Tripbericht: Waking Life Festival – Naturreverie und Realitätsflucht in Portugal
Dieses Jahr feierte das Waking Life seine siebte Ausgabe und verwandelte Crato im Herzen Portugals in einen magischen Ort. Fünf unvergessliche Tage irgendwo im Nirgendwo zogen eine Vielzahl von Besucher:innen an. Dank demhochkarätigen Line-up, faszinierenden Kunstinstallationen und einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten war das Festival zum ersten Mal ausverkauft. Für uns war das Waking Life mehr als nur ein Festival – es war eine Reise in eine andere Dimension.
Das diesjährige Waking-Life-Abenteuer beginnt am Dienstag, 18. Juni, um 6 Uhr morgens am Berliner Flughafen. In wenigen Minuten beginnt das Boarding. Schon bald wird deutlich, dass viele der Passagiere auf dem Flug nach Lissabon ebenfalls künftige Waking-Life-Besucher:innen sind, spätestens aber, als eine Gruppe Mid-20s kurz vor dem Abflug stolz von ihrer Kreation für das Festival, der “MDMA-Soaked-Melon“, berichtet.
Nach einem nächtlichen Aufenthalt in Lissabon startet die Anreise mit dem Shuttle am nächsten Tag etwas holprig. Statt der geplanten Abfahrt um 14 Uhr erwarten uns bis zu drei Stunden Wartezeit. Grund dafür: es gibt nur einen einzigen Bus-Stellplatz am Flughafen, sodass die Busse nur nacheinander losfahren können. Während der Wartezeit bildet sich eine riesige Schlange vor dem Flughafen. Die Festivalgäst:innen lassen sich davon aber nicht beirren, sitzen auf ihren mitgebrachten Campingstühlen, trinken schon mal das ein oder andere Super Bock aus ihren Festivalreserven und machen eben das Beste aus der Situation.
Im Bus ist es heiß und stickig, die Stimmung durchwachsen: Während einigen versuchen noch ein wenig Schlaf zu tanken, packen ein paar besonders Partywütige ihre Bluetooth-Box aus und stimmen die ersten Eurotrance-Banger an. Nach drei Stunden erreicht das Shuttle endlich das langersehnte Waking Life, das uns auch prompt mit zwei weiteren Warteschlangen begrüßt – diesmal am Einlass und direkt vor der Camping-Area bei strengen Gepäckkontrollen, die das Mitbringen von Glas verhindern sollen. Nachdem wir schwer bepackt endlich einen geeigneten Platz für unser Camp gefunden haben, erschwert zu allem Überfluss ein Unwetter den Aufbau der Zelte. Auch die erste Nacht ist dementsprechend kalt und nass, was sich jedoch in den darauffolgenden Tagen glücklicherweise ins Gegenteil verkehrt. Aber genug gejammert! Schließlich sind wir auf einem Festival und die Lösung, um die Camping-Unannehmlichkeiten zu umgehen, liegt auf der Hand: Das Festivalgelände erkunden und tanzen, getreu dem Motto "Dance This Mess Around" – und zwar auf der Floresta Stage zu Moritz von Oswald und Ivan Smagghe.
Am nächsten Morgen – oder eher Mittag – ist nichts mehr von dem Unwetter der letzten Nacht zu sehen. Die Sonne knallt auf das Campinggelände und treibt die letzten Langschläfer:innen aus ihren heißen Zelten. Ein Blick auf das endlose Meer aus Zelten beweist: Platz gibt’s hier keinen mehr. Einige behaupten ja, dieses Jahr seien es doppelt so viele Besucher:innen wie im Vorjahr – insgesamt 12.000 Menschen –, andere sprechen von 8.000 Menschen. Was auch immer korrekt sein mag, so oder so hätte es noch voller nicht sein dürfen. Auch die Schattenspots halten sich in Grenzen. Um also der beißenden Hitze zu entkommen, bleibt nur eines: auf zum See.
Rund um den See findet man die idyllisch angelegte Stage Area, was tagsüber für Ruhe und angenehmen Schatten sorgt. Obwohl nonstop Musik gespielt wird, gibt es zahlreiche Rückzugsmöglichkeiten, um der Lautstärke zu entkommen und gleichzeitig ein entspanntes Hintergrund-Ambiente zu genießen. Zum Beispiel auf der Leuchtturminsel in der Mitte des Sees, die tagsüber als Sonnen- und Ruheplattform dient. Bei mittlerweile weit über 30 Grad ist eine Abkühlung im See auch mehr als notwendig und da sämtliche Bühnen um den See herum gebaut wurden, kann man auch im Wasser zur Musik tanzen. Hinter all den einzigartigen Konstruktionen wie den schwimmenden Inseln und Baumhäusern steckt eine immense Liebe zum Detail und viel Herzblut, was eine sehr vertraute Atmosphäre schafft. Auch das Publikum trägt dazu bei, dass man sich auf dem Festival geborgen fühlt. Tatsächlich verhalten sich alle Besucher:innen ausgesprochen friedlich, solidarisch und harmonisch. Das gilt auch für den Umgang mit der Natur, auf den die Veranstalter:innen besonders viel Wert legen. Auch die Besucher:innen nehmen den Umweltschutz ernst und halten sich strikt daran, keinen Müll herumliegen zu lassen oder Zigarettenstummel auf den Boden zu schmeißen.
