Tripbericht: Meakusma 2022 – Branchentalk am Weinstand
© Caroline Lessire

Tripbericht: Meakusma 2022 – Branchentalk am Weinstand

Features. 13. September 2022 | / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

Seit 2016 findet in Eupen, kurz hinter der deutsch-belgischen Grenze, das Meakusma-Festival statt. Gut 1.000 Menschen schlenderten am diesjährigen ersten Septemberwochenende wieder durch Eupens Gassen und über das Festivalgelände. Nach dreijähriger Pause hat das zunächst corona-gebeutelte und im vergangenen Jahr durch die Flut in Mitleidenschaft gezogene Festival ein ausverkauftes Comeback gefeiert. Das Line-up steht den großen Akteuren der Szene in nichts nach, ist ein Sammelbecken für Techno-Avantgarde, Zeitgenössische-Musik-Nerds und Feierwütige, die noch ein letztes Festival der Saison mitnehmen wollen.

Wer die letzten Meter von Aachen nach Eupen mit dem Auto zurücklegt, wird von einem prall mit farbigen Luftballons gefüllten Grenzhäuschen empfangen. Als wüsste der verlassene Grenzposten schon genau, wohin man möchte. Die Straße führt über Felder, vorbei an Kühen, Scheunen, Einfamilienhäusern. Wenn das Meakusma-Festival stattfindet, verwandelt sich Eupen, ein 20.000-Einwohner-Städtchen, in dem die Bürgersteige um 20 Uhr hochgeklappt werden, einmal pro Jahr in einen genreübergreifenden Meltingpot.

Das Meakusma-Festival gibt es erst seit 2016, doch hat es sich schnell zu einem wahren Geheimtipp gemausert. Das Line-up besticht vor allem durch seine Mischung, die vom ordentlichen Rave über Dubstep bis hin zu fordernder Musik zum Zuhören reicht. Man trifft sich am Weinstand, der von Noorden-Chef Alex Ketzer betrieben wird, man schnuppert, schwenkt und degustiert, um Anekdoten über das liebste Weingut auszutauschen. Ein “Festival für Erwachsene” sei das Meakusma, auch das hört man an diesem Wochenende des Öfteren.

Egal ob erwachsen oder nicht: Das Publikum ist gierig auf die Acts, die das Festival so vielfältig und besonders machen. Den Anfang machen die Brüsseler Künstlerinnen Sky H1 und Mika Oki, die ein rauschendes Gebilde aus sphärischem Ambient und Visuals kreieren. Mit den ersten dröhnenden Bässen strömen auch die letzten vor den Türen verbliebenen Raucher:innen in den Saal und starren gespannt auf die schattenumrissenen Konturen der beiden Artists auf der Bühne.

© Nikta Vahid-Moghtada

Nur ein paar Schritte weiter, in Eupen sind die Wege ja nie weit, spielt Philipp Matalla sein neues und erstes Liveset unter Klarnamen. Der Künstler aus Halle/Berlin hat das Leipziger Label KANN schon seit einer Weile hinter sich gelassen und veröffentlicht bald das erste Album unter eigenem Namen auf dem festivaleigenen Label Meakusma. Das Set hat Patchwork-Charakter, kommt mal dubbig daher, mit Elementen aus Hip-Hop und Industrial, zunächst ganz experimentell und später auch ordentlich tanzbar. Die halbe Stunde scheint viel zu kurz. Erstes Highlight schon am ersten Abend – collagenhaft und trippy, mehr davon, bitte.

Wieder eine Stage weiter, auf dem sogenannten Heuboden, spielt die in Berlin ansässige Künstlerin Anadol ein DJ-Set. Das Publikum lässt sich auf dem mit Perserteppichen ausgelegten Boden nieder. Und bis auf die im Takt des Ventilators tanzende Topfpflanze will sich hier noch niemand so recht vom weichen Boden erheben, um zu tanzen – morgen dann wieder.

Klanginstallationen und eisgekühlter Weißwein

Die Tage, Abende und Nächte vergehen im Eupener Idyll sehr schnell. Im Gespräch bringt Philipp Matalla das Meakusma-Gefühl auf den Punkt: Es fühle sich mehr an, als würde man sich Ausstellungen anschauen, sagt der Künstler – und da trifft er ganz den Nerv: Man wandert umher, von Raum zu Raum, man sitzt und steht und starrt, auf Künstler:innen, Kunst und Menschen, und manchmal tanzt man sogar.

Das Festival fühlt sich nicht nur an wie eine Kunstschau, es zeigt auch welche. Ein Highlight etwa findet sich in der Galerie vorn und oben. Galerist Benjamin Fleig, ein zugezogenes Exil-Nordlicht, das seit langem in Ostbelgien lebt, serviert – nun ja, es scheint einen roten Faden zu geben – eisgekühlten Weißwein. Zu sehen ist etwa eine Installation von Mika Oki, die am ersten Abend mit Sky H1 auf einer der Festivalbühnen stand. “Parhelion” ist eine immersive Black-Box-Erfahrung aus Licht und Nebel.

Meakusma 2022.
© Nikta Vahid-Moghtada

Im Untergeschoss der Galerie locken die Worte “no shoes – no talking” in die vom belgischstämmigen Künstler Daniel Jodocy bespielten Räume: Der Musiker und Instrumentenbauer, der heute in den USA lebt, schafft in seinem “Soundboxgarden” Instrumente, die sich von sich selbst und anderen Gegenständen bespielen lassen. Und obwohl es aus allen Ecken klimpert, klirrt, rauscht und rifft, entsteht eine seltsam beruhige Harmonie.

