Up and Coming: Raiders Records Berlin – Streams, Ghetto-House und Diversität
Raiders Records aus Berlin haben eine zweiteilige Compilation namens ‘Queens of Club’ mit 21 Tracks herausgegeben. Zu hören sind unter anderem Tracks von Sarah Farina, MSJY, $ombi, AK Sports und Dolomea, die zum Home-Workout vor den heimischen Boxen einladen und Erinnerungen an durchtanzte Nächte hervorkitzeln: laut, sweaty, high res, high energy.
Queens of Club vereint up-and-coming und etablierte ProducerInnen aus den Genres Ghetto House, Electro Footwork und Breakbeat und verzichtet auf cis-männliche Künstler – von der Musik per se über Mastering bis zum Artwork. Raica aka jpeg.love und Nevena aka Souci sind beide DJs, Raiders-Mitglieder und als ProduzentInnen jeweils auf einer ‚Seite‘ der Schwestern-Compilation vertreten. Wir haben via Videochat mit den beiden über Streams, Ghetto-House und Diversität in Line-Ups gesprochen – und natürlich über die Compilation itself.
DJ LAB: Hey ihr beiden! Wollt ihr erst einmal etwas zum Kollektiv Raiders sagen?
Nevena: Raiders ist ein Zusammenschluss von acht Menschen, die sich über verschiedene Wege zusammengefunden haben. Ich und Tamila kamen ein bisschen später dazu, die erste Party war schon geplant. Denn Raiders war eigentlich als ein One-Event gedacht, um eine Party mit Ghetto Techno, Ghetto House und Booty House in Berlin zu machen. Und eine Person aus der Crew hat dann gesagt: Hey, ich kenn da noch zwei, die diese Musik auch spielen, und lass uns die doch zur Party einladen. Dort hat sich dann herausgestellt, dass es super gut funkt und wir sind eine feste Truppe aus acht Menschen geworden.
DJ LAB: Den Style der Crew beschreibt ihr selbst unter anderem mit dem Begriff „Ghetto-House“, euer vorheriger Kollektiv-Name war „Ghettoraid“ – was bedeutet der Begriff für euch? Ich habe gelesen, dass der Namenswechsel auch etwas mit der Reflektion der eigenen Privilegien zu tun hatte und speziell mit dem Begriff „Ghetto“. Habt ihr euch auch musikalisch neu orientiert?
Raica: Der Name hat sich anfangs daraus ergeben, dass wir explizit diese Musik machen wollten: Ghetto-House, Ghetto-Tech. Der Name stand damit in unmittelbarem Zusammenhang zu unseren ersten Partys und so haben wir ihn dann für uns als Kollektiv übernommen. Mittlerweile haben wir uns weiterentwickelt und Ghetto House ist nicht mehr das Genre, das von uns am meisten gespielt wird, zumindest nicht mehr von allen. Das hat unter anderem zum Namenswechsel geführt, neben der politischen Frage: Wie benutzt man den Begriff Ghetto?
Nevena: Wir haben uns alle nicht so große Sorgen gemacht, den Begriff für unsere Party zu benutzen – wir hatten auch absolut keine Reichweite und bezogen uns auf das Genre. Im Zuge der Labelgründung, der wachsenden Reichweite, aber auch dadurch, dass das Genre ein gewisses Revival erlebt hat, haben wir angefangen, uns mit der Geschichte des Genres zu befassen: Welche Communities haben diese Musik geprägt und wer ist heute auf der Bühne präsent? Das ist nämlich dann doch eher eine weiße, westliche Szene. Und da wir alle einen privilegierten Hintergrund haben und nicht in einem Ghetto groß geworden sind, haben wir es mit der Zeit als schwierig empfunden, den Namen „Ghettoraid“ zu behalten. Wir wollten damit auch ein Statement setzen – dass auch andere Produzierende und Kollektive darüber nachdenken. Wir sind mit der Entscheidung happy. Wie Raica schon sagte, wir entdecken gerade auch einfach andere Styles und spielen andere Musik als früher.
DJ LAB: Welche Styles spielt ihr heute?
Nevena: Das ist im Kollektiv unterschiedlich. Wir haben Personen dabei, die sehr gerne classic oldschool Jersey Club, Booty-House und Ghetto-Tech spielt, da gibt es auch eine Person, die Hip-Hop-influenced ist, ich persönlich mag auch härtere Spielharten wie Hardcore und Gabber. Für mich ist es aber eher schwierig zu sagen: Ich verorte mich jetzt hier, weil das einfach immer nur den derzeitigen Zustand beschreibt.
Raica: Ich spiele viel Breakbeat, Footwork, Jungle, aber auch Electro – ich mag es gar nicht so gerne, das festzulegen und zu labeln und mich damit festzufahren.
Nevena: Das ist finde ich auch das Spannende an unseren Sets: Man weiß nie, was als Nächstes kommt (lacht).
DJ LAB: Wie lange gibt es das Kollektiv? Und wie ist es mit der Formation, vergrößert ihr euch, kann man sich bewerben und „mitmachen“?