Ebenfalls bemerkenswert ist die Getränkeauswahl mit Highlights wie der frisch zubereiteten Piña Colada, serviert in einer ausgehöhlten Ananas, die sich schon an Tag eins als tägliches Frühstücks-Essential etabliert hat. Generell hat das Festival auch kulinarisch viel zu bieten: von Pizza über Breakfast-Granola, Per-Se-Spritz bis hin zu Elderflower-Elfen-Prosecco und Asia-Wok ist hier für jeden etwas dabei. Zwar streikt bei der Bezahlung ab und an das sogegannte Klingeling-Bändchen, aber sowohl die Festival-Crew als auch das Security-Personal reagieren nicht nur professionell, sondern auch auffallend herzlich und hilfsbereit. Ein weiterer großer Pluspunkt: die Camping-Toiletten und -duschen werden durchgehend sauber gehalten. Und das ist erfahrungsgemäß ein wichtiges Thema, da einem dreckige und unbenutzbare Klos den Festivalaufenthalt wirklich ordentlich vermiesen können.
Die Nacht am Donnerstag startet mit Neel auf der Floresta Stage. Neel, bekannt für seine fesselnden Sets, schafft eine Mischung aus Rhythmus und Textur auf die Bühne. Seine Musik verschmilzt Techno und Ambient auf beeindruckende Weise und setzt neue Maßstäbe in diesen Genres. Das Publikum wird von den tiefen, atmosphärischen Klängen in eine andere Welt entführt und erlebt eine hypnotische Performance, die sowohl den Körper als auch den Geist anspricht.
Anschließend übernimmt Chez Damier die Outro Lado Stage und bringt eine ganz eigene Magie mit. Mit seiner einzigartigen Mischung aus klassischen House-Beats und modernen Elementen sorgt er für eine ausgelassene Stimmung. Die Tanzfläche pulsiert vor Energie, während Chez Damier mit seinem unverwechselbaren Sound die Menge in Bewegung hält. Ein musikalischer Höhepunkt des Abends, der das Publikum in ekstatische Tanzstimmung versetzt und die Nacht bis heute unvergesslich macht.
Wer am folgenden Tag etwas Ruhe und Entspannung braucht, kann mühelos von dem vielfältigen Angebot an Workshops, Meditation- und Yoga-Kursen sowie inspirierenden Talks Gebrauch machen. Oder man nimmt den regelmäßig verkehrenden Shuttlebus in die charmante Kleinstadt Crato, wo man zum Beispiel im kleinen Feinkostladen bei traditionellem Hauswein und portugiesischen Tapas dem Festival-Trubel entfliehen kann. Die deutsche Wanderlust muss allerdings zurückstecken: Das Gelände zu Fuß zu verlassen, um nach Crato zu spazieren, ist nämlich strikt untersagt. Na gut, es ist schon durchaus verständlich, dass es nicht erwünscht ist, dass eine Horde Festivalbesucher:innen über Stock und Stein marschiert und im schlimmsten Fall durch glimmende Zigarettenstummel einen Waldbrand verursacht oder vor die Produktionsfahrzeuge rennt.
Mittlerweile ist Samstagabend und jegliches Zeitgefühl abhandengekommen, was aber nichts macht. Der Abend beginnt magisch mit Ogazóns Set beim Sonnenuntergang auf der Floresta Stage. Menschen in funkelnden Bikinis, bunten Cowboy-Stiefeln, aufregenden Ton-in-Ton-Zweiteilern, Denim-Looks oder 80er-Aerobic-Ästhetik tanzen am Ufer des Sees, während die Sonne langsam am Horizont versinkt. Die warme Abendluft ist erfüllt von der rhythmischen Musik, die aus den Lautsprechern strömt und die Menge in ihren Bann zieht. Barfuß bewegen sich die Tänzer:innen über den weichen Sand, ihre Bewegungen fließend und synchron mit den typisch dynamischen Ogazón-Beats.
Überall lächelnde Gesichter, geschlossene Augen und erhobene Arme. Das goldene Licht des Sonnenuntergangs taucht die Szene in ein magisches Glühen, während sich die Farben des Himmels von Blau zu Orange und Rot wandeln. Der See reflektiert das farbenprächtige Schauspiel, was der Atmosphäre eine fast surreale Schönheit verleiht. Die Menge bewegt sich im Einklang, mal wild und ausgelassen, mal sanft und schwingend, getragen von der Musik und dem Augenblick. Gespräche und Gelächter mischen sich mit den Klängen, während Freundschaften geschlossen und Erinnerungen geschaffen werden. Es ist ein Moment reiner Freude und Lebendigkeit, in dem sich alle Sorgen auflösen und nur der Tanz im Licht des Sonnenuntergangs zählt. Ihr Set endet mit einer nostalgischen und sphärischen Atmosphäre, die einen in den Bann zieht und dazu bringt, sich vollkommen in den eigenen Bewegungen zu verlieren. Als Nathalie Seres nahtlos übernimmt, bleibt die von Ogazón geschaffene Magie erhalten und lässt Hunderte von Festivalbesucher:innen glücklich und strahlend zurück.
