Tripbericht: Krake Festival 2023 – Opening
© Peter Lorenz

Tripbericht: Krake Festival 2023 – Opening

Allgemein. 22. Juni 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Das Krake Festival feierte am Mittwoch zur berlinweiten Fête de la Musique im House of Music seinen Auftakt. Ein Panel sowie Auftritte von Choolers Division, Bläck Dävil und Elke machten das Hauptprogramm des Abends aus. Dass dieser dezidiert inklusiv konzipiert war, machte natürlich einen Unterschied. Aber zugleich auch gar nicht.

Der Schriftsteller Paul-Henri Campbell hat vor einigen Jahren in Anlehnung an das Konzept der Heteronormativität den Begriff der "Salutonormativität" geprägt: "Alles ist von und für gesunde Menschen gedacht, die Institutionen, die Metaphern, die Vorstellungen des gelingenden Lebens, unsere religiösen Kategorien", schrieb er. Salutonormativität ist zugleich unausgesprochenes Leitprinzip einer Welt, die sich an einem idealisierten Zustand der "Gesundheit" orientiert, wie sie Ausdruck einer bestimmten Ideologie ist, die sich in den Gegebenheiten ebenso ausdrückt, wie sie sie untermauert.

Was Salutonormativität zum Beispiel bedeuten kann, sind Stundenlöhne von durchschnittlich 1,46 Euro. Das ist gerade mal ein Achtel des gesetzlichen Mindestlohns. Ausgezahlt wird dieser Lohn in Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten. Die dahinterstehende Annahme lautet pauschal, dass diese nicht dieselbe Leistung erbringen können wie "gesunde" Menschen, nicht denselben Wert erzeugen wie sie. Das bedingt, dass Menschen mit Behinderung von zahlreichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen werden, weil ihnen das nötige Geld dafür fehlt. Was umso mehr den Eindruck verstärkt, sie wären nicht in die Gesellschaft integriert. Das verstärkt den Ausschluss und verbaut die Perspektiven, weil es Zusammenschlüsse und kollektive Organisation erschwert.

Musik kann diesbezüglich wenig ausrichten, weil in der Musikwelt dieselben Mechanismen greifen. Tatsächlich könnte Clubkultur als nahezu perfekte Fallstudie für salutonormative Strukturen herangezogen werden. Das fängt damit an, dass so ein Rave immer auch körperlich anspruchsvoll ist und endet da aber noch lange nicht. Viele Clubs haben nicht einmal die Infrastrukturen, um Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, überhaupt Zugang zu garantieren. Bei anderen stellen sich die Probleme noch früher, etwa an der Tür: Kannst du ad hoc "richtig" antworten, wenn dir am Einlass eine Frage gestellt wird? Siehst du so aus, wie die Tür es für "korrekt" hält?

So gerne auch über marginalisierte Positionen oder Diversität gesprochen wird, bleibt es um das Thema Behinderung weitgehend still. Daran ist niemand im Einzelnen schuld, das will sicherlich auch niemand. Und doch spiegelt sich darin der Status quo einer Gesamtgesellschaft, zu der Clubkultur eigentlich einen Gegenentwurf anbieten wollte.

Schwellen abschleifen

Das Krake Festival versucht schon seit geraumer Zeit, diese vielen unsichtbaren Schwellen abzuschleifen, ganz gleich, ob sie sich auf dem Boden finden oder doch in den Köpfen der Menschen. Leicht ist das keineswegs, auch wenn das Team es so aussehen lässt. So auch am 21. Juni 2023 auf dem Berliner RAW-Gelände. Heute ist Sommersonnenwende, wichtiger aber noch: Fête de la Musique. Die Stadt brummt und klingt lauter als sonst, überall ist irgendwas los und die meisten sind schon komplett betrunken. Sensorischer Overload und dicht gedrängte, unkontrollierbare Menschenmengen: Das Setting allein ist empathiefördernd.