Raica: Nach der ersten Party und einem Open Air im August 2019 haben wir uns Kollektiv genannt und ab Januar 2020, mit unserem ersten Release, sind wir zum Label geworden. Es ist ehrlich gesagt schon schwer genug, sich mit acht Leuten zu organisieren und abzustimmen – also ich würde sagen, erstmal herrscht „Einlassstop“ (lacht).
DJ LAB: It’s all about streams these days! Ich bin bei meiner Recherche auf euer erstes HÖR-Set gestoßen. Vier von euch haben dort aufgelegt, die anderen Vier legen im Dezember dort auf. Wie ist es, bei HÖR vor der Kamera zu sein? Ist es noch merkwürdiger als im leeren Club zu spielen?
Raica: Also ich fand es ganz gut – mir hat’s Spaß gemacht. Ich finde es auch ok, solche Streams wie bei HÖR zu machen, denn da habe ich so das Gefühl, mein Ding zu machen. Man legt auf und kommt so rein – ich fände es weirder, in einem leeren Club zu spielen, wo du diesen Raum hast, der normalerweise, wenn eben nicht gerade Corona wäre, mit Menschen gefüllt wäre. So einen kleinen Stream wie bei HÖR finde ich besser, dort konnte ich auch irgendwann ausblenden, dass da Leute sind und zugucken – das würde mir nicht so leichtfallen, wenn man in einem großen Raum mit Kameras ist.
Nevena: Ich war bei dem HÖR-Showcase beim letzten Mal nicht dabei, bin dann aber im Dezember mit dem Rest der Truppe dabei. Ich hatte aber schon meinen eigenen Slot bei HÖR, was, glaube ich, was ganz anderes war. Die Raiders waren ja zu viert im Raum und hatten quasi ihre eigene kleine Mini-Party da drin. Ich war ganz alleine und ich muss sagen, ich war unglaublich nervös, weil mir klar ist, wie viele Menschen sich das angucken. Und so gar keine Rückmeldung zu bekommen, was gut läuft ... also ich war echt gestresst. Aber sich das im Nachhinein dann anzuschauen, wie viele Kommentare geschrieben wurden und dass alle meine Freunde den Stream angeschaut haben, das hat mich auf jeden Fall mega glücklich gemacht und erfüllt. Das war auch das, was in den Monaten davor gefehlt hat. Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass es Plattformen wie HÖR gibt. Nur gibt es gerade eine krasse Übersättigung an Streams und es fällt schwer, da den Überblick zu behalten. Aber es ist gut, dass DJs, die gerade keine andere Visibilität bekommen, hier noch aktiv sein können.
https://www.youtube.com/watch?v=vQTl2pwwDRk
DJ LAB: Es gibt einen Diskurs in der Szene, der während der Black Lives Matter Proteste im Juni und Juli medial besprochen wurde. Es geht dabei um Diversität, Rassismus und Whitewashing in der elektronischen Musikwelt – und auch um Sichtbarkeit. Wie habt ihr diese Diskussion erlebt, wie geht ihr mit dem Thema um? Was waren und sind eure Gedanken?
Raica: Ich habe mir zugegebenermaßen, als ich angefangen habe aufzulegen, nicht allzu viele Gedanken über das Thema gemacht. Das ist erst mit diesem Diskurs aufgekommen. Ich kann hier nur für mich persönlich sprechen: Ich habe gemerkt, da ich mich als linke, antikapitalistische Person sehe, dass ich diese Themen in der Musik nicht außen vor lassen kann. Debatten um Sexismus interessieren mich hier ja auch. Ich muss mich also fragen, inwiefern Rassismus und problematische Strukturen in der Szene eine Rolle spielen. Und bin zum Glück auf Sarah Farina (hier geht es zu unserem Interview mit Sarah) gestoßen, die viel zu diesem Thema postet und educated. Vielen Dank an Sarah dafür. Auch der Rest der Raiders-Crew hat sich mit diesem Thema beschäftigt und wir haben uns selbst gefragt: Was ist an uns problematisch? Dabei kam auch das Thema mit unserem Namen auf, welches Image wir damit kreieren und was wir damit aussagen möchten. Aber es gab auch Fragen in Bezug auf einzelne DJs und das Kollektiv: Welche Tracks spielt man? Wie oft kommt darin das N-Wort vor? Möchte man Tracks samplen, wessen Stimmen werden hier genutzt? Denn meist sind das Stimmen von Schwarzen Personen. Zu diesen Themen haben wir uns Gedanken gemacht und Schritte eingeleitet, zu erkennen, was wir problematisch finden und wie wir anders damit umgehen wollen, und dass das eigene Handeln und die Reproduktion von rassistischen Strukturen Auswirkungen hat und inwiefern man davon Teil ist.
