Tripbericht: Heart of Noise 2023 – Nicer Sound im netten Dörfchen

Tripbericht: Heart of Noise 2023 – Nicer Sound im netten Dörfchen

Allgemein. 4. Juni 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

Der Festivalsommer läuft so langsam warm: Das Heart of Noise lud von 25. bis 28. Mai für einen Abstecher ins pittoreske Innsbruck. Zwischen Alpenglühen und Inn schafft das Festival spannende musikalische Gegensätze von Ambient über Noise und Rock bis Singeli.

In Innsbruck sind die Wiesen leuchtend grün und das Leitungswasser schmeckt so frisch und gut, dass uns Flachland-Stadtkindern aus den weniger idyllischen Ecken der Bundesrepublik nur noch die Tränen kommen. Innsbruck ist ein Ort, an dem die Welt zumindest noch heil zu sein scheint. Ein Ort, an dem Trekkingschuhe noch kein Stylemerkmal sind, sondern Funktionskleidung in ihrer ursprünglichsten Form.

Und dort, in malerischer Kulisse zwischen Inn, Alpenglühen und purem Landidyll, fand am letzten Mai-Wochenende zum nunmehr 13. Mal das Heart of Noise Festival statt – eine kleine, aber feine Festival-Koryphäe, wenn es um sorgsam wie wagemutig kuratierten Underground-Sound geht, der Genregrenzen nicht nur missachtet, sondern gekonnt sprengt. Das haben die Kuratoren Chris Koubek und Stefan Meister am Pfingstwochenende wieder einmal bewiesen. Wenn auch mit ausgedünntem Line-up – Pandemie, Krieg und Inflation sind auch im Herzen der Alpen zu spüren. Nach „Love Action“ im vergangenen Jahr stand die diesjährige Festivalausgabe unter dem Motto „War is stupid“. Dem kann man schwer widersprechen.

© Daniel Jarosch

Was das Booking angeht, wird das Heart of Noise gerne in einen Topf mit der Berliner CTM oder dem Unsound in Krakau geworfen. Dabei wirkt alles irgendwie unprätentiöser und entspannt. Die Leute kommen der Musik wegen, nicht der Coolness halber, und es ist komplett egal, ob das Outfit noch dasselbe ist wie bei der nachmittäglichen Bergtour über die Alpen-Nordkette.

Dieses Unprätentiöse spiegelt sich auch in der Kuration wider, die nicht nur einen Geschmack bedient, sondern ganz selbstbewusst Noise an Rock, Electroclash, Ambient, Singeli oder Drone reiht. Ikonen wie Swans oder Boris spielen in Innsbruck neben Mark Ernestus’ Ndagga Rhythm Force, Hatis Noit oder Puce Mary, und genauso viel Raum bekommen Neuentdeckungen wie etwa die in Teheran geborene und in Wien lebende Künstlerin Rojin Sharafi oder der Wiener Moritz Haberkorn, der unter dem Pseudonym Morast auf Noise, dekonstruierte Beats und Improvisation setzt.

Niederschwellig soll es sein, das betonen die Festivalmacher immer wieder. Und so wird beim Heart of Noise traditionellerweise auch ein Schwerpunkt auf Veranstaltungen im öffentlichen Raum gelegt. Die Nachmittagskonzerte am Samstag und Sonntag fanden auch in diesem Jahr wieder in einem imposanten offenen Pavillon im Innsbrucker Hofgarten statt – begleitet von Mutant Radio, einer Sound-Plattform aus der georgischen Partnerstadt Tiflis. Die Sets im Pavillon wurden allesamt auch aufgezeichnet und können über die Mutant-Website nachgehört werden.