Von der Galerie schlängelt sich eine Straße bergab in die Eupener Innenstadt. Und nach diesem kurzen Spaziergang stolpert man in ein weiteres Highlight, das die musikalische Bandbreite des Meakusma-Festivals zeigt. Im verlassenen Einkaufszentrum Eupen Plaza spielt das Splitter Orchester. Es besteht aus international renommierten Künstler:innen und Vertreter:innen der Berliner Echtzeitmusik-Szene. Die Bandbreite reicht von Noise, Electronica und Trash-Pop über Neue Musik bis hin zu Klangkunst.

Samstag: Festival-Geruch und House zum Stampfen

Draußen bespielt Ulrich Troyer das imposante Soundsystem 54 Sound. Die tiefen Bässe und der sandig bebende Boden sorgen auch endlich für das dreckige Festival-Gefühl, das bisher noch nicht so recht aufgekommen ist. Unter dem Zeltdach riecht es auch nicht mehr ganz so erwachsen, sondern auch einfach mal nach Schweiß, Bier und Dixiklo. Gut so.

Während das Wetter nicht so recht weiß, ob sich Sonne oder Gewitterwolken durchsetzen, taucht man mitten am Nachmittag im Kesselraum in eine stockdunkle, andere Welt ein. Es riecht plötzlich wieder erwachsen, man sitzt oder steht und guckt andächtig-gelangweilt bis gespannt, aber bitte ohne die Contenance zu verlieren. Buttechno, der am Abend zuvor schon ein Set zum Besten gab, spielt seinen zweiten Gig auf dem Festival, diesmal unter Klarnamen Pavel Milyakov. Er liefert melancholisch-verträumten Ambient, mit zitternden Flächen, die den Samstag, an dem noch so viel ansteht, ganz behutsam einläuten. Es wird düster, auch musikalisch. Was fünf Minuten früher noch melancholisch klang, wird nun zu mächtigen Drones, durch die hohe Frequenzen wie Blitze zucken und so dystopisch daherkommen, wie der Himmel über Eupen eben noch aussah. Das Set beweist seine unglaubliche Bandbreite, baut sich enorm auf, um schließlich wieder in völliger Dunkelheit zu grollen. Dann folgen triphoppige und dubbige Vibes und zarter Frauengesang. Die Schattenfiguren im Publikum beginnen, sich zu bewegen.

© Caroline Lessire
© Mirka Farabegoli

In der größten der Festival-Locations, der Halle, braut sich der Samstagabend so langsam zum Rave zusammen. Wer wirklich tanzen will, und zwar auf einen Four-to-the-Floor-Beat, kommt beim Meakusma nicht zu kurz. Der aus New York City stammende Künstler und Producer Anthony Naples beginnt überpünktlich und steigt ohne allzu großen Spannungsbogen einfach direkt ein: mit straightem, stampfigem und sample- wie vocallastigem House.

Naples wirkt unprätentiös und konzentriert, das Set ist so präzise wie dreckig, die Halle füllt sich zunehmend mit Menschen, die nach all dem Aufsaugen von Musik Bock auf etwas mehr Hedonismus haben. Auf Anthony Naples folgt Ossia. Der Brite fährt die Stimmung zunächst zwar ordentlich runter und fängt langsam und sphärisch an – um dann aber in den rauen Techno und dubbigen UK Bass überzugehen, den man von ihm kennt.

Sonntag: Ab in die Kirche und ans Gemüsebeet

Der Sonntag beginnt ganz fromm und andächtig in der prall gefüllten Kirche. Da wartet mit Lilly Joel ein Mix aus Orgelmusik und Elektroakustik. Das in Brüssel und Paris ansässige Duo orientiert sich an einer Künstlerin und Dichterin aus dem Mittelalter: Hildegard von Bingen. Das Publikum lauscht dem andächtigen Gesang, der mit den zartesten Klängen, die eine Orgel von sich geben kann, und frickelnder Elektronik verschmilzt.

Wer sich dann noch einmal bewegen möchte, spaziert die knapp 15 Minuten zurück zum Alten Schlachthof. Im Hinterhof, nebst Gemüsebeet mit Kürbissen und Zucchini, holt DJ Plead mit seinen wirbelnden Rhythmen höchstpersönlich das Bestmögliche aus dem Soundsystem. Die Crowd tanzt nicht in Richtung DJ, sondern visiert die Türme aus Boxen an. Der Fokus richtet sich auf den Sound und die Musik – eine angenehme Experience.

Die letzten Konzerte des Festivals finden in Aufräumathmosphäre statt. Der Weinstand ist leergekauft, das Soundsystem wird abgebaut, ein paar letzte Bässe wummern auf dem Heuboden, wo das Duo Pretty Sneaky das Closing spielt und sich Gäst:innen wie Macher:innen des Festivals emotional in den Armen liegen. Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht, wenn sie so voll mit Eindrücken ist und so viel zu entdecken birgt.

Das Meakusma ist ein Festival, das mit Konventionen bricht und Stile mixt, eine prall mit allerlei Genres gefüllte Musikbubble gepresst aufs Gelände des Alten Schlachthofs in Eupen. Es bringt Clubgänger:innen in die Kirche und lockt all jenen, die ihre wildesten Zeiten vielleicht schon hinter sich gelassen haben, ein letztes Zucken aus den Beinen. See you next year, Meakusma!

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