Nevena: Dem stimme ich zu. In Anbetracht unserer Zusammenstellung als Gruppe haben wir uns immer Gedanken gemacht, ob wir divers sind, wie viele Menschen im Line-Up zum Beispiel cis-männlich sind und wie viele Menschen dabei sind, die sich als weiblich identifizieren. Und dass wir von Anfang an darauf geachtet haben, dass das mindestens ausgeglichen ist – auch was Menschen angeht, die sich als POC oder als Schwarz identifizieren. Unser erstes Release wird diesen Anforderungen nicht gerecht, einmal aus Zeitgründen, aber auch deshalb, weil wir uns zu dieser Zeit nicht die Arbeit gemacht haben, unseren Ansprüchen gerecht zu werden. Unser zweites Release soll das ausgleichen.
DJ LAB: Dann lasst uns über das neue Release sprechen. Ihr habt gerade eine zweiteilige Compilation via Bandcamp veröffentlicht, 21 Tracks und 20 KünstlerInnen wurden auf Queens of Club vereint. Na ja, wobei, trotzdem auch Vinyl-like getrennt, es gibt die Astral Booty und die Night Shift Compilation. Vereint sind die zwei Releases dann auf einem gravierten limitierten USB-Stick. Wann kam euch die Idee zur Compilation und wie hat sich das Projekt entwickelt? Hattet ihr von Anfang an vor, zwei Releases zu machen?
Raica: Dass es ein Zweiteiler wird, war nicht geplant, nein, das war dann eine kuratorische Entscheidung als Reaktion darauf, dass es so viele Tracks geworden sind. Ich weiß gar nicht mehr genau, was der ursprüngliche Gedanke war. Aber uns, den weiblichen Mitgliedern bei Raiders, ist aufgefallen, wie selbstverständlich man es wahrnimmt, dass auf einer Compilation größtenteils Männer vertreten sind. Das ist Normalität, dass man auf Compilations über höchstens eine Produzentin stolpert. Auf unserer ersten Compilation haben wir ehrlicherweise auch nur Freunde gefragt und es waren eher die männlichen Personen aus unserer Gruppe, die produziert haben – Nevena, Tamila und ich haben zu der Zeit noch nicht produziert. Wir haben uns dann gefragt: Wär’s nicht irgendwie geil, es gäbe eine Compilation, auf der nur Menschen releasen, die nicht cis-männlich sind? Ich habe überlegt, ob ich das schon mal irgendwo gesehen habe – und nein, so eine Compilation ist mir in der elektronischen Musik noch nicht aufgefallen. Nevena und ich haben dann angefangen, zu recherchieren und Leute anzuschreiben.
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Mehr InformationenDJ LAB: Das wäre meine nächste Frage: Wie seid ihr zur Auswahl der ProducerInnen gekommen – habt ihr einen Open Call gestartet, habt ihr eure FavoritInnen angeschrieben, sind es FreundInnen von euch? Was war ausschlaggebend?
Nevena: Wir haben unabhängig voneinander recherchiert. Ich hatte ein paar Menschen im Kopf, die ich anfragen wollte – bei anderen kam es auch echt dazu, weil sie davon gehört hatten und sich dann bei uns gemeldet haben.
Raica: Wir haben dann eine Liste erstellt und dort eingetragen, wen wir angefragt haben. Auf Sarah Farina kamen wir, glaube ich, ziemlich zeitgleich, sie wollten wir sehr gerne dabei haben.
Nevena: Wir haben aber alle genommen, die einen Track beigesteuert haben. Wir wollten niemanden ausschließen, waren aber auch einfach so happy mit allen Tracks, dass wir alle genommen haben.
DJ LAB: Wie lang hat dieser Prozess gedauert?
Nevena: Im März haben wir angefangen, oder?
Raica: Ja, so grob muss es im März gewesen sein.
Nevena: Aufgrund unserer Namensänderung hat es sich allerdings etwas gezogen.
DJ LAB: Welche Tracks sind denn eure Favoriten auf der Compilation?
Raica: Das ist echt schwer zu sagen, ich finde so viele Tracks auf der Compilation geil. Aber URTE – BB hat mich direkt mitgenommen, da ich total auf Vocals stehe. Mich fetzt der Track von MSJY auf Night Shift noch.
Nevena: Mir geht’s ähnlich. Auf der Astral Booty mag ich super gerne den Track von They Wept, der ist nochmal ganz anders und ziemlich gewagt. Auf Night Shift ist es für mich DJ Fuckoff.
DJ LAB: Letzte Frage und ein Blick in die Zukunft: Wie geht es mit Raiders weiter? Ist nach dem Release vor dem Release?
Raica: Die nächsten Releases sind tatsächlich schon in der Planung. Ich würde mir wünschen, dass wir mit Raiders unseren Fokus noch stärker auf die Labelarbeit legen und damit die Möglichkeit schaffen, dass Artists supportet werden, die einen geilen Sound haben und die sonst nicht so eine Visibility haben. Wenn es irgendwann dann wieder Partys gibt, werden wir sicher auch mal wieder eine schmeißen – eben dann, wenn es wieder sein darf und niemanden gefährdet.
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