Vor einem DJ-Set der Mutant-Mitgründerin Nina Botchorishvili aka Ninasupsa, die Resident im legendären Tifliser Club Bassiani ist, spielen Awwwara. Die Gruppe mischt kaukasische Musiktradition und Folklore, allen voran zwei Trommeln, mit elektronischen Elementen. Und wer jetzt denkt: „Hab ich doch schon zig Mal gehört!“, dem sei gesagt: Nope, Awwwara machen alles anders und vor allem machen sie eines: Spaß. Da wird anschließend der Sprachbarriere zum Trotz (Teile der Gruppe sprechen nur Georgisch) noch zwei Stunden gemeinsam am Tisch über die besten Drummer der Welt sinniert, und, als die Worte dann doch ausgehen, mit Händen, Füßen, Bierflaschen und Feuerzeugen weitergetrommelt.

Hüma Utku live / ©

Am Sonntag gehört der Pavillon Künstlerinnen und Künstlern aus Österreich. Klares Highlight ist Rojin Sharafi. Die Künstlerin sorgt mit ihren Kompositionen aus Noise, Ambient und traditioneller persischer Musik für minutenlangen Applaus – und ist sichtlich gerührt. Danach macht der Wiener Moritz Haberkorn aka Morast ordentlich Krach und Laune.

An allen Festivalabenden geht’s indoor im Treibhaus weiter – und es bleibt musikalisch gegensätzlich. Der Freitag beginnt ruhig mit Cucina Povera und Ben Vince und wird anschließend dronig düster mit Hüma Utku, die ein leicht variiertes Liveset ihres dystopischen Albums ‘The Psychologist’ spielt, begleitet von trippigen Visuals des Künstlers Utku Önal.

Ganz anders die Stimmung am Samstag: „Sie haben ein ganz nettes Dörfchen hier, let’s go skiing“, Swans-Frontmann Michael Gira fasst das Innsbruck-Feeling zur Begrüßung grinsend zusammen. Was dann folgt: Zwei Stunden lang schnörkelloser Rock in Reinform, den Swans in Perfektion beherrschen. Es wird vor allem eines: laut. Und Swans wirken wie ein Gegenstück zum immer schneller, immer ungeduldiger werdenden TikTok-Sound. Die teilweise zehnminütigen Songs bauschen sich langsam und behäbig zu einem endlos wirkenden Strudel auf.

„Krass, wie sie es schaffen, dass es trotzdem nicht langweilig wird“, hört man aus den Reihen des Publikums. Während die einen zum wellenhaften Sound wogen, ziehen andere auf den Emporen des Venues die Trekking-Sneaker aus, um es sich gemütlich zu machen. Michael Gira wirft ab und an eine Minzpastille ein, dirigiert den Rest der Band durch den Abend und wirkt dabei wie ein Zaubermeister, der gestikulierend einen Trank anrührt. Gira ist zweifelsohne der Boss auf der Bühne – aber der Zaubertrank scheint seine Wirkung im Publikum zu entfalten.

Anschließend streitet man darüber, ob das Swans-Konzert nun DIE Show des Lebens war oder nicht vielleicht doch die von Bendik Giske, der anschließend ein super softes und fragiles Konterstück zum Swans-Geschrammel präsentiert. Balsam für die trotz Earplugs klingelnden und fiependen Ohren.

Boris live / © Daniel Jarosch

Wer dann noch Kraft hat, wandert eine Etage tiefer. Im Treibhaus-Keller fordern der tansanische Producer Jay Mitta und die MC Kadilida, zwei Artists aus dem Nyege Nyege Umfeld, die müden Beine zum Mithalten auf. Und das heißt: High Speed zu Singeli. Und auch da wird eines wieder deutlich: Es geht ums Neuentdecken und Spaßhaben. Scheißegal, wie man bei der Suche nach dem Singeli-Takt aussieht. Die Leute kommen der Musik wegen und lassen sich auf Unbekanntes ein. Ob das nun afrikanischer Clubsound ist, noisy Klangkunst aus Österreich oder Artrock aus Japan.

Das Heart of Noise ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Festival zum Wohlfühlen. Keinen Kilometer vom Treibhaus entfernt grasen Kühe auf einer Weide. Wer im Airbnb nebenan schläft, wird von einem dezenten Muhen aus dem Tiefschlaf zur Abreise geweckt. Dann ein letzter Schluck kaltes Leitungswasser. Und eines ist sicher: See you next year, Innsbruck!

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