann – gesehen werden. Darüber hinaus trügen wir als Veranstalter:innen, Künstler:innen oder Besucher:innen eine Verantwortung, Clubbing besser, also inklusiver und feministischer, zu machen.
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Entdeckung des Jahres: Odete
Eine Zigarettenpause später, also eine Stunde, die sich ehrlicherweise wie ein Wimpernschlag anfühlte, begann der Boden zu vibrieren. Dieses Gefühl, die Vibration durch den Körper hindurch zu spüren, ist mitunter das Clubgefühl. Und da war es wieder, endlich. Wobei das UT in Connewitz, eigentlich ein historischer Kinosaal, weniger Club- als vielmehr Konzertvibes verströmt. Erst mal. Nach Odetes erstem Song schien die Raumatmosphäre sowieso völlig aufgelöst zu sein – so intensiv, einnehmend, entrückt und sphärisch war eben diese Performance.
Schnell kommt man bei einem schriftlichen Nachbericht in die Verlegenheit, oft genutzte, vielleicht schon leere Worte zu benutzen. Für Odetes musikalische Performance, Odetes Darstellung auf der Bühne und die gesamte Präsenz dieser Person(a) ist es schwer, überhaupt Worte zu finden. „Beyond words“, nicht ausschöpfend beschreibbar. Odete ist deshalb für mich persönlich die Musikentdeckung dieses Jahres – passend ist Odete eine:r der diesjährigen SHAPE-Platform-Künstler:innen. Odetes neues Album „The Consequences of a Blood Language“ ist ein absolutes Must-hear.
Anschließend spielten Lotic und M¥SS KETA, natürlich live. Lotics neues Album ‘Water’ wurde vorgestellt, dabei wurde geklatscht, nach Zugaben geschrien, andere hielten sich in den Armen. M¥SS KETA performte bildgewaltig und showlastig in Latex, Sonnenbrille und Maske und erinnert mich an eine Mischung aus Brooke Candy, dem Duo Schwefelgelb und Nathy Peluso – sexpositiv, energetisch; eine Künstlerin, die den Saal zum überkochenden Hexenkessel werden lässt, auf eine fantastische Art und Weise. Spürbar war dabei bei allem und allen die Dankbarkeit, die Energie, der Freiraum, das Interesse und die Versiertheit; sowohl auf Publikum- als auch Künstler:innenseite.
Eine Premiere als Finale
Als finale Performance traten Vanessa A. Opoku, Elle Fierce und AUCO gemeinsam auf und machten das Grande Finale zur Premierenshow – eine Fusion aus Licht, Musik und Tanzperformance. Die drei Künstler:innen arbeiteten seit September an dieser Premiere. Die Choreographie stand dabei gleichwertig der Musik und dem Licht gegenüber; das machte den gesamten Auftritt und den damit verbundenen Festivalabschluss sehr fühlbar, sehr emotional.
Das gilt auch für die drei Künstler:innen selbst, wie Elle Fierce nach dem Auftritt sagt: „It was a joy to share the work with Vanessa Opoku and AUCO, they are both such talented artists and to collectively work as BIPOCs is always something truly important to me. It comes with an innate understanding of one another and what comes out is, I believe, this strong emotional connection that was felt in the audience.”
Elle Fierce war als Performance Artist Teil aller bisherigen Festivaleditionen. Gerade arbeitet, tanzt, choreographiert und lebt Elle in Köln und ist Artist-in-residence an der Akademie der Künste der Welt. Auf die Entwicklung des Festivals angesprochen, durch und nach Corona, betont Elle, dankbar zu sein, das Festival auch dieses Jahr auf künstlerischer Seite mitgestaltet zu haben.
Und: “I value the festival a lot, as I feel it’s the only festival in Leipzig with a true advocacy for diversity, it’s where I as a black trans person feel respected and centered – which isn’t often the case – so for that I thank the team for their work. I know with the pandemic being a difficult thing to navigate in terms of cultural events, so I applaud the team because with each year the progress and development is so exciting and so needed in Leipzig.”
Danke, Balance Festival!
Um exakt 23:59 Uhr endete das Balance Festival 2021, zumindest formal. Die Fragen, Ideen, die Musik, die Atmosphäre und die Dankbarkeit, dieses Festival wieder real erleben zu dürfen, hallen noch nach. Wenn das die Clubmusik ist, die aus der Krise entstanden ist, dann möchte ich keine Minute davon verpassen. Danke an die Macher:innen des Festivals, die Unterstützer:innen und an die Künstler:innen, die Leipzig an diesem Abend zum Zentrum herausfordernder, neuer, experimenteller Musik und Erfahrungen gemacht haben.
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