Vor dem House of Music jedoch ist alles entspannt. Der Film 'Crip Camp: A Disability Revolution' wurde bereits gezeigt, drinnen wird nun diskutiert, während Purita D draußen Funk und Disco auflegt – latent gut gelaunte und sonnenzugewandte Musik, wie sie eigentlich mit dem Electro-infizierten Nachtschattengewächs Krake eher weniger in Verbindung gebracht wird. Das heute ist hier aber nur der Auftakt des vom Label KilleKill veranstalteten Festivals, am Samstag und Sonntag geht es mit einem Konzert- und Club-Marathon im About Blank weiter. Wie heute wird das Line-up inklusiv sein, das heißt, Menschen mit und ohne Behinderung sind darauf gleichermaßen zu finden. Dazu bietet das Festival an diesem Weekender vergünstigte Tickets und Betreuungsangebote.

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Projekte wie das Krake und das von KilleKill im Verbund mit der Lebenshilfe e.V. initiierte inklusive Musikprojekt Ick Mach Welle haben zweifelsfrei Modellcharakter. Doch sind sie nicht die einzigen ihrer Art. Auf dem Panel befragt Journalistin Amy Zayed der Reihe nach Menschen von verschiedenen Institutionen und inklusiven Projekten zu ihrer Arbeit. Dabei geht es um die inklusive Party-Reihe Spaceship im Mensch Meier und das an diesem Abend von Daniel Vais repräsentierte britische Kollektiv Drag Syndrome – Menschen mit Trisomie 21, die sich gerne in Vogue-Pose schmeißen und das auch am Samstag im About Blank tun werden.

Mit auf dem Panel sitzt mit Maureen Noe vom Musicboard Berlin eine der zentralen Ermöglicher:innen von Projekten wie dieser extra-inklusiven Ausgabe des Krake Festivals. Das Musicboard ist ein privates Unternehmen, wie es der Staat gerne mit Geld überschüttet, damit es in seinem Namen Kultur fördert und ihn im Gegenzug davon erlöst, strukturelle und gesellschaftliche Transformationsprozesse – wie etwa eine insgesamt inklusivere Gestaltung des öffentlichen Lebens – anzustoßen. Die hinsichtlich des Themenkomplexes Inklusion durchaus als vorbildlich zu nennende Arbeit einer Förderinstitution wie dem Musicboard ist aber immer projektbasiert und kann deshalb kaum nachhaltige Veränderungen bewirken. Sie wird dadurch zur Sisyphusarbeit. Und der durchschnittliche Stundenlohn in den Werkstätten bleibt bei 1,46 Euro, während sich die Politik damit brüstet, wie progressiv und aufgeschlossen sie doch ist.

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Dieses strukturelle Grundübel schwingt während des Gesprächs im Raum mit, doch mehr noch steht die konkrete Praxis in der Kulturbranche auf der Tagesordnung. Während Zayed mehr Sexiness von inklusiven Partys fordert, berichtet Vais von Boykotten der US-Auftritte von Drag Syndrome und bösen Kommentaren in den sozialen Netzwerken, den direktesten und hässlichsten Ausprägungen der Salutonormativität. Dass diese sich strukturell gar nicht so anders gestaltet als die herkömmliche Heteronormativität, kann LCavaliero Mann von der Berliner Club-Institution SchwuZ nur bestätigen: Die Rechtfertigungen mögen anders lauten, die Gründe für und die Mechanismen der Ausschlüsse sind einander indes gar nicht unähnlich.

Die Banalität der Ausnahme

Das Krake Festival will dem an diesem Abend und insgesamt eine Durchlässigkeit entgegenstellen, die durch die Lage des House of Music in der abgelegensten Ecke des RAW-Geländes trotz Fête de la Musique nicht unbedingt begünstigt wird. Doch immer wieder verirren sich Menschen dorthin, schauen sich um und lauschen kurz dem Treiben auf der Bühne. Die meisten gehen irgendwann wieder, viele andere bleiben eisern vor Ort, weil sie eben wegen dieses Events, des dahinterstehenden Gedankens und des Programms gekommen sind.