Auf dem Weg zur Outro Lado Stage hält die Menge plötzlich inne. Die Bewegungen werden von einem eindrucksvollen Umzug seltsam anmutender Fabelwesen unterbrochen, die sich wiegen und verrenken. Was ist hier noch Realität? Riesige Holzkonstruktionen erheben sich über den Köpfen der Festivalbesucher:innen, während die Fabelwesen wie aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit verschwimmt und die Zuschauer:innen werden in ein surreales Schauspiel hineingezogen, das gleichzeitig fasziniert und verstört, vor allem aber noch lange in Erinnerung bleibt.
Der anschließende Weg über den kleinen Damm am See bietet einen perfekten Ausblick auf das gesamte Festivalgelände bei Nacht. Man bestaunt funkelnde Lichter in Blau, Rot und Orange und den Vollmond, der dem See einen magischen Schimmer verleiht. Eigentlich sind wir ja auf dem Weg zu Outro Lado, doch der Sound von der Cochilo Stage ist zu verlockend, um einfach daran vorbeizulaufen. Im Zentrum der Stage räkelt sich gerade eine supercool aussehende Person in schwarzer Lederhose am Mikrofonständer. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um den Londoner DJ, Produzent und Sänger Josh Caffé handelt. Mit ihm auf der Bühne und mindestens genauso stylisch gekleidet: Der Saxofonist Alex White sowie der Producer Quinn Whalley hinter den Decks. Die Live-Performance ist eine Mischung aus House, Acid House und Techno, kombiniert mit Synthiepop- und Wave-Einflüssen. Mit jedem Beat wächst die Menge vor der Cochilo Stage, angezogen von der hypnotischen Energie der Performance. Die Kombination aus treibenden Rhythmen und einprägsamen Melodien zieht immer mehr Leute tiefer in ihren Bann.
Ein weiteres Highlight des Abends ist zweifelsohne der Auftritt von Eduardo de la Calle auf der Outro Lado Stage. Mit seinem bezaubernden "The Sun Can't Compare"-Mix, den er seit über 20 Jahren auflegt, kreiert er eine magische Atmosphäre, die das gesamte Publikum in ihren Bann zieht. Wie ein Chor stimmen die Tänzer:innen vor dem DJ-Pult emotional in die Zeilen "It won't feel right, if I don't see you in the waking light, 'cause you are my life" ein und sind so von der Musik ergriffen, dass sie sich in einer Welle der Euphorie und Zuneigung herzlich in die Arme fallen. Mit einer meisterhaften Mischung aus Ambient-Stücken, Tech-House, Sci-Fi-Jazz und Techno-Tracks zieht Eduardo die Zuhörer:innen in seinen Bann. Jeder Beat, jede Melodie scheinen perfekt aufeinander abgestimmt und lassen die Grenzen zwischen den Genres verschwimmen. Eduardo versteht es, mit seiner Musik eine Verbindung zu schaffen, die über das bloße Zuhören hinausgeht. Seine Performance ist nicht nur ein Set, sondern eine emotionale Reise. Ein weiterer Beweis dafür, warum das Waking Life Festival so einzigartig ist.
Es ist Montag und die vergangenen fünf Tage sind wie im Flug vergangen. Zurück im Shuttle nach Lissabon lässt uns das Waking Life Festival mit einem Gefühl von Verzauberung und tiefer Zufriedenheit zurück. Fünf Tage lang durften wir in eine Traumwelt eintauchen, in der Raum und Zeit keine Bedeutung mehr hatten. Es war, als ob wir die Realität hinter uns gelassen und eine magische Parallelwelt betreten hätten, in der alles möglich schien.
Wir sind uns einig: Das Waking Life ist definitiv eines der besten Festivals, auf dem wir je waren. Es bot nicht nur musikalische Highlights, sondern auch unvergessliche Erlebnisse und Begegnungen. Die kreative Energie und die Hingabe, die in jedes Detail eingeflossen sind, machten das Festival zu einem ganz besonderen Ereignis, das noch lange nachklingen wird.
Während wir nun wieder in den Alltag zurückkehren, bleibt die Erinnerung an diese magischen Tage lebendig. Wir nehmen nicht nur schöne Momente, sondern auch das Gefühl von Freiheit und Gemeinschaft mit. Das Waking Life Festival hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, manchmal aus dem Alltag auszubrechen und sich in einer anderen Welt zu verlieren – selbst wenn es nur für eine kurze Zeit ist. Wir freuen uns schon jetzt auf die nächste Ausgabe, die nächstes Jahr vom 18. bis 23. Juni stattfinden wird.
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