Bemerkenswert ist all das höchstens, weil es in seiner Banalität eine Ausnahme bildet: Die Berührungsängste mit dem Thema Behinderung sind groß, es will ja niemand etwas Falsches sagen oder tun. Das ist verständlich, aber diese Art von Scheu ist deshalb eine falsche, weil sie den Ausschluss nur befördert. Meistens finden sich im Publikum von inklusiven Veranstaltungen Menschen, die mit dem Thema irgendwie persönlich zu tun haben. Auch das ist so ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss. Die belgische Gruppe Choolers Division zeigt ein bisschen, wie es gehen könnte. Mit knarzigem Noise-Rap à la Anticon etwa, hin und wieder garniert von Acid-Spritzern oder einem Dembow-Rhythmus. Dazu machen zwei MCs eine Show und gehörig Laune.

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Kostia Botkine und Philippe Marien breakdancen, setzen sich Lucha-Libre-Masken auf und rufen einen Gast für ein Spontan-Feature auf die Bühne. Sie haben übrigens auch das Down-Syndrom. Das ist in dieser knappen Dreiviertelstunde ebenso egal wie wichtig, weil es die Musik weder besser noch schlechter macht, der Sound aber auch damit arbeitet und darauf reagiert. Die charakteristischen klanglichen Eigenschaften ihrer Stimmen werden mit Effekten in Szene gesetzt und ein verschliffener Flow auch mal mit Dub-Methoden ins Gesamtklangbild integriert. Aus dem vermeintlichen Bug wird ein Feature.

Die Leute lieben das und sie tun das natürlich auch aus anderen als rein musikalischen Gründen. Aber die bräuchten sie gar nicht. Euphorie, Applaus, ein Rap-Konzert geht zu Ende.

Eine andere Musikwelt ist möglich

Mit Bläck Dävil übernimmt ein Techno-Produzent. Nicht wenige Besucher:innen sind schon weitergezogen, es gibt ja auf der Fête de la Musique noch einiges zu sehen und morgen steht wieder die Arbeit an. Werner Soyeaux lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sein Sound ist wie auf seiner am heutigen Tag erscheinenden Debüt-EP 'Schnäll Schnäll' auf Rave gebürstet, scheint aber noch etwas melodiöser als die Platte angelegt, dem Setting eines lauen Sommerabends angepasst. Als Elke die Decks übernimmt, hat sich das Feld noch weiter ausgedünnt. Zu ihrem luftig-breakigen Set tanzt nur noch der harte Kern, das aber mit Verve.

Kurzum: Es ist einfach ein herkömmlicher Abend in Berlin zur Fête de la Musique, der hier im House of Music nach Mitternacht zu Ende geht. Keine weltbewegenden Highlights, keine wirklichen Tiefpunkte, eben einfach ein bisschen Musik und ein paar gute Gespräche auf der Bühne und vor der Tür. Und was ihn dann eben doch besonders macht, ist all das, was durch seine bloße Präsenz verdeutlicht, dass die vermeintliche Normalität dieser Veranstaltung nicht mit Selbstverständlichkeit verwechselt werden sollte: Die Gebärdensprachdolmetscherinnen auf der Bühne, die Rollstühle und Gehhilfen im Publikum, die Ansagen und die Kampfansagen. Das alles ist in einer salutonormativen Musikwelt nur selten zu sehen und zu hören.

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So wird in diesen paar Stunden auch einem vielleicht in dieser Hinsicht noch unbedarftem Clubpublikum vorgeführt, wie inklusive Veranstaltungen funktionieren. Wenn etwas mit nach Hause geht, dann ist das vielleicht nicht unbedingt die Musik. Denn die allein wird nichts an den Umständen ändern können, nichts an den Stundenlöhnen und auch nicht an der systematischen politischen und sozialen Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen.

Sie aber auf diese Art auf die Bühne zu bringen, lässt eine andere Musikwelt als möglich erscheinen. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil es Hoffnung und Mut verleiht, wo sonst viel Resignation und Zweifel vorherrschen. Sondern auch, weil es als Argument an eine Politik verstanden werden kann, die letztlich am längsten Hebel sitzt: Guckt mal, so einfach geht das alles. So wunderbar unauffällig kann es laufen.

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